von Wolfgang Michal, 12.6.09
Was wollen die Piraten?
Es begann im Januar 2006. Damals wurde in Schweden die allererste Piratenpartei gegründet. Sie verstand sich als politische Antwort auf die digitale Revolution. Rickard Falkvinge (37), der Gründer der Partei, sagte im Juni 2006: „Um die heutige Situation im Lichte der Geschichte zu verstehen, müssen wir 400 Jahre zurück gehen, in die Zeit, als die Kirche das Kultur- und Wissensmonopol innehatte. Was die Kirche sagte, hatte zu geschehen. Es war eine Pyramiden-Kommunikation. An der Spitze gab es eine dominierende Person, die zu denen, die weiter unten in der Pyramide waren, sprach… Damals war es den Bürgern unter keinen Umständen erlaubt, selbst Informationen zu verbreiten…
Dann kam der Buchdruck. Plötzlich gab es nicht mehr eine Wissensquelle, es gab mehrere. Die Bürger – die angefangen hatten lesen zu lernen – konnten plötzlich von nicht sanktioniertem Wissen profitieren. Die Kirche war wütend. Die königlichen Familien waren wütend. Die britische Königsfamilie ging sogar so weit, dass sie ein Gesetz erließ, das besagte, dass nur solche Drucker, die die Erlaubnis der Königsfamilie besaßen, das Wissen der Bürger mehren durften. Dieses Gesetz wurde “Copyright” genannt… Es ging also bereits damals um die Kontrolle von Kultur und Wissen, denn wer diese Dinge beherrschte, beherrschte die Welt.
…Das Internet gehorcht diesem Modell nicht mehr. Heute laden wir nicht mehr einfach Kultur und Wissen von einer zentralen Stelle herunter. Wir laden gleichzeitig hoch, zu anderen. Wir verteilen Dateien. Wissen und Kultur haben ihren zentralen Kontrollpunkt verloren. … File-Sharing begründet das gleichzeitige Hoch- und Herunterladen von jeder verbundenen Person ohne jede zentrale Kontrolle. Die Kultur fließt zwischen Millionen verschiedener Menschen – zur selben Zeit. Das ist etwas komplett Neues in der Geschichte der menschlichen Kommunikation.“
So weit der Gründer der schwedischen Piratenpartei. Heute ist es das Ziel der Bewegung, die durch das Internet erreichten Freiheiten zu bewahren und gegen jede Art von (staatlicher oder kommerzieller) Zensur bzw. Kontrolle zu verteidigen. Denn nach Auffassung der (deutschen) Piratenpartei ist durch die digitale Revolutionierung aller Lebensbereiche „die Würde und die Freiheit des Menschen in bisher ungeahnter Art und Weise gefährdet.“
Nach ihrem ersten Auftauchen in Schweden wurden die Piraten schnell zu einer weltweiten Bewegung, die sich generell für bürgerliche Freiheitsrechte und gegen den Zugriff des Überwachungsstaates engagiert. Damit stehen die Piraten durchaus in der Tradition der modernen sozialen Bewegungen seit den 1970er Jahren: der Umwelt-, der Frauen- und der Friedensbewegung. Es wäre deshalb fatal, sie (aufgrund ihres abseitigen Namens) zu ignorieren. Die von den Piraten diskutierten Themenbereiche zählen heute zu den Schlüsselthemen der hoch entwickelten Gesellschaften.
Wer sind die Piraten?
Rickard Falkvinge, der Gründer der Bewegung, studierte Technische Physik, war eine Zeit lang IT-Unternehmer und Projektleiter bei Microsoft. Als Student engagierte er sich in der Jugendorganisation der „Moderata Samlingspartiet“. Das ist eine im Schwedischen Reichstag vertretene bürgerlich-konservative Partei (!) mit neoliberalem Wirtschaftsprogramm.
Falkvinges Werdegang ist typisch für die Piraten. Unter den zehn Spitzenkandidaten der deutschen Piratenpartei zur Europawahl finden sich: 1 Diplom-Wirtschaftsmathematiker, 1 Diplom-Physiker, 3 Informatiker, 1 Software-Entwickler, 1 Web-Entwickler, 1 Physik-Student, 1 Geschäftsführer im Logistik-Gewerbe (Ex-Berufssoldat) sowie 1 IT-Consultant. Es sind ausschließlich Männer im Alter zwischen 23 und 47 Jahren. Damit repräsentiert die deutsche Piratenpartei in besonderem Maße die computerbegeisterte, aufstiegsorientierte, männliche (aber in den feminisierten sozialen Dienstleistungsgesellschaften unter Druck geratene) technische & naturwissenschaftliche Intelligenz. Bei zahlreichen Kandidaten handelt es sich um Mitarbeiter kleinerer Universitäten (Eichstätt, Münster) oder um selbstständige kleine IT-Unternehmer. Vor ein paar Jahren hätte man diese Leute wohl zum „neuen Mittelstand“ gezählt.
