##btw13

Die falschen Fehleranalysen der SPD

von , 29.9.13

Zur Zeit steht die SPD zum Beispiel vor einer Zerreißprobe, die sie sich nur durch fehlerhafte Analysen in der Vergangenheit selbst eingebrockt hat. Es war einfach viel zu leicht, die Verantwortung für zum Teil verheerende Ergebnisse bei Landtagswahlen seit 2008 und der Bundestagswahl 2009 einfach auf die Große Koalition zu schieben. Da hatte man einen schönen Sündenbock und konnte weitermachen wie bisher.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache.



 

1. Fehlurteil

Die SPD kann sich in der Opposition besser entwickeln.


Falls es jemand vergessen haben sollte: Die SPD war seit 2009 nicht mehr in einer Großen Koalition, sondern in der Opposition, und hat dennoch gegen eine lausige schwarz-gelbe Regierung nur 25,7% eingefahren – Rot-Grün stagnierte auf niedrigem Niveau. Scheint ja ein super Tipp zu sein, diese Regeneration in der Opposition.

 

2. Fehlurteil

Regiert die SPD in einer Großen Koalition, verliert sie auf Länderebene.


Die SPD hat zum Teil ihre besten Wahlergebnisse auf Landesebene zur Zeit der Großen Koalition im Bund erzielt: Kurt Beck erreichte 2006 in Rheinland-Pfalz eine absolute Mehrheit, Klaus Wowereit erzielte 2006 sein bestes Ergebnis überhaupt, Andrea Ypsilanti führte die Hessen-SPD im Januar 2008 von 29,1 auf 36,7%, und Michael Naumann packte kurze Zeit später in Hamburg ein Plus von 3,6% auf das SPD-Ergebnis obendrauf.

 

3. Fehlurteil

Die SPD hat toll in der Großen Koalition gearbeitet und wurde dann abgestraft.


Wenn man das Desaster von 2009 richtig analysiert – und ich weiß, wovon ich spreche, ich war mittendrin – dann muss man doch klar zu dem Ergebnis kommen, dass man die SPD ernsthaft gar nicht wählen konnte, so ein jämmerliches Bild bot sie 2008/2009. Und zwar nicht in der Regierung, sondern außerhalb.

Über ein geschlagenes Jahr unterhielt die SPD die Nation mit den Ypsilanti-Festspielen aus Hessen, Ausschlussverfahren rund um die Tolerierung durch die Linkspartei, gescheiterte Probeabstimmungen oder den durchdrehenden Wolfgang Clement, immerhin ein Ex-Ministerpräsident und Ex-Superminister; von geklauten Dienstwagen in Spanien mitten im Wahlkampf ganz zu schweigen. In Folge wurde die Hatz auf Kurt Beck immer intensiver geführt, bis dieser am Tag der Nominierung des Kanzlerkandidaten vor laufenden Kameras über die Feuertreppe aus dem Parteivorsitz floh.

Diese ganze Entwicklung über Jahre zeigte den Menschen im Land eine Partei, die sich einfach selbst nicht leiden konnte. Und wie bei Menschen, die sich nicht leiden können, hat man dann ein Problem, einen Partner zu finden. “Ich bin hässlich, habe Pickel, rieche etwas und kann mich nicht leiden – willst Du mit mir gehen?” Wer sagt denn da ja? Immerhin noch 23%, muss man da sagen. Ein seltsames Volk.

 

4. Fehlurteil

Merkel hat auch die FDP kaputtregiert.


Bitte? Merkel hat die FDP kaputtregiert? Entschuldigung, aber da brauchte die FDP doch die Merkel nicht für. Das hat sie ganz alleine geschafft. Und zwar nicht durchs Regieren, sondern durch alles andere Drumherum. So, wie weiland die SPD. Merkel hat nur keinen Rettungsring geworfen. Aber das tut sie ja nie. Weder für Schavan, Guttenberg, die FDP, und schon dreimal nicht für die SPD. Aber das ist ja auch nicht ihr Job, wenn man mal ehrlich ist.

