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Eine kurze Geschichte vom Kopieren und Kapieren

von , 4.4.12

Es war nur eine homöopathische Mini-Markteinführung damals, im Jahr 1982: Im August startete die erste Serienfertigung einer LPCM-kodierten, digitalen Musik-CD, im Oktober die des ersten CD-Players. Noch bei der offiziellen “europaweiten Einführung” der “Compact-Disc” am 1. März 1983 gab es insgesamt nur etwa 250 Musik-CD-Titel und im deutschen Einzelhandel gerade mal knapp 1000 Abspielgeräte – verteilt auf rund ein halbes Dutzend Modelle der CD-Erfinder Philips und Sony sowie von Hitachi. Von “Massenmarkt” noch keine Spur; die digitalen Tonträger waren eine Sache für finanzkräftige Audiophile, denen rund 1.800 D-Mark für einen CD-Player nicht zuviel waren.

Das erste digitale Massenmedium: Vor 30 Jahren begann die Serienproduktion von Audio-CDs (Foto: Wikimedia Commons)

Die damals im “Deutschen High-Fidelity-Institut” (DHFI) organisierten Hersteller von Unterhaltungselektronik versprachen sich 1983 von der CD dennoch eine “Revolutionierung des Musikmarkts”. Bis 1993 sollte die neue Technologie die schwarzen Vinyl-Schallplatten und herkömmliche Plattenspieler verdrängt haben. Tatsächlich wurden bereits 1991 in Deutschland fast fünf mal so viele CD-Alben wie Langspielplatten verkauft. Die wahre Revolution war aber eine andere und ihre Wurzeln reichen noch viel weiter zurück.

Das Digitalzeitalter ist älter als wir

Schon 1926, als viele noch das Federspannwerk ihrer Schelllackplatten-bestückten Grammophone ankurbelten, wurde in den USA das erste Patent für eine “PCM-Verschlüsselung” erteilt. Die “Puls-Code-Modulation” erlaubte das digitale Kodieren eines analogen Signals, das anschließend ohne Qualitätsverlust kopiert werden konnte. Analoge Datenkopien degenieren dagegen mit jeder Kopiergeneration. Die digitale Technik wurde in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt, bis 1962 in den USA das erste PCM-Übertragungssystem in Betrieb ging und japanische Unternehmen bereits serienfertige Analog/Digital-Konverter auf PCM-Basis entwickelt hatten.
Vor 50 Jahren gab es also bereits die technischen – wenn auch eher theoretischen – Voraussetzungen für das, was heute vielfach als “Raubkopie” bezeichnet wird: Das von der Existenz eines physischen Datenträgers unabhängige, digitale Duplizieren von Schallereignissen, die vom Empfänger wieder in ein hörbares, analoges Signal zurück verwandelt werden können. Alles, was seither an neuen Entwicklungen dazu kam, stellte eigentlich nur eine quantitative, aber keine grundlegende qualitative Revolution dar. Visionäre konnten schon nach Erfindung der “Laserdisc” 1958 oder bei der Vorstellung der “Videodisc” 1972 ahnen, dass der Musik- und Filmmarkt der Zukunft nicht auf den tradierten Geschäftsmodellen der Vergangenheit beruhen konnte.

Sterbehilfen ohne Todesfolge

Weitere Zwischenschritte auf dem Weg in die Demokratisierung des Digitalen waren die “CD-Rekorder” (erste Prototypen 1988, Consumer-Modelle ab 1995), mit denen jeder Besitzer aus speziellen Rohlingen und einer Original-CD selbst Audio- oder Daten-CDs herstellen konnte, die Verbreitung des Internets bzw. “World Wide Web” und die stetig fallenden Preise für Festplatten-Speicherplatz. Noch bis in die 1990er-Jahre schien der Musikindustrie allerdings die analoge Kopie der größte Feind zu sein – vor allem durch den seit Ende der 1960er-Jahre andauernden Siegeszug der Compact Cassette”. So genannte “Leercassetten” dienten Musikkonsumenten weltweit als Standardmedium für fast kostenlose Kopien von Songs aus dem Radio oder von Schallplatten bzw. später von CDs.

Wie beim heutigen Internet-“Filesharing” konnte das Ursprungsprodukt dupliziert werden, ohne es zu beschädigen oder gar zu entwenden. Schon damals kursierten kopierte Cassetten in ungenehmigten, kommerziell verwerteten Massenauflagen (“Bootlegs”). Allerdings litten diese Analogkopien unter teils heftigen Qualitätseinbußen; die Ersparnis gegenüber dem Erwerb des Originalprodukts musste mit mehr oder weniger lautem Rauschen und starken Einschränkungen von Frequenzgang und Dynamik bezahlt werden. Vermutlich war das auch einer der Gründe, warum die “Compact Cassette” – allen Befürchtungen zum Trotz – nicht zum Tod der Plattenindustrie führte.

Der hätte eigentlich schon durch eine Ende der 1980er eingeführte neue Sterbehilfe eintreten müssen: Das “Digital Audio Tape”, kurz DAT, ermöglichte nicht nur die digitale Aufnahme von analogen Quellen, sondern auch die direkte und verlustfreie Aufzeichnung von digital codiertem Audio unter Umgehung eines Digital/Analog-Konverters. Das mit 44,1 kHz abgetastete PCM-Signal einer CD landete genau so auf einem Magnetband und konnte problemlos als “Master” für eine unbegrenzte Anzahl weiterer Kopien verwendet werden. Die meisten Modelle verhinderten allerdings auf Wunsch der Musikindustrie durch eine Schutz-Software (SCMS) eine direkte Digitalkopie von einem DAT-Recorder zu einem anderen.

