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Die Krautreporter: Kritik der Kritiker

von , 19.1.15

Wo man es in diesen Tagen mit jedem „Ist das euer Ernst, Krautreporter?“-Eintrag beinahe bis auf die Titelseite des deutschsprachigen Internet schafft, weil ihn jeder teilt, der sich insgeheim „Hähä, habe ich doch gleich gesagt.“ denkt: Was für eine mutige Prognose, wirklich. Dass die Krautreporter aus dem Stand eine voll funktionstüchtige Redaktionsmaschine würden bauen können, war ungefähr so realistisch wie die Prognose, dass die deutsche Nationalmannschaft nach dem Finale von Rio jeden Gegner vom Platz husten würde. Jeder, der ein Magazin gelauncht hat, weiß, was das für ein langer, mühsamer Prozess ist. Das ist kein Hundert-Meter-Lauf, bei dem man mit der Veröffentlichung der ersten Ausgabe im Ziel wäre. Es ist ein Marathon, bei dem es nach dem ersten Kilometer erst richtig los geht. Und wahrscheinlich wäre es klüger gewesen (wenn auch unmöglich), sich nach der erfolgreichen Kampagne erst einmal für ein Jahr zurückzuziehen, um zu planen und Routinen und Abläufe zu entwickeln. Im Moment haben wir stattdessen einen unverstellten Blick in den Krautreporter-Maschinenraum, in dem noch lange nicht jedes Rädchen ins andere greift – es sind ja noch nicht einmal alle Rädchen verschraubt. Aber vieles läuft schon erstaunlich gut.

Natürlich sind die Krautreporter Opfer ihrer eigenen Großmäuligkeit, die sich vor allem darin manifestiert hat, der Online-Journalismus sei kaputt und sie würden das wieder hinkriegen. Zum einen war diese Großmäuligkeit aber nur von der eines anderen geborgt, der davon sprach, dass das Internet kaputt sei, ohne zu versprechen, er würde es reparieren. Und zum anderen hätte es ohne dieses übergroße Versprechen nie die Aufmerksamkeit gegeben, die das Einlösen dieses Versprechens erst möglich gemacht hat. Man sehe sich nur an, welche Erfahrungen Journalisten im Moment beim Versuch machen, Geld einzunehmen für journalistische Inhalte. Punktuell gelingt das schon ordentlich – allerdings immer nur im Vorfeld. Dann nämlich, wenn einzelne Protagonisten um Geld bitten für ein konkretes Vorhaben. Versuchen Journalisten, Journalismus kontinuierlich zu monetarisieren, machen sie keine besonders vielversprechenden Erfahrungen. Das IT-Portal Golem zum Beispiel hat vor kurzem eine Zwischenbilanz seines im vergangenen August gestarteten Abo-Modells „Golem pur“ gezogen. Knapp 3700 Euro kommen danach im Moment zusammen. Das reicht knapp für eine Redakteursstelle. Fazit: „Von den 900.000 Euro, die Krautreporter durch Crowdfunding eingenommen hat, sind wir aber sicherlich noch über 20 Jahre entfernt.“ Dadurch, dass die Krautreporter den Mund so voll genommen haben, waren sie in der Lage, ein im Wortsinne zukunftsweisendes Projekt auf den Weg zu bringen. Das hat keine Häme verdient, sondern Anerkennung, nach wie vor.

Die beiden zentralen Vorwürfe derer, die mit ihren 60 Euro Krautreporter möglich gemacht haben, lauten: Viele Autoren, mit denen Krautreporter seine sehr öffentlichkeitswirksame Kampagne gefahren hat, haben wenig oder nichts veröffentlicht und die Beiträge, die veröffentlicht wurden, irrlichtern an jeder Relevanz vorbei. Dieser Vorwurf ist zum einen richtig und zum anderen falsch. Richtig ist er, weil es tatsächlich erstaunlich ist, wie gering offenbar die Bereitschaft von einigen ist, entgegen der Ankündigung Teil dieses Experiments zu sein. Über die Gründe kann man als Außenstehender nur spekulieren. Aber warum fragt eigentlich niemand: „Ist das euer Ernst, ihr, die ihr im vergangenen Frühsommer gesagt habt, ihr wäret Krautreporter, davon aber jetzt offensichtlich wenig oder nichts mehr wissen wollt?“ Dann kämen wahrscheinlich erhellende Erkenntnisse zustande, die eine konstruktive Diskussion möglich machen. So aber stehen Alexander von Streit und Sebastian Esser allein im eisigen Wind und reagieren auf die massive Kritik.

