von Malte Spitz, 23.10.09
Datenschutz:
“Hierzu werden wir das Bundesdatenschutzgesetz unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsentwicklung lesbarer und verständlicher machen sowie zukunftsfest und technikneutral ausgestalten.”
Ein erster Ansatz, der aber viel zu kurz greift. Ein klares Verständnis von einem modernen Datenschutz sieht anders aus. Es müssen Leitbilder gelten, an denen sich die Entwicklung des Datenschutzes orientiert. Das Prinzip der Datenhoheit des Einzelnen gegenüber Staat und Wirtschaft muss ein wesentliches Leitbild sein. Nur wenn jeder sagen kann “Meine Daten gehören mir” kann der Datenschutz durchgesetzt werden und die notwendige Sensibilisierung stattfinden. Zudem fehlt ein Leitbild für den modernen Datenschutz. Die Herausforderungen der Digitalisierung werden nicht angegangen und die wenigen Ansätze zur Nachbesserung sind mindestens so schwammig wie die Klimaversprechen der Energiewirtschaft. Nichts zu Listenprivileg, höheren Strafen oder mehr Auskunftsrechten für den Einzelnen. Der Arbeitnehmerdatenschutz soll in einem eigenen Kapitel im BDSG verankert werden und eine Stiftung Datenschutz aufgebaut werden. Letzteres kann eine positive Entwicklung einleiten, wenn sie denn richtig umgesetzt und ausgestattet wird.
“.. Handel mit persönlichen Daten sind zu evaluieren. Das gilt auch für den ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte im Internet und bei der Einführung von Funketiketten.”
Diese Sätze finden sich beim Verbraucherschutz. Ist ja alles schön und gut. Aber Schwarz-Gelb kann doch nicht die ganze Welt evaluieren, sondern muss vor allem einmal politische Vorstellungen und Ziele verfolgen. Wer so in eine Koalition hineingeht, wie hier die FDP, wird nichts Ernsthaftes für den Datenschutz und die Stärkung der Bürgerrechte tun. Mit Funketiketten sind übrigens RFID-Chips gemeint.
Visa-Warndatei:
“Hierzu werden wir eine zentrale Visa-Warndatei schaffen, um so insbesondere die deutschen Visumbehörden bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen und den Prozess der Visumerteilungen insgesamt zu beschleunigen.”
Willkommen neue Zentraldatei! Anstatt dem Irrsinn zentraler Speichermonster entgegenzutreten, wird hier gar ein neues geschaffen. Begründung ist wie so oft die Vereinfachung der Arbeit. Zunächst sollen die Menschen in der Datei “erkennbar” gemacht werden, die bereits einmal auffällig wurden .
SWIFT-Abkommen:
Bsp: “Die Menge der zu übermittelnden Daten ist möglichst gering zu halten.”
Die Ziele, die man jetzt noch erreichen will, sind so weich formuliert, dass man nach einem kräftigen Auf-die-Schulter-Klopfen trotzdem alles unterschreibt. Auch wenn ein Ratifizierungsvorbehalt drin steht, so soll dies nur bescheinigen, dass man doch eigentlich für Datenschutz eintreten möchte. Begriffe wie “einsetzen”, “eingegrenzt” oder “gering zu halten” weisen aber schon jetzt auf die Inkonsequenz am Ende hin. Ein schlechtes Alibi ist das, weiter nichts.
Vorratsdatenspeicherung:
“Wir werden den Zugriff der Bundesbehörden auf die gespeicherten Vorratsdaten der Telekommunikationsunternehmen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung aussetzen und bis dahin auf Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit beschränken.”
Hier enttäuscht die FDP am meisten. Denn alles bleibt letztendlich beim Alten. Und man fragt sich schon, welche anderen Bundesbehörden Zugriff auf Daten der Vorratsdatenspeicherung haben – außer dem Bundeskriminalamt. Dies ist nicht einmal ein Kompromiss, sondern letztendlich eine Fortführung des Status Quo. Datenschutz sieht anders aus und die FDP verlässt sich hier alleine auf das Bundesverfassungsgericht. Das ist einer Bürgerrechtspartei unwürdig. Hätte man seine Versprechen ernst gemeint, hätte man den Konflikt mit Europa gesucht. Soweit kommt es aber nicht, man sucht nicht einmal den Konflikt mit Schäuble und Co. Statt dessen werden die schon gemachten Vorgaben aus Karlsruhe als eigene Initiative verkauft.
