von Dirk Elsner, 31.3.14
Irgendwann, wenn ich viel Zeit und einen Sponsor gefunden habe, möchte ich ja ein Buch über den “Muppetfaktor” in der Wirtschaft schreiben. In einem Kapitel würde ich mich dann damit befassen, dass es immer wieder Personen, Wirtschaftszweige und Institutionen gibt, die zunächst großes Vertrauen und Kooperationsbereitschaft signalisieren, dann aber, wenn es darauf ankommt, darauf pfeifen und bisherige Partner zu Muppets machen.
Die Bezeichnung “Muppets” für Partner oder Kunden basiert bekanntlich auf Sprüchen, die Mitarbeitern der Investmentbank Goldman Sachs zugeschrieben werden. Greg Smith, ein ehemaliger Goldman-Mann schrieb, dass Direktoren der Investmentbank Kunden als Muppets bezeichnet haben, weil die Kunden bestimmte Geschäfte nicht durchschauen und deswegen zu viel Geld zahlen.
Natürlich wird das von Goldman Sachs selbst bestritten. Aber die Welt ist voll mit Beispielen und Gerichtsentscheidungen (siehe diese Sammlung ausgewählter Rechts- und Streitfälle), in denen nachgewiesen wurde, dass Finanz- und andere Profis die Unerfahrenheit und das mangelnde Wissen über ihrer Geschäftspartner ausgebeutet haben.
Viele glaubten hofften, dass es mit der digitalen Wirtschaft anders wird, dass hier Vertrauen und faires Verhalten nicht opportunistisch ausgebeutet werden. Ich war da nie so optimistisch, weil es einfach der Natur der Menschen entspricht, dass stets einige Menschen Vorteile zu Lasten anderer dann ausnutzen, wenn es sich lohnt. Ich habe das sehr ausführlich in der Reihe Ist Fairness nur für Muppets? (Teil 1) beleuchtet.
Facebook hat letzte Woche bekanntlich die beabsichtigte Übernahme von Oculus VR bekannt gegeben. Damit haben Facebook und Oculus diejenigen zu Muppets gemacht, die das Oculus-Projekt über die Plattform Kickstarter gefördert und damit überhaupt erst möglich gemacht haben. 2 Mrd. US-Dollar zahlt das soziale Netzwerk für den 20 Monate alten Hersteller von Virtual-Reality-Brillen.
9.522 Unterstützer hatten 2012 zusammen 2,4 Mio. US$ über Kickstarter gegeben, um das Projekt zu fördern. Die Unterstützer fördern so ambitionierte Projekte und erhalten (übrigens anders als bei den meisten deutschen Funding-Plattformen) dafür keine finanzielle Gegenleistung, sondern eine immaterielle Entschädigung. In jedem Fall sind sie nicht im Verhältnis zu ihrem finanziellen Einsatz am Erfolg der Projekte beteiligt.
Formal ist das vollkommen in Ordnung, wie Gulli vergangene Woche schrieb:
“Penibel betrachtet hat sich Oculus jedoch nichts zu Schulden kommen lassen. Die Kickstarter-Kampagne hatte zum Ziel, genügend Geld aufzubringen, um einen Prototypen entwickeln zu können. Dieses Ziel wurde erreicht und alle Unterstützer haben ihre Belohnungen in Form von DevKits, Postern und Stickern erhalten. Was Oculus VR darüber hinaus an geschäftlichen Entscheidungen fällt, ist davon komplett unabhängig – zumindest theoretisch.
Praktisch betrachtet, ist Oculus VR sehr wohl auf das Wohlwollen der Gaming-Community und speziell auf die Mitarbeit von Third-Party-Entwicklern angewiesen, um das finale Produkt durch tatsächliche Anwendungen für den Konsumenten attraktiv zu machen.”
Was die Unterstützer von Projekten bei Kickstarter bekommen, schreibt Kickstarter in seinen FAQ:
“Backers that support a project on Kickstarter get an inside look at the creative process, and help that project come to life. They also get to choose from a variety of unique rewards offered by the project creator. Rewards vary from project to project, but often include a copy of what is being produced (CD, DVD, book, etc.) or an experience unique to the project.
Project creators keep 100% ownership of their work, and Kickstarter cannot be used to offer equity, financial returns, or to solicit loans.”
Daher ist klar, dass es keine Beteiligung am finanziellen Erfolgt gibt. Der Schaden für die Idee des Crowdfundings liegt darin, dass hier wieder einmal Chancen und Risiken asymmetrisch verteilt werden. Die Unterstützer tragen nämlich bei derartigen Projekten sehr einseitig das Risiko, während die Vorteile bei Erfolg an das Unternehmen bzw. deren Investoren geht.
