von Marek Dutschke, 25.9.09
Wer die Rede von Barack Obama zur Gesundheitsreform vor dem Kongress auf YouTube angeschaut hat, muss Gänsehaut bekommen haben. Da war ein begnadeter Rhetoriker auf der Höhe seines Könnens zu sehen, der sich mit großer Überzeugungskraft fast eine Stunde lang ausschließlich einem Thema widmete. Jede Minute war emotional aufgeladen und jeder Satz genau abgewogen, um den richtigen Ton zu treffen.
Trotz Mehrheiten in beiden Kammern für seine Partei muss Obama für seine Reformvorhaben kämpfen. Seine politischen Gegner bekämpfen ihn mit allen Mitteln. Sie lügen, sie schüren Ängste und mobilisieren ihre Anhänger auf der Straße, um Druck auszuüben. Sie behaupten, dass die Steuerzahler für die medizinische Versorgung illegaler Mexikanern die Zeche zahlen müssten. Sie behaupten, dass eine staatliche Gesundheitsoption es ermögliche, dass Abtreibungen von den Krankenkassen bezahlt werden. Gesetzespassagen über Patientenverfügungen werden in die Nähe des Faschismus gerückt. Denn sie behaupten, dass zukünftig Bürokraten wie bei den Nazis Euthanasie an Alten und Kranken beschließen könnten. Bilder von schreienden und verstörten Menschen, teilweise bewaffnet bei den Townhall Meetings waren oft zu sehen.
In der Bevölkerung sinken die positiven Umfragewerte für Obamas Politik. Er muss die Ängste entkräften und Hoffnung ausstrahlen. Die Rede vor dem Kongress ist ein Instrument, dies umzusetzen. Und in der Tat ist er in der Lage, die Rede herüberzubringen. Er verdeutlicht, dass es ihm um die 30 Millionen US-Amerikaner gehe, die nur eine rudimentäre oder gar keine Gesundheitsversicherung haben. Diese Menschen sollen im Krankheitsfall nicht in den Ruin getrieben werden. Obama beabsichtigt, dass jeder Bürger eine bezahlbare und umfangreiche Gesundheitsversicherung bekommen müsse. Sorgfältig ist die Rede mit traurigen Einzelschicksalen illustriert. Darüber hinaus gibt es sogar Lob für den politischen Gegner, etwa John McCain. Er bietet den Republikanern Gesprächsbereitschaft an, um einen möglichen Kompromiss zu finden. Zu guter letzt beruft er sich auf den verstorbenen Senator Edward Kennedy, dessen Witwe und Kinder unter den Zuschauern sind. Obama zitiert aus einem Brief, den er von Kennedy nach dessen Tod erhalten hat. Spätestens an dieser Stelle war ich selbst den Tränen nah.
Wenden wir uns der Schlussphase des deutschen Wahlkampfs zu. Einerseits können wir uns freuen, dass sich die politischen Lager in Deutschland nicht so erbittert bekämpfen, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens in Fragen wie Gesundheitsversicherung und Abtreibung haben. Andererseits kann fehlende Emotionalität und Begeisterung in der Politik auch zu einem Demokratiedefizit führen, weil der Bürger aus Desinteresse nicht an Wahlen teilnimmt. Gerade die jüngeren Wähler werden sich ohne Begeisterung und Emotionalität nicht an die Wahlurne locken lassen, und dies ist problematisch für die Zukunft.
Der Wahlkampf zwischen Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel ist alles andere als aufgeladen gewesen. Beim sogenannten TV-Duell zwischen den beiden Kandidaten waren die Gemeinsamkeiten unübersehbar; nur die Tatsache, dass Steinmeier bei seinen Formulierungen kenntnisreicher erschien, hat Wellen geschlagen. Doch von Streit oder gar von einem Wettbewerb der Ideen kann keine Rede sein. Der Spiegel-Journalist Matthias Matussek hat den Konservatismus in Deutschland richtig als „öde Lifestyle-Spießerei“ beschrieben. Es ist jedoch nicht nur das bürgerliche Lager, das Langeweile bereitet: die ist im ganzen Parteienspektrum vorhanden.
Die ganze Politikerszene kommt selbstzufrieden daher. Aber zu Unrecht. Unsere Gesellschaft wird sich verändern müssen, die Regierenden müssen einen Beitrag dafür leisten. Steinmeier kann man zwar zugute halten, dass er seinen Wahlkampf früh mit einem zielstrebigen Zukunftspapier zur Wirtschaftspolitik angefangen hat, aber leider ist wenig davon im Gedächtnis geblieben. Das große Thema der SPD – soziale Gerechtigkeit – zieht nicht. Seit der Agenda 2010, die Steinmeier selbst maßgeblich zu verantworten hatte, ist die Glaubwürdigkeit der SPD als Repräsentant des kleinen Mannes dahin. Am Ende blieb ihm nur der Kampf gegen Schwarz-Gelb, doch er bietet keine Alternative an, außer als Juniorpartner die große Koalition fortzuführen.
Bei den Grünen und der Linkspartei sieht es nicht viel besser aus. Denn keine dieser Parteien ist in der Lage, eine Machtperspektive zu bieten. Die Grünen schließen eine Jamaika-Koalition aus, und die rot-rot-grüne Variante ist auf Bundesebene undenkbar. Die Linkspartei ist zwar in der Lage, Emotionen bei den Themen Afghanistan und Armut zu erzeugen, aber Begeisterung ist nicht vorhanden, weil sie ihre Vorstellungen unmöglich umsetzen könnte. Die Grünen wiederum hätten zwar die Möglichkeit, in einer Dreier-Koalition mit der CDU und FDP einen Teil ihrer Vorstellungen umzusetzen, aber sie sind aus verschiedenen Gründen nicht gewillt, ein solches Risiko einzugehen. Die Partei sehnt sich eigentlich nach dem rotgrünen Projekt zurück, das aber ist für absehbare Zeit gestorben.
Darüber hinaus ist es interessant zu beobachten, dass die Grünen sich bei manchen Themen zurückhalten. Als Zivilisten in Afghanistan bei einem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff starben, haben die Grünen nur die Kommunikationspolitik der Regierung kritisiert. Man erinnere sich an Petra Kelly, die bei einer solchen Begebenheit mit dem Weinen und der Empörung nicht hätte aufhören können. Seit dem Kosovokrieg sind die Pazifisten bei den Grünen eine kleine Minderheit. Auch beim Thema Atomkraft sind die Grünen still geworden, obwohl beim Thema Endlagerung durchaus Zündstoff vorhanden wäre, seit Beweise aufgetaucht sind, die zeigen, dass die CDU in den achtziger Jahren beim Standort Gorleben Einfluss auf die Gutachten ausgeübt hat. Doch die Grünen reden nur von Laufzeiten der AKWs, weil sie den schwachen Atomausstieg unter Rot-Grün ausgehandelt haben. Weder bei Atomkraft noch bei Krieg und Frieden waren die Grünen in der Lage, Emotionalität in den Wahlkampf einzubringen. Sogar der altgrüne Rebell Christian Ströbele, der als Außenseiter vor sieben Jahren zu ersten Mal sein Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg gewann, ist inzwischen im Mainstream etabliert.
Keine der Parteien hat es vermocht, Obama’sche Begeisterung auszulösen. Dem Personal der Parteien fehlen mitreißenden Gestalten, die die Wähler mobilisieren und bei jüngeren Bürgern Begeisterung für Politik auslösen. Meine Prognose lautet, dass die Große Koalition weitergeführt wird.