Geistiges Eigentum:
Hier ist der größte Kahlschlag zu erwarten. Die Pläne sind quer durch den ganzen Vertrag verstreut:
“Wir werden uns auch auf europäischer und internationaler Ebene für wirksame Maßnahmen gegen die weltweite Marken- und Produktpiraterie einsetzen.”
Das heißt für mich nichts anderes, als: ACTA wir kommen! Das ist eine Drohung nicht nur an die Menschen sondern auch das Parlament. Die Geheimdiplomatie bei Wirtschaftsfragen muss ein Ende haben. Wir opfern unsere Grundrechte nicht einer besseren Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie.
“Wir werden das Urheberrecht deshalb entschlossen weiterentwickeln, mit dem Ziel ein hohes Schutzniveau und eine wirksame Durchsetzbarkeit des Urheberrechts zu gewährleisten.”
Was das bedeuten soll, weiß niemand. Immerhin wird das Three Strikes-Modell nach französischem Vorbild ausgeschlossen. Die “Möglichkeiten der Selbstregulierung” zu nutzen , wird wohl auf langweilige, ausufernde und nichts-bringende Sitzungen beim BMWi oder BMJ hinauslaufen. Damit ist weder den Bürgerinnen und Bürgern geholfen noch den Kreativen. Wir brauchen einen echten Aufbruch in der Urheberrechtspolitik. Einen Vorstoß, der einen fairen Ausgleich sicherstellt – zwischen Nutzern und Kreativen. Auch hier ist die neue Bundesregierung ganz blass um die Nase und ideenlos.
“Wir wollen deshalb Maßnahmen unterstützen, die das gesellschaftliche Verständnis für die Bedeutung des Urheberrechts und den Respekt vor fremdem geistigem Eigentum fördern.”
Da dürfen wir uns wohl auf eine staatliche Raubkopierer sind Verbrecher Kampagne freuen.
Telekommunikationsüberwachung:
“Die Reform der Telekommunikationsüberwachung werden wir im Hinblick darauf evaluieren, ob deren Ziele erreicht wurden und welche Maßnahmen zur Optimierung ergriffen werden können.”
Die Antwort von der FDP wurde eigentlich noch vor der Wahl gegeben, durch Jörg van Essen als dieser in einer Pressemitteilung am 23. September schrieb: “Damit ist klar: Die Reform der Telekommunikationsüberwachung durch CDU/CSU und SPD ist gescheitert. Die Ziele der Reform konnten nicht erreicht werden.” Hiervon findet sich nichts mehr im Koalitionsvertrag wieder. Man will nur ein bisschen evaluieren und dann mal schauen.
Internetsperren:
Hierzu wurde ja bereits einiges gesagt. Der angebliche Kompromiss ist meiner Meinung nach gar keiner. Die Verträge wie das Gesetz sollen weiterhin bestehen und es gibt keine Kriterien für die Evaluierung des “Löschens”. Man darf sich also darauf freuen, noch über ein Jahr lang hoffentlich sperrfrei zu surfen. Der Sperrmüll steht aber leider weiterhin auf der Tagesordnung und auch im Gesetz.
Informationsgesellschaft:
Dazu steht eigentlich gar nichts drin. Man kann es so oder so lesen. Jugendschutz will man konsequenter durchsetzen, schreibt aber nicht wie. Internetstreifen und “erleichterte elektronische Kontaktaufnahme mit der Polizei” ist angestrebt. Aber auch hier fehlen die Konzepte. Netzneutralität ist als Problem offenbar nicht bekannt – das soll der Mark alleine richten.
Waffenrecht:
“..ob es im praktischen Vollzug unzumutbare Belastungen für die Waffenbesitzer gegeben hat.”
Hat man ansonsten keine Sorgen? Ziel von Schwarz-Gelb ist, dass die Waffenbesitzer nicht zu stark von den ohnehin schwachen Neuregelungen betroffen sind. Das Millionen Waffen in Deutschland legal aber auch illegal Schaden anrichten ist wohl völlig zweitrangig. Hier braucht es schärfere Regeln und letztendlich ein Verbot. Zig Waffen und Tausende Schuss Munition haben nichts in Privathäusern zu suchen.
Bekämpfung von politischem Extremismus:
“Die Aufgabenfelder des Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt sowie des Bündnisses für Demokratie und Toleranz sollen auf jede Form extremistischer Gewalt ausgeweitet werden.”