Wer wählt die Piraten?
Bei ihrer ersten Kandidatur zum Reichstag am 17. September 2006 erzielte die schwedische Piraten-Partei 0,63 Prozent der Stimmen (in absoluten Zahlen waren das 34.918 Wähler). Am 27. Januar 2008 – dem ersten Auftreten bei einer Wahl in Deutschland – konnte die Hessische Piratenpartei mit 0,3 Prozent einen Achtungserfolg erringen. Einen Monat später schafften die Hamburger Parteifreunde bei den Senatswahlen 0,2 Prozent. Im Januar 2009 konnte die Hessische Piratenpartei dann 0,5 Prozent erringen, das waren mehr als 13.000 Wähler. Bei den Europawahlen schließlich wählten bundesweit 229.117 Personen die Piratenpartei (= 0,9 Prozent). Auch die Grünen, heißt es, haben klein angefangen.
Ihr bestes Ergebnis erzielte die Piraten-Partei in Flensburg mit 2,1 Prozent. Vor allem in kleinen und mittleren Universitätsstädten konnte sie punkten: etwa in Jena, Oldenburg, Karlsruhe, Kiel, Aachen, Potsdam, Dresden, Leipzig, Mainz, Darmstadt, Erlangen oder Greifswald. In Berlin, Hamburg und Bremen lag sie ebenfalls über 1%. Für die Partei ist das nur logisch: “Freiheitsliebende, technisch versierte junge Menschen, die gegen eine restriktive Symbolpolitik sind, fühlen sich durch uns vertreten.”
Das einzig wirklich sensationelle Ergebnis holten die Piraten in ihrem Ursprungsland Schweden. Dort erreichten sie satte 7,1 Prozent. Bei den 18- bis 30-Jährigen waren es sogar 19 Prozent. Und bei den Jungmännern 30 Prozent! Auch in Deutschland wurde die Piratenpartei vor allem von 18- bis 35-jährigen, gut ausgebildeten städtischen Männern gewählt. Erleben wir – nach den stark weiblich geprägten Grünen – das Entstehen einer „Männerpartei“?
Was für eine politische Gruppierung sind die Piraten?
Der Wahlerfolg, sagen manche, wäre weit höher ausgefallen, hätte die Partei nicht diesen „bescheuerten“ Namen. Denn es handelt sich bei den Piraten ja keineswegs um Freibeuter oder Chaoten, sondern um normale Vereinsmeier mit superordentlichen Bundesparteitagen. Zwar zogen sie mit einem leicht abgewandelten Piraten-Schlachtruf „Klarmachen zum Ändern!“ (Entern!) in den Wahlkampf, aber gleichzeitig sagten sie: „Wir sind keine Piraten. Das Recht macht uns dazu.“ Sie tragen ihren Namen quasi aus Protest gegen eine veraltete Einschätzung „ganz normaler“ Handlungsweisen.
Ein Piratenwähler gab bei einem Diskussionsforum deshalb zu bedenken: „Mit ‚Partei Freiheit’ oder ‚Die Freiheitlichen’ (o.k., ist in Österreich negativ besetzt) oder so ähnlich könnte man das Gleiche aussagen und jedem wäre sofort klar, dass man zwischen FDP und Grünen positioniert ist, und der Parteiname wäre positiv besetzt. Auch wäre das Schützenswerte sofort klar, im Grundgesetz und in der Nationalhymne geht es zentral um das Thema ‚Freiheit’, das inzwischen überall zu kurz kommt…“
Zwar ist das nur die Aussage eines einzelnen Wählers, aber einer der deutschen Kandidaten der Piratenpartei nannte sich stolz einen „Feuerwehrmann der bürgerlichen Freiheiten“. Diese grundanständige Verknüpfung von Feuerwehr & Bürgerlichkeit deckt sich nicht ganz mit dem romantischen Freibeuterimage (und übrigens auch nicht mit der euphorischen Einschätzung Jens Bergers beim „Spiegelfechter“).
Trotzdem wäre es falsch, den „Aufstand der technischen Intelligenz“ gegen Gängelung und Kontrolle nun als Unmut von „Anarcho-Spießbürgern“ abzutun. Es handelt sich um einen Teil der radikalisierten Mitte, für den die alten Schubladen (vielleicht) nicht mehr passen. Aber neue Grüne sind es nicht.
Mit der Piratenpartei würde sich eine dritte liberale Kraft – neben FDP und Grünen – im deutschen Parteienspektrum etablieren. Ob es eine Partei für die nächste Generation wird (oder eine breit aufgestellte Bürgerrechtsbewegung) muss sich erst noch zeigen.