Und falsch ist der Vorwurf, weil, wenn man mal genau hinsieht, merkt, dass Krautreporter sein Versprechen durchaus einlöst, eine andere Art von Online-Journalismus zu etablieren. Das lässt sich gut daran illustrieren, wie das Team auf die Anschläge von Paris reagiert hat. Am vorvergangenen Samstag, drei Tage nach dem Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“, schrieb die Krautreporterin Victoria Schneider auf Twitter:

Sie folgte damit dem Beispiel des Reporters Jon Henley, der seine Recherchen für den Guardian regelmäßig auf diese Weise beginnt. In der sehr sehenswerten Dokumentation Journalismus von morgen – Die virtuelle Feder, die im vergangenen Sommer bei arte lief, erzählt er davon, wie er in seine Recherchereisen regelmäßig die Twitter-Follower einbindet: Was interessiert euch, habt ihr Ideen, habt ihr Kontakte? Genauso ging Victoria Schneider vor: Sie ließ sich in Paris sowohl von ihrer eigenen Nase leiten wie von dem, was ihr die Follower mit auf den Rechercheweg gaben. Parallel fragte die Redaktion in Berlin die Krautreporter-Mitglieder, die Franzosen sind, in Frankreich leben oder eine besondere Verbindung zum Land haben, nach ihren Eindrücken, Erfahrungen und Beobachtungen. Daraus entstanden mehrere lesenswerte Stücke von Victoria Schneider wie dieses über Muslime, die sich in Frankreich nicht zuhause fühlen. Außerdem trug die Redaktion eine Auswahl der Kollektivrecherche in einem eigenen Text zusammen, aus dem sich wiederum die deutsche Übersetzung eines von Luc Bessons ursprünglich auf Facebook veröffentlichten Briefes an einen fiktiven muslimischen Bruder ergab. Und zum Ende dieser Woche in Paris unterhielten sich Sebastian Esser und Victoria Schneider über ihre Eindrücke vor Ort via Skype (und veröffentlichten es auf Soundcloud).

Der kollaborative Journalismus, der Macher und Rezipienten auf Augenhöhe zusammenführt, wird unseren Beruf wesentlich prägen. Cordt Schnibben hat in seinem Spiegel-Blog-Eintrag zur Recherche der Hintergründe des MH17-Absturzes beschrieben, wie das Netz die Wahrheitsfindung verändert. Die Krautreporter marschieren in genau diese Richtung. Man kann das auf ihrer Seite gut nachvollziehen, es ist alles da. Man muss sich nur die Mühe machen, es zu sehen. Doch das machen offensichtlich nur wenige: Das Soundcloud-Gespräch hat bislang keine 30 Abrufe.

Seit zwei, drei Jahren vergehen kaum ein Mittagessen oder ein Feierabendbier, ohne dass sich Journalisten darüber beklagten, aus den Verlagen kämen keine oder zu wenige innovatorische Impulse. Und dann versuchen es ein paar Selbständige mit der Hybris und der Naivität, die man für eine solche Unternehmung braucht (mal eben knapp eine Million Euro einzusammeln, ohne zu wissen, worauf man sich da wirklich einlässt – das muss man sich erstmal trauen), einen innovatorischen Impuls zu setzen und kriegen jetzt beinahe jede Woche Knüppel zwischen die Beine geworfen. Beziehungsweise zwischen die Finger. Wie unter solchen Bedingungen die dringend notwendigen Innovationen über unsere Branche kommen sollen, soll bitte mal jemand derer erklären, die sich jetzt über die Performance der Krautreporter beschweren. Natürlich machen sie nicht alles richtig im Moment. Aber sie machen auch nicht alles falsch. Im Gegenteil.

Meine 60 Euro fürs zweite Jahr sind ihnen jedenfalls schon jetzt sicher.
 
Dieser Text erschien auch auf Schreiben-was-wird.de   

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