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Dem Physischen verhaftet

von , 13.11.13

Der Gedanke selbst ist ja nicht neu: Schon Thilo Weichert vom ULD in Schleswig-Holstein legt ja merkwürdig Wert darauf, daß die Server, auf denen die Daten Bundesdeutscher gespeichert werden, physisch in Deutschland oder  in der EU stehen. Das war auch damals schon Unsinn: Interessant ist nicht, wo die Server physisch stehen, sondern welchen Betriebsprozeduren sie unterliegen, und welchen rechtlichen Verpflichtungen ihr Betreiber nachkommen muß. Und ob das wirkungsvoll kontrolliert wird.

Rechtlich ist der Betreiber dabei an die Gesetze gebunden, die in dem Land gelten, in dem er seinen Hauptsitz hat, und in den Ländern gelten, in denen er seine Dienste anbietet. Einen Mechanismus, der dabei sich direkt widersprechende Regeln auflöst, gibt es meines Wissens nicht …

Und für die Technik spielt das genau gar keine Rolle. Will sagen:

Facebook oder Google werden Server in Deutschland genau mit denselben Sysadmins und genau denselben Automatisierungsscripten bearbeiten, mit denen sie auch die Server in Asien oder den USA beackern.

Der Datenbestand, den diese Dienste zu verarbeiten haben, ist zu groß für eine einzelne Maschine. Man kann den Facebook-Server genauso wenig beschlagnahmen wie den web.deMailserver” (ja, damit hat – wörtlich – mal jemand mit Mütze gedroht).

Stattdessen teilt man den großen Datenbestand in eine Reihe von nicht überlappenden Teilstücken auf (Partitionen) und weist dann jedem Server eine Reihe dieser Teilstücke zu (Sharding). Dabei kann es mehr als eine Kopie jedes Teilstücks geben (Replikation), damit auch in einem weltweiten Netz die Kopien nahe bei den Kunden sind, die nach den Daten fragen.

Normalerweise geschieht das Management dieser Shards und ihrer Replikation automatisch: Werden Daten überwiegend aus Deutschland angefragt, gibt es eine oder mehrere Kopien dieser Daten auf Servern, die physisch in Deutschland stehen. Kommen im Sommer weitere Anfragen nach denselben Daten aus Spanien oder Griechenland dazu, werden weitere Kopien erzeugt, die physisch dort liegen, damit die Anfragen von Kunden dort schneller beantwortet werden können.

Der Managementprozeß sorgt dafür, daß immer genug Kopien der Daten vorhanden sind, um Ausfallsicherheit sicherzustellen, und er sorgt dafür, daß die Kopien an den Orten zu finden sind, an denen sie gebraucht werden.

Auch unsere Dienste tun sich mit Ländergrenzen schwer. So ist im Rahmen der ganzen Diskussion mehr als einmal erwähnt worden, daß unsere Dienste die Mails von Deutschen nicht mitschneiden, denn das dürften sie ja nicht. Als Unterscheidungsmerkmal wurde dabei, wenn überhaupt eines genannt wurde, die Länderkennung der Domain genannt.

Das ist natürlich auf jeder denkbaren Ebene Unsinn.

Zum einen ist die Mail eines Deutschen auch dann die schützenswerte Mail eines Deutschen, wenn sie als [email protected] versendet wird.

Zum anderen wird der für die Mailverarbeitung zuständige Rechner im Domain Name System durch eine Ressource benannt, die MX (Mail eXchanger) Record genannt wird. Schauen wir uns doch mal die MXe einiger Domains an:

Die Firma Schlund ist Teil des United Internet/1&1-Imperiums und bietet Maildienste an: Man kann Mail als schlund.de oder schlund.com bekommen.

Eine kurze Nachfrage zeigt:

KK:~ kris$ host -t mx schlund.com
schlund.com mail is handled by 10 mxintern1.schlund.de.
schlund.com mail is handled by 10 mxintern0.schlund.de.
schlund.com mail is handled by 10 mxintern2.schlund.de.

