#Bürgerrechte

Das Urgestein des Überwachungsstaats

von , 30.7.13

Der Spiegel hat auf der Abraumhalde der Politik gescharrt und erwartungsgemäß dabei was gefunden? Richtig: “Politik-Urgestein”. Urgestein ist, nun ja, steinalt, irgendwie schroff und starr. Dass Urgestein unter dem Einfluss von Fakten oder Argumenten erodiert, ist bisher nicht bekannt. Womit wir bei Otto Schily wären.

In einem dreiseitigen Interview in der aktuellen Ausgabe des Spiegel stellt er unter Beweis, dass er kein Freund des vielgepriesenen lebenslangen Lernens ist – oder um es positiv zu formulieren: Otto Schily bleibt sich treu. Dabei schreckt er sogar vor der Wahrheit nicht zurück: Falls es stimme, was Edward Snowden aufgedeckt hat, dann
 

“hat die NSA möglicherweise die Kommunikation, die über amerikanische Internetserver und Unternehmen lief, gespeichert, um im begründeten Einzelfall darauf zurückgreifen zu können. Das wäre im Prinzip die gleiche Methode, die wir als Vorratsdatenspeicherung kennen.”

 
Wenn Otto Schilys Parteigenossen Steinbrück und Steinmeier die gleiche Offenheit aufbringen würden, dann müssten sie entweder ruckartig die Kritik an Kanzlerin Merkel und ihrem Gefolge einstellen, die sich angesichts des Überwachungsskandals aufs Vertuschen und Verschweigen verlegt haben. Oder aber Stellung gegen die Vorratsdatenspeicherung beziehen, und zwar mit “klarer Kante”, um es mal steinbrücksch-markig zu formulieren.

Schilys Unverblümtheit entspringt nicht etwa einer übermächtigen Wahrheitsliebe, hier bricht sich wieder einmal seine verächtliche Haltung gegenüber dem Wählergesindel Bahn, sein Leitspruch dabei ist das gutsherrliche “Friss, Vogel, oder stirb”. Was macht es schon, wenn ihr wisst, dass Vorratsdatenspeicherung und Prism Zwillingsbrüder sind? Ihr könnt ja doch nichts dagegen ausrichten. Da ist es nur folgerichtig, dass er denen, die da in Sorge sind um Grundrechte und Demokratie, “wahnhafte Züge” bescheinigt.

Allerdings gibt es auch für Otto Schily eine Grenze, an der der Spaß aufhört, so ganz schrankenlos soll die Überwachung denn doch nicht sein:
 

“Wenn der britische Geheimdienst die Kommunikation beim G-20-Treffen in London belauscht haben sollte, wäre das ein unerhörter Vorgang.”

 
Und diese Ausforschung von Elitepersonal bewegt den Ex-Bundesinnenminister so sehr, dass er nachlegt:
 

“Wenn wirklich internationale Delegationen abgehört werden, dann ist die Grenze des Zulässigen bei weitem überschritten.”

 
Schilys Staatsräson, so geschickt sie auch im Wechselspiel von Geschmeidigkeit und Grobianismus vorgetragen wird, ist denkbar simpel gestrickt. Wir hier oben wissen schon am besten, was gut für euch ist:
 

“Ich empfehle ein gewisses Vertrauen in den Staat und seine Sicherheitsbehörden.”

 
Den Untertan – pardon: Bürger – seiner Rechte zu berauben, fällt da nicht ins Gewicht, doch für wirtschaftliche und politische Eliten bedeutet es schon eine despektierliche Zumutung, sich ans Recht zu halten; das zeigte auch seine unbeugsam-unwürdige Haltung, als es darum ging – wie vom Abgeordnetengesetz gefordert -, die eigenen Einkünfte aus Nebentätigkeiten neben dem Abgeordnetenmandat zu deklarieren.

Die Postulate der Cypherpunks der späten achtziger Jahre lassen sich zur Not auf einen Satz herunterbrechen: Privatsphäre für die Machtlosen, Transparenz für die Mächtigen. So, hoffte man, ließe sich die Informations-Asymmetrie zwischen Eliten und Bürgern mildern. Kaum jemand verkehrt diese Maxime so konsequent ins Gegenteil wie Otto Schily: Er will den entblößten Bürger womöglich noch einer Enddarmuntersuchung unterziehen, während die wirtschaftlichen und politischen Eliten ihre diskreten Absprachen hinter wohlgepolsterten und verschlossenen Türen treffen.

Trotzdem: Nach all dem Gelalle, das wir in den letzten Wochen von Bundeskanzlerin, Bundesinnenminister und dem Chef des Bundeskanzleramts anzuhören hatten, ist dieses Interview fast schon erfrischend. Da redet einer Tacheles – und wenn es für den Überwachungsstaat ist. Ein echtes Urgestein eben.
 

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