von Ronnie Grob, 7.11.13
Immer ärmere und gestresstere Journalisten stehen unter dem Druck von immer besser ausgestatteten Kommunikationsabteilungen und Lobbyisten. Doch kein Journalist ist gezwungen, mit PR-Leuten zu reden. Der Journalismus sollte sich viel mehr die Zeit nehmen, auf eigene Faust zu recherchieren.
Gemäss Staatsrechnung lag der Personalbestand der Öffentlichkeitsarbeiter in der Schweizer Bundesverwaltung 2007 noch bei 237 Vollzeitstellen, letztes Jahr aber bereits bei 302 (Kosten 2012: 80,6 Millionen Franken). Dagegen stehen aktuell etwas über 80 im Bundeshaus akkreditierte Journalisten.
In vielen anderen Bereichen und Branchen zeigt sich das gleiche Bild, es glaubt bald jedes Dorflädeli, einen PR-Beauftragten haben zu müssen. Eine bei jeder Sparrunde neu dezimierte Anzahl von Journalisten kämpft gegen eine Übermacht von Kommunikationsarbeitern, die nicht nur Informationen liefern, sondern sie verhindern und verschleiern.
Zeit, einige Fragen zu beantworten.
1. Wieso gibt es immer mehr Kommunikationsarbeiter?
Weil es sich offenbar lohnt.
Wäre das Investment in die Anzahl der Kommunikationsmitarbeiter nicht erfolgreich, dann hätten ihre Auftraggeber schon längst auf sie verzichtet. Journalisten lassen es offenbar zu, sich von der PR-Übermacht führen und beeinflussen zu lassen. Und sie lassen es zu, sich Arbeit abnehmen zu lassen. So gibt es Journalisten, auch öffentlich-rechtlich finanzierte, die von PR-Leuten fixfertig vorrecherchierte Storys fordern, bevor sie sich überhaupt dazu bequemen, selbst aktiv zu werden.
2. Wieso fühlen sich Journalisten von PR-Leuten belästigt?
Weil sie sich offenbar von ihnen belästigen lassen.
Weder für gewählte Parlamentarier noch für Journalisten gibt es eine Pflicht, mit Öffentlichkeitsarbeitern und anderen Lobbyisten zu reden. Man bedankt sich höflich für die Kontaktaufnahme und beendet das Gespräch. Oder man antwortet mit einem Einzeiler auf die E-Mail und bittet darum, nicht weiter kontaktiert zu werden. Sind diese Massnahmen erfolglos, so setzt man die Telefonnummer oder die E-Mail-Adresse auf die Blacklist, bzw. in den Spam-Ordner. Problem gelöst.
3. Wozu braucht es überhaupt Kommunikationsarbeiter?
Es braucht sie gar nicht.
Wer ein paar Jahrzehnte zurückdenkt, wird sich an eine funktionierende Welt ohne Kommunikationsarbeiter erinnern. Anfragen wurden direkt an die verantwortlichen Personen gestellt, die verantwortlichen Personen haben geantwortet, die Journalisten haben diese Personen zitiert, und basta.
Einheitliche Ansprechpartner zu bestimmen, kann für Organisationen, die einheitlich kommunizieren wollen, zwar sinnvoll sein. In der Realität zeigen sich jedoch viele Kommunikationsabteilungen nicht als Erleichterer, sondern als Verhinderer.
Standardantwort unseres Geheimdienstes #fail #NSA #NDB pic.twitter.com/MJTqnaJuA3
— Sandro Brotz (@SandroBrotz) October 28, 2013
Natürlich müssen Organisationen der Öffentlichkeit Auskunft geben – hat man alle relevanten Informationen auf die Website gestellt, so ist diese Aufgabe zu 95 Prozent erfüllt. Es spricht nichts dagegen, wenn Organisationen aktiv gegen Aussen kommunizieren. Aber bitte in eigenen Publikationen mit klarem Absender.
4. Tragen Journalisten eine Mitschuld an der PR-Offensive?
Ja, denn ohne sie geht nicht viel.
Die Aufrüstung auf der PR-Seite kann auch als spiegelbildliche Entwicklung zum Qualitätsabbau beim Journalismus gesehen werden. Ohne die Tür öffnende Journalisten bleiben PR-Leute draussen und ihre Inhalte ausserhalb des Mediums.
