von Ulrich Horn, 9.4.14
Der Fußball steht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre war sein Ruf dahin. Inzwischen setzt er Maßstäbe. Er bewegt viel mehr Menschen als jeder andere gesellschaftliche Zusammenschluss. Längst übertrifft er die Bindungskraft der Kirchen, Parteien und Gewerkschaften.
Die Sitten verrotten
Großen Einfluss übt er über das Fernsehen aus. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich ihm ausgeliefert. Sie räumen ihm ein, die Übertragungen mitzugestalten. Sie opfern ihm journalistische Distanz und fachliche Kompetenz.
Die Moderatoren üben kaum noch Kritik. Der Mangel beeinträchtigt die Spiel-Analysen. Die Interviews nach den Spielen sind nichtssagend. Den Trainern und Spielern begegnen die TV-Bediensteten oft devot. Geplappert wird überwiegend im Präsens. Den Konjunktiv haben die Sender und der DFB offenbar verboten. Oft treten die Interviewer so auf, als seien sie beim DFB und bei den Vereinen angestellt.
Die Moderatoren sind stark auf den FC Bayern fixiert. Der Verein wird ständig bejubelt. Die peinliche Lobhudelei zeugt davon, dass journalistischen Maßstäbe wegbrechen. In welchem Umfang die Sitten in den Sendern verrottet sind, zeigte der Auftritt der ZDF-Moderatorin Müller-Hohenstein während des Hoeneß-Skandals.
Spitzenmanager waren dienlich
Dass ARD und ZDF ehemalige Bayern-Spieler als Experten beschäftigen, die selbst Spiele der Bayern und der Nationalmannschaft mit ihrem hohen Anteil an Bayern-Spielern kommentieren, demonstriert, wie sehr die Sender und ihre Programm-Macher unter die Walze des Fußballs und dessen Machtzentrums, des FC Bayern, geraten sind.
Der Fußball hat auch die Justiz im Griff. Sie gab dem Steuerbetrüger Hoeneß ungewöhnlich viel Zeit, Belege beizubringen. So verschaffte sie ihm die Möglichkeit, den Prozessverlauf zu prägen. Die Aufklärung wurde der öffentlichen Verhandlung entzogen und in die Finanzverwaltung verschoben, die dem Steuergeheimnis unterliegt. Die Justiz ließ zu, dass die Straftat selbst bei der Aufklärung das Licht der Öffentlichkeit meiden kann.
Dienlich verhielten sich dabei die Manager deutscher Weltkonzerne im Aufsichtsrat des FCB. Sie hielten den Betrüger im Amt und unterließen eine vereinsinterne Untersuchung. Das, was zu verschleiern ist, scheint so groß, dass es diese mächtigen Aufsichtsräte vorzogen, lieber als Spießgesellen des Steuerbetrügers dazustehen, als den Anstandsregeln Geltung zu verschaffen, denen sie in ihren Konzernen unterliegen.
Den Steuerbetrüger gesalbt
Die Politik hat vor dem Fußball längst die Waffen gestreckt. Die CSU ist vom FC Bayern abhängig. Sie hat darauf hingewirkt, ihr Image und das des Landes dem des Fußballclubs anzupassen. Sie sind so eng miteinander verwoben, dass ein falsches Wort aus der Partei schwer auf sie zurückfallen könnte.
Sogar die Kanzlerin fürchtet offenbar den Fußball. Sie zeigte sich erleichtert, dass Hoeneß der Öffentlichkeit die Aufklärung ersparte. Die Regierungschefin zollte dem Steuerbetrüger Respekt dafür, dass er auf die Revision verzichtete und seinen Fall damit in die Dunkelkammern der Steuerbehörden mit ihren Verschwiegenheitspflichten verlagerte. Auch die SPD lobte ihn.
Unweigerlich fragt man sich: Was schlummert in den Hoeneß-Akten, das die Kanzlerin bewog, den Straftäter öffentlich zu salben? Ist Hoeneß nicht nur Täter, sondern auch Opfer? Geht er auch deshalb ohne Revision in den Knast, um ihn anderen zu ersparen?
Die Spielregeln dehnen
Der Fußball fesselt die Politik, weil er Massen fasziniert. Der Männersport wurde auch zur Herzensangelegenheit vieler Frauen. Viele Menschen scheinen ihre Identität weniger aus einem Glauben oder einer Überzeugung zu entwickeln, als aus der Zuordnung zu einem Fußball-Verein.
Der Staat trägt der Macht des Fußballs Rechnung, indem er riesigen Aufwand betreibt, um eine überschaubare Zahl gewalttätiger Fans in Schach zu halten. Wirklich durchgreifend geht er dabei nicht vor. Er weiß: Der Fußball, seine Vereine und die Fans sind gefährlicher Gegner, die man besser nicht reizt.
Längst prägt er den Alltag, auch mit seinen negativen Seiten, etwa mit der Neigung, sich den Spielregeln zu entziehen und sie zu dehnen. Taktische Fouls sind kein Tabu. Bei vielen Aktionen wird in Kauf genommen, den Gegenspieler zu verletzen. Als Rechtfertigung dient die Ausrede: Der Fußball sei halt ein Kampfspiel. Es ist inzwischen wohl mehr Kampf, Kommerz und Krampf als Spiel. Die WM in Brasilien wird es erneut zeigen.
Crosspost von Post von Horn