von Gerd Langguth, 14.5.09
Immer noch gilt Gerhard Schröder als “der Medienkanzler” schlechthin. Seine Besuche bei Talkshows, seine Mitwirkung in Spielfilmen (“Der große Bellheim”), seine mediale Inszenierung insgesamt brachten ihm diesen nachhaltigen Ruf. “Jede Bundespressekonferenz geriet zu großem Kino”, so beschrieb der Journalist Christoph Schwennicke das Auftreten von Angela Merkels Vorgänger. Zweifellos beherrschte Schröder virtuos seine Selbstinszenierung – und doch bröckelt sein Image als Beherrscher der Medien.
Ob jemand den Titel „Medienkanzler“ verdient, hängt nicht nur von seiner Art des Auftretens in Medien ab, sondern auch davon, welche Wirkung er in den Medien erzielen konnte – und zwar auch längerfristig. Wenn man dieses Kriterium wählt, muss man feststellen, dass inzwischen Schröder weit hinter Merkel rangiert. Zweifellos war Schröder in der Phase seiner Kanzlerkandidatur von vielen Medien hochgeschrieben worden, zumal sich die Deutschen Helmut Kohl nach 16 Jahren einfach sattgesehen hatten. Der einstige niedersächsische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat verlor jedoch sehr bald die Unterstützung gerade großer Zeitungshäuser. Die ihm zugeschriebene Äußerung, wichtig seien „Bild, BamS und Glotze“, verprellten zusätzlich diejenigen Journalisten, die nicht für diese Massenblätter und für das Fernsehen arbeiteten.
Schröder, der schon als Bundestagsabgeordneter frühzeitig in der Bonner Kneipe „Provinz“ Kontakte mit eher links orientierten Journalisten aufnahm, verstand nicht, dass die Medien ihrer eigenen Funktionslogik folgen müssen, dass ihn die einst wirkungsvolle Kumpelhaftigkeit zwischen ihm und manchen Journalisten keinesfalls vor Kritik immunisierte. Die Kritik an politischen Inhalten wie Führungsstil Schröders wurde nämlich auch bei denen immer lauter, die in ihm eine Alternative zu Kohl gesehen hatten.
Die einstige stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Merkel kennt alles in allem sehr viel besser die Bedürfnisse der Medien – und sie hat damit bislang Erfolg: Bei den Bundestagswahlen 2005 hatte sie keine wirkliche Gegnerschaft – auch bei solchen Medien, die insbesondere Helmut Kohl traditionell feindlich gegenüberstanden, weder beim „Stern“, noch beim „Spiegel“ oder der „Zeit“. Selbst der Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung”, Hans-Werner Kilz, schrieb vor dem Wahltag einen Leitartikel, den man als Wahlempfehlung für Merkel interpretieren konnte. Ein Medienkanzler ist derjenige oder diejenige, der oder die die größte Wirkung und Nachhaltigkeit auf die Medien ausstrahlt.
Noch ist es zwischen Merkel und den Medien nicht zu solchen Verwerfungen gekommen, die Schröder insbesondere in seiner zweiten Amtszeit – beraten durch seine journalistisch versierte Gattin – auslöste. Insbesondere seine Neigung, Prozesse gegen Journalisten zu führen, fegte die Sympathie bei den Teilen der journalistischen Zunft hinweg, die ihm einst positiv gegenüberstanden.
Merkel hat offensichtlich vier Regeln der Medienpolitik, die ihren bisherigen Erfolg ausmachen:
Regel 1: Sie spricht mit Medien aller Couleur. Kohl hatte sich noch standhaft geweigert, etwa dem „Spiegel“ Interviews zu geben. Seine besondere Neigung galt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem damaligen Kirch-Sat1. Merkel geht bei ihren Interviewentscheidungen durchaus „politisch“ vor; sie gibt nicht jedem Wunsch nach Interviews sofort nach. Auch die bedeutenden Medien brauchen aber den Nachweis, dass sie bei der Kanzlerin Gesprächsfaden haben. Das weiß sie einzusetzen.
Regel 2: Sie vermeidet im Gegensatz zu Schröder jeden Ton von Kumpelhaftigkeit. Sie zeigt eine professionelle Distanziertheit zur journalistischen Klasse. Im unmittelbaren Kontakt zu Journalisten macht sie allerdings gelegentlich kritische Anmerkungen, wenn ihr die Berichterstattung nicht passt. Aber sie tut das eher auf eine milde und nicht verletzenden Weise; sie will aber zeigen, dass sie die Berichterstattung kennt. Merkel liebt Hintergrundgespräche, wo sie auch bezüglich innerparteilicher Gegner außerordentlich offen ist. Gelegentlich ruft sie sogar Chefredakteure selber an.
Regel 3: Ihre Nichtinszenierung ist ihre Inszenierung. Sie hat in ihrem Auftreten nichts Barockes an sich, ist antipompös – auch darin unterscheidet sie sich von Schröder und sogar Kohl. Aber sie ist stets auf der Suche nach „schönen“ Bildern, ob das etwa der berühmte Strandkorb beim Treffen der G-8-Industriestaaten in Heiligendamm war oder ihr Besuch von Grönland, wo sie im roten Anorak der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger den Klimawandel bzw. die Erderwärmung vor Ort studierte. Inzwischen weiß Merkel sogar ihre Kleidung einzusetzen, etwa als sie im April 2008 in Oslo mit einem tiefen Dekolleté eine Opernvorstellung besuchte. Insgesamt setzt sie einen Kontrapunkt zum männlich-körperbetonten, raumgreifenden, gelegentlich fast barocken Auftreten ihrer Vorgänger Kohl und Schröder.
Regel 4: Merkel achtet eisern auf eine Trennung zwischen Privatleben und Politik – zumal sie sich sowieso nicht viel Zeit fürs Private nimmt. Während Schröder öffentliche Liebeserklärungen an seine Frau Doris abgab, unterlässt Merkel alles, was eine Einbeziehung ihres Mannes in ihre Selbstdarstellung bedeuten könnte – mit Ausnahme seiner Teilnahme im Rahmen des Partnerprogramms bei hochrangigen internationalen Terminen, etwa bei den Feierlichkeiten der Europäischen Union oder beim Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama.
Merkel ist auch diejenige, die sich am intensivsten der neuen Medien bedient. Legendär ist ihre Politiksteuerung mit Hilfe von SMS – spöttisch kurz „Short Merkel Service (SMS)“ genannt. Im Moment kann Merkel mit der Nachhaltigkeit ihrer Medienbetreuung ganz zufrieden sein. Das hängt auch sicherlich mit der politischen Konkurrenz zusammen. Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier vermag den Medien nicht das gleiche „Futter“ zu geben, wie das eine Kanzlerin tun kann. Sie weiß den Amtsbonus als Kanzlerin auszunutzen, kann die interessanteren Bilder und Botschaften liefern. Im Verhältnis zu ihr wirkt Frank-Walter Steinmeier eher bieder.