#Partizipation

Brotkrumen der digitalen Kommunikation

von , 14.2.12

Dass das Web nicht a priori demokratisch oder demokratiefördernd ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Dem Web geht es – Platitude Nummer eins – wie dem Baustoff Beton: Es kommt drauf an, was man daraus macht.

Noch eine Platitude: Wer mit dem Web umgehen kann (und das heißt zuvörderst: selektieren), den macht es schlauer, und es gibt ihm neue Möglichkeiten. Wer keine bzw. nicht genügend Medienkompetenz hat, der wird von Popup-Fernstern und Skyscraper-Werbung zugeballert und geht ominösen Verschwörungswebsites auf den pseudo-informativen Leim.

Jedoch: welche zivilgesellschaftlichen oder demokratiefördernden Potentiale hat das Web? Wie kann Demokratie mit selbstbestimmter netzbasierter Kommunikation gelebt werden? Wie wird Demokratie vielleicht sogar lebendiger durch selbstbestimmte netzbasierte Kommunikation?

Erste Antworten und Hinweise sind irgendwo zwischen Flashmobs und Stuttgart21-Facebook-Seiten // zwischen sich als gesellschaftliche Akteure verstehenden Bloggern und dem von AOL aufgekauften Internet-Nachrichtenaggregator „Huffington Post“ // zwischen reinen Internet-Medien und den Websites der altbekannten Qualitätsmedien // zwischen den Webauftritten von Bundesministerien und abgeordnetenwatch.de // zwischen YouTube Kanälen und Kommentarfunktionen zu finden.

Erste Netzroutinen bilden sich heraus – doch noch weiß niemand, wie eine wirklich  partizipatorische Plattform wirklich geht. „Breadcrumbs“ weisen nicht nur Hänsel und Gretel und den Usern einer Website den Weg. „Breadcrumbs“ sammeln auch wir, die wir politische Kommunikation nicht nur den Profis, den politischen und journalistischen Akteuren, überlassen wollen.

Neuvermessung der Grenzen

Solche „Breadcrumbs“ finden sich nicht nur, sogar eher weniger, im Bereich der klassischen politischen Kommunikation. Das ist kein Wunder, denn wir suchen nach den Nutzern attrahierenden Grenzüberschreitungen; Grenzüberschreitungen sind das Wesen des Netzes – hier mutiert man vom Nutzer zum Produzenten, vom Teilzeitblogger zum Profi, hier mutiert reine Information zu meinungsstarker Einordnung. Diese Mutation ist immer selbstgewählt, diese Mutation muss (eine zugegeben besondere Art von) Spaß machen – sonst geschieht sie nicht.

Grenzüberschreitungen finden auch zwischen Genres statt, die in der guten alten Print-, TV- oder HF-Welt streng getrennt sind. Gamification macht Sachtexte lesbarer. Die englische Zeitung „The Guardian“ (in Netzfragen ganz weit vorn) macht mit einem einfachen Spiel ihre Nutzer zu Co-Rechercheuren.

Humor ist im Web gefragt – schließlich wird hier in der Freizeit gepostet und rezipiert. Noch gibt es kaum genuine Web-Medien, deren Rezeption ein „must“ für die Karriere ist. Man liest freiwillig, abends, nebenbei – und dann darf auch die gesellschaftlich wertvolle Info mit Spaß und Humor einher kommen. Darin sahen Briten nie einen Gegensatz – im ernsten Deutschland schleift er ab.

Hier nur zwei, sehr unterschiedliche, Beispiele, wo solche inhaltlichen Brotkrumen, an denen man sich durch den dunklen Märchen-Web-Wald hangeln kann, zu finden sind:

Breadcrumb 1

Der junge deutsch-ägyptischer Blogger Philip Rizk berichtet auf der Konferenz des Deutschlandfunks mit dem schönen Titel “Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt” von seinen Erlebnissen aus dem Herbst und Winter 2011: Bloggen, facebook, über Handys geteilte Clips … das Alles sei wichtig gewesen und bleibe wichtig.

Aber den ägyptischen Frühling eine „Facebook Revolution“ zu nennen, findet er “totalen Schwachsinn”. Einerseits, weil nur eine Elite Zugang zu Smartphones und schnellem Internet hat, besonders aber, weil Überzeugung und Begeisterung sich nicht elektronisch vermitteln ließen.

