von Daniel Leisegang, 8.11.09
Die Printmedien befinden sich in einer schweren Krise. Eine Strategie, die ihr ökonomisches Überleben sichert, haben die meisten Verlage noch nicht gefunden. Stattdessen herrscht in den meisten Redaktionshäusern strikter Sparzwang. Unter dem steigenden Marktdruck werden tiefgehende interne Umstrukturierungen vorgenommen: ganze Ressorts werden eingestellt, Redaktionen zu sogenannten News-Rooms zusammengelegt und Zeilenhonorare über die Schmerzgrenze hinaus gekürzt.
Diese Entwicklung spitzt sich in der derzeitigen Wirtschaftskrise zusätzlich zu. Im Frühjahr hat zum Beispiel die WAZ-Gruppe bei ihren vier NRW-Titeln 300 der knapp 900 Redaktionsstellen gestrichen. Im Gegenzug erhielt deren Online-Portal „Der Westen“ gerade einmal 20 neue Mitarbeiter.
Auch die Süddeutsche Zeitung, auflagenstärkste überregionale Tageszeitung dieser Republik, plant bis Ende kommenden Jahres 60 Stellen in Verlag und Redaktion streichen, um so 10 Millionen Euro einzusparen. Es wird gemunkelt, diese Summe werde für die Bankverbindlichkeiten der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) benötigt, die vor zwei Jahren die Mehrheit am Verlag der SZ für insgesamt 700 Millionen Euro aufkaufte.
Selbst die verheißungsvolle Online-Welt muss gegenwärtig Federn lassen. Am Freitag entschied der Verlag M. DuMont Schauberg, die Netzeitung einzustellen und sämtlichen Mitarbeitern betriebsbedingt zu kündigen. Das Schicksal ihres Automagazins „Autogazette.de“ war da bereits besiegelt – drei Redakteuren ist vor wenigen Tagen gekündigt worden. Die Erstellung der Autobeilage der Berliner Zeitung, bislang Aufgabe der „Netzeitung“, liegt fortan in den Händen der Full-Service-Agentur „Raufeld Medien“. Sie verfügt nach eigenen Angaben „über ein Netzwerk von mehr als 100 freien Autoren“.
Einsparungen, Entlassungen und Outsourcing: Die tiefen Einschnitte in den Verlagshäusern verschärfen vor allem die Arbeitsbedingungen einer zugleich wachsenden Berufsgruppe, die der freien Journalisten. Allein in den vergangenen zehn Jahren dürfte sich ihre Zahl, so schätzt der Deutsche Journalistenverband (DJV), auf etwa 25.000 verdoppelt haben.
Freie Journalisten verfügen über kein geregeltes Einkommen und erhalten ihre Honorare bemessen an den gedruckten Zeilen. Der Zeitaufwand, um für eine gute Story zu recherchieren, wird nicht berücksichtigt. Laut einer Studie (PDF) des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes verdient ein freier Zeitungsjournalist, zumeist männlich und im Mittel 47 Jahre alt, monatlich im Durchschnitt knapp 2500 Euro brutto. Aufgrund der erdrückenden Marktkonkurrenz sind die Freien häufig gezwungen, Knebelverträge anzunehmen, mit denen sie sämtliche Rechte an ihren Texten an die Verlage abtreten. Eine zusätzliche Verwertung ihrer eigenen Beiträge ist ihnen damit nicht mehr möglich.
Das Gehaltsgefälle ist groß und knapp ein Drittel der freien Journalisten verdient gerade einmal bis zu 1000 Euro. Viele suchen daher ein zweites Standbein: So übt einer Studie der LMU München (PDF) zufolge jeder zweite freie Journalist neben seiner Tätigkeit als Autor eine Nebentätigkeit – zumeist im Bereich “PR/Werbung” – aus.
Schließlich wird sich ein „Freier“ gut überlegen, ob er für wenige hundert Euro wochenlang einer aufwändig recherchierten Story nachgeht, wenn Unternehmen und Lobbyorganisationen PR-Texte in Auftrag geben und diese Leistungen auch noch besser bezahlen.
So hat die neoliberale Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kürzlich drei Journalisten für das Projekt „Deutschland 24/30“ angeheuert, die „die „der sozialen Marktwirtschaft gegenüber positiv eingestellt und einem unternehmernahen Auftraggeber gegenüber aufgeschlossen sind.“ Sie sollten der Frage nachgehen, was aus der „guten alten Sozialen Marktwirtschaft“ geworden sei. Die Reportage dürfte am Ende im Sinne der Auftraggeber gewesen sein: Schließlich beißt niemand die Hand, die einen füttert.
Wenn die Meinungen von Journalisten, und damit die „vierte Gewalt“ als solche, infolge der Ausbeutung an den Meistbietenden verschleudert werden kann, nehmen fraglos nicht nur die unmoralischen Angebote der Lobbyorganisationen weiter zu – der Unterschied zwischen unabhängigen Informationen und interessengeleiteter PR droht am Ende gänzlich zu verschwinden.
Der Wettlauf nach unten verwandelt sich zudem in den freien Fall: Wenn billiges Infotainment und PR zunehmend kritischen Journalismus aus den Spalten verdrängen, ist die Glaubwürdigkeit der redaktionellen Berichterstattung selbst in Gefahr. Die Leser werden weiter abwandern und im Internet Alternativen suchen, die Anzeigenkunden werden ihnen folgen.
Der Ausweg aus dieser mehrdimensionalen Medienkrise indes ist denkbar einfach: Es ist ein Irrtum anzunehmen, journalistische Qualität gebe es zum Nulltarif. Längst hat die Diskussion über die Zukunft des Journalismus sowie unterschiedliche Erlösmodelle, von Micro-Payments bis hin zur Kulturflatrate, an Fahrt gewonnen. Allein auf diese Weise können Verlage aus dem Teufelskreis ausbrechen, investigative Recherchen gefördert und nicht zuletzt auch die Ausbeutung der freien Journalisten gestoppt werden.