#Datenschutz

Elena: Die neue Volkszählung

von , 6.5.10

„Weniger Bürokratie, mehr Effizienz“ verspricht das Bundeswirtschaftsministerium vollmundig in seinem Faltblatt, mit dem es für den zu Jahresbeginn eingeführten Elektronischen Entgeltnachweis, kurz: Elena, wirbt. Elena soll die Einkommensdaten aller abhängig Beschäftigten – betroffen sind knapp 40 Millionen Bürgerinnen und Bürger – erfassen und zentral in einer Datenbank zusammenführen.

Fortan sollen die Arbeitgeber die Sozialversicherungsmeldungen und Beitragsnachweise an Krankenkassen monatlich zusätzlich an die Zentrale Speicherstelle (ZSS) der Deutschen Rentenversicherung weiterleiten. Das erklärte Ziel ist es, in Zukunft Sozialleistungen wie Arbeitslosen-, Eltern- und Wohngeld papierlos beantragen zu können und das Berechnungsverfahren zu beschleunigen.

Elena kann jedoch nicht nur das Versprechen der „Entbürokratisierung“ nicht einlösen. Entscheidend ist vielmehr, dass damit das größte Datenerfassungs- und Datenvernetzungsprojekt entstanden ist, das es jemals in der Bundesrepublik gegeben hat. Die unverhältnismäßige Datensammlung erfolgt allein auf den vagen Verdacht hin, dass der Arbeitnehmer eines Tages eine Sozialleistung beantragen könnte.

Das Verfahren stößt daher insbesondere bei Datenschützern auf massive Kritik. Sie befürchten einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Infolgedessen haben mehr als 22.000 Bürger im März Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung Elena eingereicht.

Gigantische Datensammlung

Im Detail enthalten die Datensätze unter anderem Angaben zu Einkommen, Beschäftigungsverhältnis und -zeitraum, Arbeitsstunden und Kirchensteuer, Krankheits- wie Urlaubstagen. Und das von sämtlichen abhängig Beschäftigten aber auch von Beamten, Richtern und Soldaten.

Fest steht bereits, dass die meisten bei der ZSS hinterlegten Daten niemals abgerufen werden. Doch damit nicht genug: Mit dem neu eingeführten Verfahren versucht die Bundesregierung zudem, an weitere sensible Daten der Arbeitnehmer zu gelangen. So müssen Unternehmen ab sofort beispielsweise auch die Gründe für Abmahnungen, Fehlzeiten und Kündigungen nennen.

Worin der Nutzen der erhobenen Informationen liegen soll, erklärt die Bundesregierung jedoch nicht. Anfangs hatte die schwarz-gelbe Koalition sogar vorgesehen, dass die Anzahl der Streiktage übermittelt wird. Gerade solche Daten könnten aber zur behördlichen Kontrolle „aufsässiger“ Arbeitnehmer missbraucht werden. Nach heftigen Protesten auch seitens der Gewerkschaften wird die Beteiligung an Arbeitsniederlegungen nun unter „sonstige unbezahlte Fehlzeit“ aufgeführt.

Faktisch hat die Bundesregierung mit Elena nicht weniger als eine Volkszählung für Arbeitnehmer eingeführt – deren Abfrage auch noch regelmäßig alle vier Wochen wiederholt wird. Bisher wurden die Einkommensdaten dagegen erst dann von den Arbeitgebern eingeholt, wenn sie von den Ämtern auch benötigt wurden. Zwar ist zu begrüßen, dass (ehemalige) Arbeitgeber nun nicht mehr davon erfahren, wenn einer ihrer Angestellten Sozialleistungen beantragt. Der Preis für dieses geringe Mehr an betriebsinterner Vertraulichkeit fällt allerdings dramatisch hoch aus.

Missbrauch ausgeschlossen?

Zudem dürfte die Datenbank, allein schon wegen der schieren Masse an privaten Informationen, nicht nur auf Hacker und Adresshändler große Anziehungskraft ausüben. Der Staat könnte – ähnlich wie zuvor bei den Mautdaten – die Zweckbindung der gespeicherten Daten aufheben. Wer garantiert daher, dass die staatliche Sammelwut eines Tages nicht auch Begehrlichkeiten bei anderen Behörden weckt, wenn zum Beispiel Finanzämter Steuererklärungen mit den hinterlegten Einkommensdaten abgleichen wollen?