War mal eine unschlagbare Kombination für’s digitale Kopieren von Musik: CD-Player (oben) und DAT-Recorder (unten). Foto: W. Messer

Die anfängliche Euphorie der Geräteindustrie verwandelte sich schnell in Ernüchterung: Der “normale” Konsument sparte sich die ziemlich happige vierstellige Investition – inzwischen wohl entnervt vom ständigen Wechsel und Wandel der Technologien und Normen sowie von den lästigen, meist unausgegorenen Kopierschutzmaßnahmen. Das gleiche Schicksal ereilte einige Jahre später auch die digitalen, datenkomprimierten “Mini-Discs” (MD, ab 1991) und “Digital Compact Cassetten” (ab 1992). DAT und MD überlebten jeweils eine Zeitlang immerhin als Quasi-Standard-Datenträger im Tonstudio- und Rundfunkbereich, wurden aber vom Massenmarkt ignoriert.

Plattenindustrie und Verwertungsgesellschaften schienen noch mal davon gekommen, hatten jedoch bis dahin die zahlreichen technologischen Warnschüsse nur als Anlass für Kassandrarufe genommen und nicht für eine umfassende Reform ihrer Geschäftsmodelle genutzt, obwohl sie akut zu scheitern drohten. Schließlich handelten sie hauptsächlich mit Daten und Lizenzen, die sich zunehmend von gegenständlichen Datenträgern abkoppelten und immer massenhafter und unbeschränkter verfügbar waren.

Die Zauberformeln “MP3”, “DSL” und “Flatrate”

Das Internet schien per se noch nicht mal die größte Gefahr für die Geschäftsmodelle zu sein; jedenfalls nicht, so lange noch Anschlüsse mit maximalen Datenraten von 128 Kilobit pro Sekunde (zwei ISDN-B-Kanäle) als Luxus galten, die Provider ausschließlich begrenzte Zeit- oder Datenvolumentarife anboten und weltweit nur rund drei Millionen Computer Internetanschluss hatten (1994). Aber da begann sich schon das Zeitfenster zu schließen, in dem man die Entwicklung noch nachhaltig hätte beeinflussen können.

Das in Deutschland entwickelte MP3-Format zur Datenkomprimierung von Audiodateien war Mitte der 1990er schon in vielen PCs im Einsatz, um auch mit schmalbandigen Internetanschlüssen relativ zügig vor allem Musik austauschen zu können – meist unter Umgehung des Urheberrechts. Ein Blinder mit Krückstock hätte sehen können, dass die Einführung von schnellen DSL-Anschlüssen und Internet-“Flatrates” diese Praxis der kostenlosen Mediennutzung in den darauf folgenden Jahren zum unkontrollierbaren Massenphänomen machen würde – letztendlich bis hin zu kompletten Kinofilmen.

Verpasste Chancen

Die Lösung wäre – lange vorher – das bekannte Motto “if you can’t beat them, join them” gewesen. Statt eine Technologie oder geübte Praxis mit politischer Lobbyarbeit, seltsamen Einschränkungen (SCMS- und DRM-Kopierschutz, Regionalcodes etc.) und wenig wirksamen Reglementierungen zu bekämpfen, hätte die Medienproduktions- und Verwertungsindustrie versuchen müssen, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Wenn meine Kunden so gerne “downloaden”, dann sollen sie das auch tun dürfen – aber bitte bei mir, auf nutzerfreundlichen Plattformen mit fairen und einfachen Bezahlsystemen, bei denen die sinkenden Herstellungs- und Vertriebskosten als günstige Preise und großzügige Nutzungslizenzen an die Konsumenten weitergegeben werden.
Eine so von Anfang an umgarnte, nicht von vornherein kriminalisierte Kundschaft und ihre Kinder wären vermutlich seltener auf den Gedanken gekommen, “peer to peer”-Tauschbörsen oder dubiose Streaming- und Download-Webseiten für ihren Medienkonsum zu nutzen und sich damit eventuell strafbar zu machen. Viel zu spät entstanden legale Portale wie der Apple-“iTunes Music Store” – keines der wirklich erfolgreichen wurde und wird von der Musik-, Filmindustrie oder gar von Verwertungsgesellschaften betrieben. Inzwischen – wo mal wieder eine heftige Diskussion über Urheber- und Nutzungsrechte im Digitalzeitalter tobt (die wievielte eigentlich in den letzten 30 Jahren?), ist das Kind nicht nur in den Brunnen gefallen, sondern schon längst eine Wachsleiche.

Kein (Urheber-, Nutzungs-, Lizenz-, Leistungsschutz-, Anti-Produktpiraterie-)Recht der Welt – und sei es auch noch so neu und genial konstruiert – wird die Zeit komplett zurück drehen können. Es wird allenfalls noch notdürftig ein paar Wunden verbinden und Brüche schienen, aber nichts mehr wirklich heilen. Möglicherweise richtet es stattdessen sogar neuen Schaden an. Viele Chancen vertan und wenig kapiert, schon lange.

Crossposting von fastvoice.net. CD-Foto: Wikimedia Commons, Public Domain

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