Wer ständig jammert über den Druck von PR und Lobbygruppen, beklagt in Wahrheit die eigene Schwäche, zu widerstehen. Dreiste Eingriffe von Medienstellen in die Medienfreiheit dürfen nicht hingenommen, sondern müssen konsequent offengelegt werden.
5. Wieso sind von Kommunikationsarbeitern gesteckte Storys schädlich für den Journalismus?
Weil gesteckte Storys das Gegenteil sind von Journalismus.
Um William Randolph Hearst zu zitieren: «Wenn irgendjemand es nicht gedruckt sehen will, dann ist es eine Nachricht. Alles andere ist Werbung.» Eine zugespielte Story lässt meist den Gegner der Quelle schlecht aussehen, viele Exklusivinformationen sind aber einfach nur banale PR. Journalisten müssen sich ihre Beute selbst suchen, so wie Wölfe und Bären. Sie sind keine Geissen und Schafe im Streichelzoo.
Um eine simple gesteckte Story zu verarbeiten, braucht es ein paar Stunden, vielleicht auch mal einen ganzen Tag oder zwei. Was gewisse auf «Primeurs» spezialisierte Journalisten der Sonntagspresse den Rest der Woche so machen, wäre manchmal interessant zu erfahren.
6. Wieso sind von Kommunikationsarbeitern gesteckte Storys schädlich für die Verlage?
Weil Werbeinhalte im redaktionellen Teil das eigene Geschäftsmodell aushöhlen.
Unternehmen, Behörden, Stiftungen und andere Organisationen sind potentielle Werbetreibende, die, wenn sie leicht in den redaktionellen Inhalt hineinkommen, keinen Grund sehen, Anzeigen zu schalten. Jeder kann heute Medien machen, das ist kein Problem. Den Werbetreibenden geht es nur darum, eine Information an einem Ort zu platzieren, den die Konsumenten als glaubwürdige Informationsquelle wahrnehmen. Jede erfolgreich platzierte Story erspart eine Anzeigenschaltung – in diesem Zusammenhang kritisierte kürzlich Ex-Blick-Chefredaktor Jürg Lehmann Artikel als Gratiswerbung im Tages-Anzeiger.
Wieso etwa gehörte die SVP über Jahrzehnte zu den sehr guten Inseratekunden von Zeitungen? Weil sie keine andere oder bessere Möglichkeit sah, um mit ihren Positionen zu den Lesern vorzudringen. Es bleibt den Verlagen nur eine Chance, glaubt Medienberater Thomas Koch:
Durch unabhängige Redaktionen hochwertige Medien (-Inhalte) zu erzeugen, die für ihre Nutzer so unverzichtbar sind, dass den Unternehmen keine Wahl bleibt, als ihre «Paid»-Werbung darin unterzubringen.
7. Wieso werden gesteckte Storys dann trotzdem redaktionell verwertet?
Weil redaktionelle Artikel das Eintrittsticket sind für Inserate.
Die Zeiten, in denen darum gekämpft wurde, ein Inserat in einem überfüllten Printprodukt zu platzieren, sind vorbei. Das heisst, es wird immer noch gekämpft, aber nicht mehr um die erfolgreiche Platzierung eines Inserats, sondern darum, dass der Kunde überhaupt ein Inserat schaltet. Dabei wird gefeilscht und erpresst, von beiden Seiten.
Man neigt dazu, es zu vergessen, aber Journalisten und Verleger sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter – zu einem Deal braucht es immer Zwei. Hüter von Werbeetats geben sich jedenfalls gelassen und lassen die Verkäufer bei sich auflaufen. Wer Konzessionen macht, wird mit Aufträgen belohnt, so werden erfolgreich beeinflusste redaktionelle Artikel oder 1:1 abgedruckte Pressemitteilungen nicht selten mit Inseraten belohnt. Mancherorts, beispielsweise in der Fachpresse, ist der Sittenzerfall so weit fortgeschritten, dass ohne Konzessionen im redaktionellen Teil nicht an die Vergabe von Inseraten zu denken ist.
8. Ist jede noch nicht veröffentlichte Information eine Story wert?
Nein, selbst «Geheiminformationen» sind nicht per se interessant.