Um Bedenken wegen eines möglichen Missbrauchs auszuräumen, werden die Daten zwar pseudonymisiert und in verschlüsselter Form gespeichert. Der Zugriff sollte dann eigentlich nur mit dem sogenannten Zwei-Schlüssel-Prinzip möglich sein: Beantragt ein Arbeitnehmer Sozialleistungen, müssen er und der Behördenmitarbeiter mittels Chipkarten die Freigabe der Daten zeitgleich autorisieren.

Allerdings werden die Profile erst nach Eintreffen auf den Servern der ZSS kodiert – eine entscheidende Schwachstelle. Zudem ist bei Elena auch eine sogenannte Backdoor, eine Art technischer Hintertür, vorgesehen, beispielsweise für den Fall, dass ein Arbeitnehmer seine Chipkarte verliert. Ein Datenzugriff ist damit auch ohne die entsprechende Signatur möglich. Die alternative „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“, bei der ausschließlich die Chipkarte des einzelnen Bürgers den Zugang zu den verschlüsselten Daten gewährt, wurde von der Bundesregierung nicht erwogen.

Großfeldversuch Smartcard

Aber auch diese Vorkehrung böte noch keine ausreichend Sicherheit. Denn Elena ist zugleich ein staatlich geförderter Großfeldversuch für eine bislang unausgereifte Chipkartentechnik – in dem das Prinzip der Datensicherheit durch ökonomische Interessen erfolgreich in den Hintergrund gedrängt wird.

Geht es nach dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM), soll die Chipkarte sprichwörtlich die eierlegende Wollmilchsau des digitalen Zeitalters werden. Mit ihr soll der Bürger sich nicht nur elektronisch ausweisen, sondern auch bezahlen können.

Die Smartcard ließe sich sogar als mobile Krankenakte einsetzen. Denn auch die elektronische Gesundheitskarte (eGK) oder der neue elektronische Personalausweis (nPA) lassen sich als Signaturkarte verwenden. Gerade die eGK gilt seit Jahren als „Leuchtturmprojekt“ wechselnder Regierungen – und als ein glückloses Vorhaben zudem. So scheiterten Testläufe bereits früh am Widerstand der Patienten und Ärzte, die datenschutzrechtliche Bedenken geltend machten.

Und auch gegen den neuen Personalausweis formiert sich zunehmend Widerstand. Er soll ab kommenden November auf einem RFID-Chip Informationen, etwa von Fingerabdrücken, speichern. Gerade die Funktechnik RFID schützt jedoch nicht hinreichend vor einer missbräuchlichen Abfrage der persönlichen Daten und damit vor dem Diebstahl der digitalen Identität. Ungeachtet dieser Risiken lässt die Bundesregierung den Bürgern keine Wahl: Sie sind ab 2012 verpflichtet, sich eine Signaturkarte anzuschaffen.

Das Ende von Elena?

Schließlich ist Elena auch ein kostspieliges Unterfangen. Zwar verspricht die Bundesregierung den Unternehmen jährliche Einsparungen in Höhe von mehr als 85 Mio. Euro. Diese Summe wird allerdings in erster Linie größeren Unternehmen zugute kommen. Denn die monatliche Datenübermittlung bürdet insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen erheblichen bürokratischen Mehraufwand und damit zusätzliche Kosten auf.

Zu guter Letzt scheinen noch Unklarheiten bei der Höhe der Ausgaben vorzuherrschen. So schätzt das Bundeswirtschaftsministerium die Kosten für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur auf insgesamt knapp 90 Mio. Euro; die gleiche Summe dürfte darüber hinaus jährlich auf Bund, Länder und Kommunen zukommen. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass die zugesagten Ersparnisse zu großen Teilen mit Steuermitteln gegenfinanziert werden müssen.

Das BMWi erwägt mittlerweile, Betriebe bis zu einer bestimmten Größe von der Speicherung auszunehmen. Diese kurzfristige Korrektur wird allerdings nicht ausreichen, um die zahlreichen Probleme von Elena zu lösen. Entscheidend ist vor allem, dass der Elektronische Entgeltnachweis eben jene Prinzipien der Datensicherheit, Verfahrenstransparenz und Kontrolle verletzt, die das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung nachdrücklich gestärkt hat.

Dies alles führt die Ziele von Elena gänzlich ad absurdum. Die Bundesregierung aber muss sich daher fragen lassen, ob Datensparsamkeit dem propagierten Bürokratieabbau nicht weit mehr gedient hätte.

Die Langfassung dieses Beitrags findet sich in den aktuellen »Blättern für deutsche und internationale Politik« (blaetter.de).

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