Eric Schreyer fasst das im Blog CrowdFundBeat gut zusammen:
“Viele glaubten daran, dass 9.522 Unterstützer etwas schaffen, was bisher Venture Capital-Gebern vorbehalten war, nämlich eine neue Technologie zu entwickeln und marktreif zu machen. Oculus Rift – Step into the Game entwickelt ein interaktives Headset, das die eigene Wahrnehmung in der physischen Welt vermindert, um die Identifikation mit dem virtuellen “Ich” zu vergrößern. Gamespy schrieb: “Rift could be the closest we’ve come to Star Trek’s holodeck.”
In der Kickstarter-Kampagne hat Oculus die internationale Indie Game Developer-Community aufgerufen, an der Weiterentwicklung des Headsets mitzuwirken. ”Designed for Gamers, by Gamers”. Bei diesem Co-Creation-Prozess hat niemand auch nur im Traum daran gedacht, dass dieses ganze Herzblut einem strategischen Investor zufließt. Ausgerechnet Facebook. … Die Oculus-Community fühlt sich betrogen und ist geschockt.”
Das Netz ist voller empörter Reaktionen, die Time hier und Kickstarter selbst hier zusammenfasst.
Was lernen wir daraus? Crowdfunding ist nicht gleich Crowdfunding
Der Fall hilft vielleicht, die Begrifflichkeiten beim Crowdfunding etwas zu schärfen. Für das Buch “Finanzdienstleister der nächsten Generation” habe ich die verschiedenen Grundformen des Crowdfundings zusammengestellt:
1. Beim donation-based Crowdfunding werden zwar Mittel eingesammelt, es werden aber keine Gegenleistungen erwartet. Im Prinzip handelt es sich hier um eine besondere Form des Spendensammelns.
2. Beim reward-based Crowdfunding erfolgt keine Gegenleistung in Form von Geld, sondern diejenigen, die Ressourcen bereit gestellt haben, erhalten vom Leistungsempfänger eine Belohnung in bestimmter Form. Das können z.B. bei einem finanzierten Spiel eine Nutzungslizenz des Spiels oder bei der Finanzierung eines Films die Namensnennung im Abspann oder die Einladung zu der Filmpremiere sein.
Während bei den bisher genannten Formen des Crowdfundings finanzielle Gegenleistungen eine untergeordnete Rolle spielen, werden beim equity-based und lending-based Crowdfunding Gegenleistungen in Form finanzieller Zahlungen versprochen und erwartet:
3. Beim lending-Based-Funding wird eine feste Gegenleistung vereinbart, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mit entsprechender Verzinsung zurück erstattet werden muss. Hier spricht man auch von Peer-to-Peer-Krediten, die in Deutschland von den Plattformen Smava und und Auxmoney vermittelt werden.[ii]
4. Beim equity-based Funding halten die Investoren nur in den wenigsten Fällen eine Kapitalbeteiligung im gesellschaftsrechtlichen Sinne. Bei dieser Form des Fundings sind die Gegenleistungen abhängig vom Erfolg des finanzierten Unternehmens oder Projektes und damit variabel. Hier sind eher nachrangige bzw. hybride Finanzierungsformen (Mezzanine) zu finden, die im Insolvenzfall hinter den Forderungen der Fremdkapitalgläubiger zurücktreten.
Kickstarter fällt in die Kategorie 2. Andere Formen, wie sie etwa Innovestment, Bergfuerst oder investiere.ch anbieten, fallen unter die Kategorie 4. Dafür haben sich die Bezeichnungen Corporate Crowdfunding oder Crowdinvesting etabliert. Beim Corporate Crowdfunding stehen handfeste wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, und zwar die aller Beteiligten. Unternehmer oder Gründer suchen eigenkapitalnahe Finanzmittel, Anleger suchen Investitionsmöglichkeiten, und dazwischen steht eine Plattform, die beide Seiten zusammenbringen will und damit ebenfalls verdienen möchte (siehe dazu auch meine Kolumne für das Wall Street Journal “Wird Crowdinvesting jetzt erwachsen?“).
Festzuhalten bleibt: Oculus hat sich korrekt verhalten. Die Unterstützer auf Kickstarter können auch nicht die Erwartung haben, dass ein kommerzielles Projekt wie eine gemeinnützige Organisation handelt. Wer eine Beteiligung am kommerziellen Erfolg möchte, der sucht sich zum Crowdfunding andere Plattformen. Aber auch dort sollte er unbedingt das Kleingedruckte lesen und vor dem Investment verstehen, wie Chancen und Risiken verteilt sind, um nicht zum Muppet gemacht zu werden.
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