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EU-Klimapolitik: Verbindliche Verpflichtungen wichtiger als symbolisch aufgeladene Konflikte

von , 9.12.08

Als in der vergangenen Woche nach monatelangen Verhandlungen der Brüsseler Kompromiss zum CO2-Ausstoß von PKWs feststand, waren sich die deutschen Medien weitestgehend einig: die EU ist von ihren ursprünglichen Zielen abgerückt und in einer entscheidenden umweltpolitischen Frage wieder einmal vor den Industrieverbänden eingeknickt.

Und in der Tat, die Automobilindustrie hat in den letzten Monaten sehr geschickt verhandelt, so sehr, dass sie sich am Tag nach dem Kompromiss mit öffentlichen Äußerungen auffallend zurückhielt.

Aber ist diese Entscheidung wirklich ein „Signal, dass es die EU womöglich nicht mehr so ernst meint mit einem entschlossenen Klimaschutz“, wie der Tagesspiegel meint? Mitnichten.

Was wir hier erleben, ist lediglich die x-te Wiederaufführung der klimapolitischen Erzählung Gut gegen Böse – und die Guten haben wie (fast) immer verloren, weil sich die Regierungen am Schluss auf die Seite der Bösen geschlagen haben.

Doch wie so oft ist die Realität auch in diesem Fall ein wenig komplexer: Selbstverständlich wäre der Auto-Industrie mehr zuzumuten gewesen, schließlich haben die europäischen Hersteller schon Ende der 1990er Jahre weitreichende Selbstverpflichtungen zur Begrenzung der CO2-Emissionen abgegeben, sich seither aber nicht ernsthaft bemüht, diese Selbstverpflichtungen auch zu erfüllen.

Der Kompromiss von Brüssel ist für die Autohersteller ein großer Erfolg, aber bedeutet er deshalb auch das Ende der europäischen Vorreiterrolle in der Klimapolitik? Nein, denn wichtig ist nicht unbedingt, wie viele Emissionen in einem bestimmten Wirtschaftssektor eingespart werden. Entscheidend ist letztlich die Gesamtreduktionsmenge.

In Deutschland wie auch in der EU herrscht die Tendenz vor, Politik nicht vom angestrebten Ziel her zu denken, sondern statt dessen einzelne politische Maßnahmen hochgradig symbolisch aufzuladen. So auch hier. Die bestechend einfache Logik der Umweltverbände: Da best online casino es nicht gelungen ist, die (deutsche) Automobilindustrie auf ambitionierte sektorale Ziele zu verpflichten, kann man die Klimapolitik der EU nicht mehr ernst nehmen.

Was diese Argumentation jedoch übersieht: In der Architektur der EU-Klimapolitik ist die Verringerung des CO2-Ausstoßes von PKWs kein Selbstzweck, sondern nur eines von vielen möglichen Mitteln, um die bis 2020 angestrebte Verringerung der gesamten europäischen Treibhausgas-Emissionen um 20% zu erreichen. Wenn diese 20%-Zielmarke wie geplant verbindlich wird und ein Verfehlen in den Mitgliedstaaten somit von Kommission und Europäischem Gerichtshof auch sanktioniert werden kann, dann relativiert sich die Bedeutung des Auto-Kompromisses beträchtlich.

Wenn im Autoverkehr weniger Emissionen eingespart werden als ursprünglich geplant, dann werden schlichtweg andere Sektoren, die wie der Verkehr nicht ins Emissionshandelssystem integriert sind (dort gelten – für Kraftwerksbetreiber und ausgewählte Industriezweige – separate Teilziele) dafür „einspringen“ müssen, etwa die Landwirtschaft, die privaten Haushalte oder der Dienstleistungssektor.

Die Brüsseler Auto-Kompromiss ist für die PKW-Hersteller ohne Zweifel von großer ökonomischer Bedeutung, im Kontext der EU-Klimapolitik ging es dabei jedoch nur um eine von sehr vielen Stellschrauben. Die wirklich relevanten Verhandlungen stehen erst beim Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs am 11. und 12. Dezember an, auf dem eine Einigung über das Energie- und Klimapaket der EU ansteht. Erst dann wird sich zeigen, wie ernst es der EU im Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich ist. Dabei werden es nicht Kompromisse in symbolisch aufgeladenen Einzelfragen sein, auf die es entscheidend ankommt, sondern der faktische Verbindlichkeitsgrad des Gesamtziels.

Zwar können es sich die EU-Mitgliedstaaten schon in kommunikationspolitischer Hinsicht nicht leisten, plötzlich vom 20%-Reduktionsziel für 2020 Abstand zu nehmen. Aber es besteht die reale Gefahr, dass sie Hintertüren und Schlupflöcher in die Gesetzestexte einbauen, die es ihnen ermöglichen würden, sich ihrer klimapolitischen Verantwortung in einigen Jahren weitgehend unbemerkt zu entledigen.

Der Erfolg des Energie- und Klimapakets der EU wird nicht in erster Linie davon abhängen, ob polnische Kohlekraftwerke ihre Emissionszertifikate schon 2013 zu 100% ersteigern müssen, welche Ausnahmeregelungen energieintensive Industriezweige aushandeln können oder welche Nachhaltigkeitskriterien für Biokraftstoffe erlassen werden. Entscheidend sind wirksame Sanktionsmechanismen, mit denen sichergestellt werden kann, dass die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen bis zum Jahr 2020 auch tatsächlich erfüllen werden.

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