Das Recherchedesk der «Sonntagszeitung» hat sich während Monaten mit den Offshore-Leaks befasst. Herausgekommen dabei ist nichts, das hätte veröffentlicht werden müssen, und trotzdem enthüllte die Zeitung die Informationen unter dem Titel «Das grösste Wirtschafts-Datenleck aller Zeiten». Das, obwohl die Daten bereits seit 2010 in den Händen von Steuerbehörden waren.
Wenige Monate später ist die Debatte darüber tot. Die Steuerverwaltung des Kantons Bern erkannte im Schlussbericht zu den «Enthüllungen» zu den Steuerdaten von Gunter Sachs «keinen Hinweis auf steuerlich relevante neue Tatsachen». Ohne Relevanz ist auch Exklusivität wertlos.
9. Wieso wissen PR-Leute, wie man eine Story platziert?
Weil viele von ihnen bis vor Kurzem Journalisten waren.
Ex-Journalisten wissen ganz genau, was in den Redaktionen abläuft. Durch ihre guten Beziehungen zu den verbliebenen Journalisten können sie auch psychischen Druck aufsetzen – wer kann schon einem alten Freund einen kleinen Gefallen abschlagen, bzw. lässt sich von ihm nicht etwas Arbeit abnehmen? Im IAM an der ZHAW in Winterthur werden Journalismus und Organisationskommunikation passenderweise Seite an Seite unterrichtet – als hätten die beiden Bereiche nicht grundlegend verschiedene Ziele, die einander gegenseitig eigentlich ausschliessen.
10. Aber Journalisten und PR-Leute arbeiten doch ganz gut zusammen?
Ja, aber muss sich der Unterschiede bewusst sein.
Man kann sehr gut Journalismus betreiben, ohne je mit Kommunikationsarbeitern zu kommunizieren. Gegen eine gute, sachliche Zusammenarbeit spricht aber nichts, solange sich beide Seiten bewusst sind, dass sie grundlegend verschiedene Ziele haben und sich in diesem Bewusstsein mit der angemessenen Distanz behandeln. Viele Beziehungen sind genau so, aber es gibt auch Journalisten, die mit PR-Leuten und Lobbyisten einen unkritisch-symbiotischen Umgang pflegen, sich einladen und beschenken lassen und am Ende exakt das schreiben, was diese sich wünschen. Sie sollten sich von ihnen direkt bezahlen lassen und den Journalismus verlassen.
Nachwort
Viele Kommunikationsarbeiter verhalten sich wie ein Abwehrschild, als müssten sie die Verantwortlichen vor der auskunftsberechtigten Öffentlichkeit schützen. Doch gut geführte Unternehmen und Organisationen, die dazu stehen, was sie machen, müssen nicht geschützt werden. Sie müssen weder schweigen noch vertuschen noch irreführen.
Andererseits behaupten viele Kommunikationsabteilungen, doch nur zu existieren, um gegen Unwahrheiten vorgehen zu können, die von den Medien verbreitet werden. So beisst sich die Katze in den Schwanz, denn Journalisten, die nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten, verbreiten keine Unwahrheiten (oder korrigieren sie schnellstmöglich und entschuldigen sich öffentlich).
Es bleibt unklar, warum sich Journalisten überhaupt gängeln lassen von fremder Kommunikation und PR. Genau so unklar bleibt, warum sich Manager, Exekutivpolitiker und andere Führungskräfte überhaupt von ihren Kommunikationsverantwortlichen bemuttern, beschneiden, beaufsichtigen lassen. Markus Somm empfiehlt die Empanzipation:
Schliesslich wäre es an der Zeit, diese hoch bezahlten Manager würden sich von ihren Kommunikationsberatern emanzipieren, die mehr Angst vor uns Journalisten haben als vor dem Untergang der Schweiz: Bloss keine negative Schlagzeile! Bloss nicht polarisieren! Ducken und verlieren. Unter Anleitung dieser Experten der Kommunikationsbestattung sind unsere Wirtschaftsführer zu Eunuchen des politischen Diskurses geworden. Sie sagen nichts, sie hören nichts, sie wehren sich nicht. Selbst wenn man ihnen den Lohn wegnimmt.
Crosspost von der Schweizer Medienwoche. Mehr Links zu Ronnie Grob gibt es hier.