Der Interviewer des Deutschlandfunks, Thilo Kößler, ist erstaunt. Doch der Blogger und Filmemacher bleibt seltsam uncool, kommt immer wieder auf die Off-Line-Welt, vulgo: die Realität, zurück – also das, was sich auf den Straßen und zwischen den Menschen abspielt. Ganz direkt, face-to-face, ohne technische Vermittlung. Er und andere Filmemacher haben Leinwände auf dem Tahirplatz und überall dort aufgestellt, wo die Menschen gewesen seien. Sie zeigten dort die eigenen Clips und möglichst viel von dem, was die offiziellen Medien nach wie vor nicht berichten.

Vor diesen Leinwänden sei man ins Gespräch gekommen. Er allein habe hunderte von DVDs verteilt und gesagt, „schaut Euch das an, redet an den Universitäten, den Schulen, in den Familien über das, was ihr seht“.

Wichtiges „Breadcrumb“ – die Technik ist Mittel zum Zweck. Selbst, wenn sie von Apple kommt.

Breadcrumb 2

Troy Carter, der Manager von Lady Gaga, beschreibt in der ZEIT vom 2. Februar dieses Jahres seine nächsten Pläne im Web:
Mehr als 47 Millionen Menschen erreicht Lady Gaga inzwischen über Twitter und Facebook. Sie nennt ihre Fans „little monsters“ – Monster, die von ihr liebevoll mit Informationen versorgt werden. Die „kleinen Monster“ wissen nicht nur vor allen Anderen, wie die Bühne für Gagas neue Tournee aussieht – sie wissen auch, was ihr Star dabei fühlt: „!Just saw first photos of the stage being built. Just peed all the way down to my Chanel shoes!! *sorry Karl* ahhh!!!!!“

Nicht jedermanns Sache und total durchgeknallt, aber authentisch. Gagas Manager ist für eine strikte Verzahnung zwischen On- und Offlinewelt. Platte Werbung sei bei Facebook nicht gefragt; und die Follower auf Twitter hätten ein ziemlich gutes Gefühl dafür, wer selbst zwitschert und wer nur Marketingmaterial zwitschern lässt. Troy Carter zu Gagas Twitter-Verhalten in der ZEIT: “Sie schreibt alles selbst, wir haben nicht mal ihr Passwort.”

Wichtiges „Breadcrumb“: Sei authentisch – auch wenn Du schräg und durchgeknallt bist: Die Nutzer bekommen mit, ob es stimmt und passt.

Vorläufige Ergebnisse des Sammelns

Was das sonst noch mit digitaler Demokratie und mit möglichen neuen Formen des Politischen im Netz zu tun hat?

In beiden Beispielen lassen sich viele „Breadcrumbs“ orten, die für eine partizipative Plattform genauso wichtig sind wie für Lady Gagas Kommunikation mit ihren Fans:

  • Mit beiden Beinen in der Realität bleiben – und die Webwelt mit ihr verbinden.
  • Authentisch und professionell sein.
  • Eine andere Ansprechhaltung haben und pflegen.
  • Die Themen, zu denen man postet, ernst nehmen.
  • Die Nutzer, für die man postet ernst nehmen.
  • Posten, was interessant und relevant ist – für die Dialoggruppe!

Bevor man selbst diese simpel klingenden „Breadcrumbs“-Forderungen erfüllen kann, muss man einiges wissen, z.B.

  • Wer meine Dialoggruppe ist
  • Welche informativen Bedürfnisse sie hat (und jetzt weg mit Scheuklappen, die einen nur das sozial wünschbare sehen lassen)
  • Warum rezipiert meine Dialoggruppe was?
  • Warum wird was im Web geglaubt?
  • Wer fühlt sich warum von was angesprochen?
  • Wer reagiert auf was wie und warum?
  • Wie und warum findet wann Anschlusskommunikation statt?
  • Wie wird aus interpersonaler Anschlusskommunikation am Küchen- oder Kneipentisch neue, veröffentliche Kommunikation?
  • Wann und wie wird aus einem Rezipienten vielleicht sogar ein zivilgesellschaftlich Handelnder?

Keine dieser Fragen ist leicht zu beantworten.

Alle diese Frage sind nur sehr konkret – am konkreten Thema mit konkreten Menschen zu beantworten.

Und es sind keineswegs alle Fragen, die sich stellen.

 

Noch ein Hinweis in eigener Sache: Die Hochschule Magdeburg-Stendal  veranstaltet vom 29. bis 31. März 2012 die Konferenz „Think Cross – Chance Media“ mit Schwerpunkten in Bereichen wie Crossmediales Storytelling, Digitale Öffentlichkeiten, Partizipative Plattformen – Demokratie im Web, Content und Design für Social Media und Gamification. Die Autorin des Textes ist Professorin für TV und Medien an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

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