Die wichtige und notwendige Schwerpunktsetzung auf den Kampf gegen Rechtsextremismus ist nun zu Ende. Für die neue Bundesregierung ist Rechtsextremismus = Linksextremismus. Andere Extremismen wie Islamismus werden da auch noch eingeordnet. Das kann das Ende bedeuten für langjährige Projekte im Kampf gegen Rechtsextremismus, wenn die finanziellen Mittel nicht aufgestockt werden. Mit dieser fehlenden Schwerpunktsetzung spielt die neue Bundesregierung den Rechten nur in die Hände. Die Zahlen sind aber deutlich: Für 2008 sind die Straftaten der rechten Szene wieder deutlich gestiegen – um 15,8 Prozent auf insgesamt 19.894 Delikte. Für Straftaten mit linksextremem Hintergrund verzeichnet der aktuelle Bundesverfassungsschutzbericht ein Plus von 13 Prozent mit 3.124 registrierten Delikten.
Bürgerbeteiligung:
Das Petitionswesen soll weiterentwickelt werden, bspw. Anhörung im Bundestagsplenum zu Massen-Petitionen. Andere Formen der Beteiligung, gerade die elektronische Öffnung der Ministerien und des Parlaments sind nicht vorgesehen. E-Partizipation kommt im Vokabular von Schwarz-Gelb nicht vor.
Sicherheitsforschung: “Wir bauen die Forschung für die zivile Sicherheit aus, um die Sicherheit von Bürgern, Gütern und Infrastrukturen vor Terrorismus, organisierter Kriminalität sowie Natur- und Umweltkatastrophen zu schützen.”
Soll ausgebaut werden aber ohne mehr Transparenz, ohne ein klares Forschungsziel (Bsp. Abbau von Eingriffen in die Privatsphäre) oder eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen.
Fazit:
In Hinblick auf die digitale Zukunft Deutschlands und die Stärkung der Bürgerrechte und des Datenschutzes ist von einer schwarz-gelben Bundesregierung nichts zu erwarten. Es mangelt dieser Koalition an einem Verständnis der Herausforderungen, die vor uns stehen. Man verliert sich in ewig langen Füllsätzen, ohne einmal konkret aufzuzeigen, wo es eigentlich hingehen soll und warum. Es fehlt das gemeinsame Verständnis für die digitale Entwicklung und die Möglichkeiten die daraus entstehen. Das Internet wird – nach CDU-Manier – primär als Gefahrenquelle betrachtet, welche es zu beobachten und zu regulieren gilt. Von Überwachung möchte aber niemand sprechen. Das beste Beispiel dafür, wie ziellos diese neue Bundesregierung bei diesen Themen ist, ist die Häufigkeit der gewünschten Evaluierung. Es drängt einem schon fast auf, das es bald ein Evaluierungsministerium gibt. Alles wird erstmal evaluiert und dann schaut man mal weiter, von Internetsperren, über Datenschutz, über die Rechtspolitik bis zur Netzneutralität. Evaluierung ist notwendig – aber sie kann ein politisches Konzept und ein politisches Ziel nicht ersetzen. Davon ist bei Schwarz-Gelb aber nichts zu erkennen, schon gar nichts Liberales. Die Chance eines Aufbruchs nach den verlorenen vier Jahren Große Koalition wird nicht wahrgenommen. Es ist so überhaupt kein Aufbruch bei der Netzpolitik zu spüren, das es einem schon fast vorkommt, das man noch am Anfang des Jahrzehnts steht. Auch in anderen Bereichen werden falsche Wege eingeschlagen, beispielsweise beim Kampf gegen Rechtsextremismus. Dieser läuft nun allgemein nur noch unter Extremismus-Bekämpfung. Die zunehmende Gewalt aus der rechten Szene wird durch solche Ansätze verschleiert, da man damit die besondere Härte kaum noch sieht.
Der Text basiert auf verschiedenen mir vorliegenden Texten aus den Verhandlungsgruppen. Alle Texte sind wenige Tage alt und dürften nicht mehr im wesentlichen verändert werden. Hinweise zu Veränderungen zum abschließenden Koalitionsvertrag nehme ich gerne an.
Malte Spitz ist Medienpolitiker und Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen. Er diesen Text zuerst in seinem Blog veröffentlicht. Wir crossposten diesen Gastkommentar hier mit freundlicher Erlaubnis des Autors.