Mail an [email protected] wird also von den Rechnern mxintern0 bis mxintern2.schlund.de (de!) gehandhabt. Genau so bei schlund.de:

KK:~ kris$ host -t mx schlund.de
schlund.de mail is handled by 10 mxintern0.schlund.de.
schlund.de mail is handled by 10 mxintern2.schlund.de.
schlund.de mail is handled by 10 mxintern1.schlund.de.

1&1 betreibt auch GMX: Man kann sich beim Einschreiben für eine von mehreren Adressen entscheiden, unter anderem gmx.net oder halt gmx.de.

KK:~ kris$ host -t mx gmx.de
gmx.de mail is handled by 10 mx00.gmx.net.
gmx.de mail is handled by 10 mx01.gmx.net.
KK:~ kris$ host -t mx gmx.net
gmx.net mail is handled by 10 mx00.gmx.net.
gmx.net mail is handled by 10 mx01.gmx.net.

Für die Zustellung ist es egal: In jedem Fall geht die Mail an mx00 oder mx01 von gmx.net – eine böse nichtdeutsche Domain, die von unseren Diensten abgehört werden darf!

Der Rechner mx00.gmx.net, der die Mail für GMX annimmt, hat übrigens die Internet-Adressen

KK:~ kris$ host mx00.gmx.net
mx00.gmx.net has address 213.165.67.99
mx00.gmx.net has address 213.165.67.114,

und er steht, wenig überraschend, im selben Netzwerk 213.165.67.x wie der Rechner mx-ha02.web.de, der die Mail für web.de annimmt.

KK:~ kris$ host -t mx web.de
web.de mail is handled by 100 mx-ha02.web.de.
web.de mail is handled by 100 mx-ha03.web.de.
KK:~ kris$ host mx-ha02.web.de.
mx-ha02.web.de has address 213.165.67.120

“E-Mail made in Germany” und “clean pipe” sind, solange sie so dem Physischen verhaftet bleiben, Hirngespinste und operative Hektik. Sie können als Symbolpolitik zur Beruhigung von Ahnungslosen eingesetzt werden, aber sie ändern die Sicherheitslage nicht.

Sie können jedoch deutlich negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Netzwerkes haben, denn sie schalten Lastausgleichsmechanismen wie die oben erwähnten Shard-Replikationsmechanismen aus und machen es notwendig, daß man als Deutscher in Nichtdeutschland auf die einzige Kopie seiner Daten in Deutschland zugreifen und so ein langsameres und weniger zuverlässiges Netz in Kauf nehmen muß.

  • Ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn läge vor, wenn man Betreiberfirmen von Netzwerkdiensten zwänge, ihre internen Prozesse zu dokumentieren und die Einhaltung dieser dokumentierten Prozesse verifizieren würde.
  • Ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn läge vor, wenn man dies auch auf die Sicherheitsprozesse und das Sicherheitsmanagement in diesen Firmen ausdehnte.
  • Ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn läge vor, wenn man dann offensiv auf sichere und verschlüsselte  Kommunikation und Speicherung migrierte und unsichere, unverschlüsselte Protokolle wie HTTP, IMAP, POP oder SMTP ohne TLS verzichtete und diese nicht mehr anböte.

Tatsächlich passiert das alles schon – insbesondere Google ist eine Firma, die genau alle diese Dinge schon seit Jahren macht, sie sich auditieren läßt und die Dokumentation dieser Audits ihren Kunden auch zugänglich macht …

Und dann ist da noch das Problem der Systeme und der Vernetzung, des “Die gegen Wir”, über das mspr0 schon etwas sehr wichtiges geschrieben hat – http://mspr0.de/?p=3851 <- Lesebefehl1 und http://www.ctrl-verlust.net/10-thesen-zum-neuen-spiel/ <- Lesebefehl2.

 
Siehe auch:
Datenschutz: Telekom plant deutsches Internet – Golem.de:
 

Die Deutsche Telekom will auf verschiedene Weise die Sicherheit im Netz erhöhen. Neben einem speziellen Angebot für Unternehmen ist auch ein innerdeutscher Internetverkehr in Vorbereitung.

 
Crosspost von Die wunderbare Welt von Isotopp
 

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