 

How to do it – nutze den Tag, SPD!

Ich bin kein Fan der Großen Koalition. Überhaupt nicht. Aber die Grünen haben sich gerade selbst zerlegt und zeigen der Republik, was für ein weinerlicher Haufen sie sind, wenn sie nicht bekommen, was sie sich gewünscht haben. Erinnert mich an ein trotziges Kind im Sandkasten. Mit denen könnte man nicht mal Rot-Rot-Grün machen, selbst wenn man es wollte. Außerdem haben sich alle, die man anrufen könnte, schon längst in die Büsche geschlagen.

Lasst uns ehrlich sein: Die Grünen sind zur Zeit im Bund nicht regierungsfähig. Das kann nicht die Rolle der SPD sein. Sie kann jetzt auch vieles besser machen als in den Verhandlungen 2005. Zu unschönen Dingen muss man sich gegebenenfalls zwingen lassen, die schönen muss man selbst reinverhandeln.

Vor allem aber hat die SPD die ganz seltene Chance, ihr Spektrum wieder zu erweitern: Die Grünen sind kaputt, die FDP tot, jetzt gilt es, neue Territorien zu erobern. Bürgerrechte, eine moderne Gesellschaft, mehr Demokratie – ein Aufbruch!



 

Also, das muss ins Paket: Es gibt sie noch, die schönen Dinge!

Mindestlohn – bekommt sie sowieso, da ist ja nicht mal die Union dagegen. Da gähnt die Merkel einmal, und drin ist es.
 Doppelte Staatsbürgerschaft. Jetzt endlich. Mit Zweidrittelmehrheit im Parlament. Ein Muss! 
Volle Anerkennung der Rechte Homosexueller – quält sie, die alten Recken.
 Frauenquote in Führungspositionen – wann, wenn nicht jetzt? Spalterthema für die Union.
 Betreuungsgeld weg, logo. Soll sich Hotte Seehofer gegen von der Leyen und die anderen drei Progressiven in der Union dran verschlucken.

 

Was soll nicht ins Paket: Don’t touch this!


Die Maut für Ausländer – die lassen wir schön die Kanzlerin abräumen. Hat sie ja im TV-Duell vor 17 Millionen Zuschauern versprochen. Nicht unser Ding. Ball liegt bei ihr – don’t touch this.
 Jetzt nur eines nicht machen – die ganzen Grausamkeiten an sich ziehen.

Denn das will die Union: Wer ist schuld, wenn die Steuern steigen? Die SPD. Wer ist schuld, wenn der Strompreis steigt: Die SPD. Wer ist Schuld, wenn es ein Gemurkse an der Gesundheitsfront gibt? Die SPD.

So wie 2005 darf es jedenfalls nicht laufen, dass ein Spalterthema für die eigenen Leute, wie die Rente mit 67, nicht am Ende eines langen Prozesses steht, in dem die SPD deutlich machen konnte, dass das nur unter Zähneknirschen und großen Zugeständnissen der Union möglich war. 2005 hat ja die Union gar nichts tun müssen – die SPD hat die Rente mit 67 ja schon mit in die Ehe gebracht, und Merkel sagte: Dankeschön, dass ihr den Schwarzen Peter gleich freiwillig nehmt. Ihr seid super! Kann man ihr ja nicht vorwerfen.

Fazit: Die Chance ist da, die Alternative sind Neuwahlen. Was ist jetzt besser? 
Wenn das Ding scheitert, dann an Hotte Seehofer und der Union, aber nicht an einer SPD, die ihre eigenen Fehler falsch analysiert und dabei eine große Chance vertut. Carpe diem, SPD.

 
Frank Stauss ist Mitinhaber der Kommunikationsagentur BUTTER. und hat über zwanzig Wahlkämpfe begleitet. In Höllenritt Wahlkampf beschreibt er seine Erfahrungen als Insider.

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