von Klaus Vater, 16.3.16
Erstens:
Was ist absehbar? Absehbar ist, dass weitere tausende Menschen an den Grenzen zur Bundesrepublik stehen werden, um Anträge auf Asylgewährung zu stellen, um als Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen zu werden oder um irgendeinen Weg nach Deutschland zu finden, damit sie elenden Verhältnissen in ihren Heimatländern entkommen. Gleichzeitig wird der mühsame Prozess der Abschiebungen weitergehen. Weitergehen wird die mühevolle menschenwürdige Unterbringung von Menschen aus anderen Ländern, die Suche nach Plätzen in Kindergärten und Kindertagesstätten, in Schulen, ausbildenden Unternehmen und nach Arbeitsplätzen, nach Wohnungen. Wir werden diesen Menschen jeden Tag in den Kommunen und Städten begegnen, wenn sie versuchen, ihre oft immer noch wenig sinnerfüllte Zeit zu verbringen. Weitergehen werden die Berichte und Meldungen über Schlägereien, Anmache, Diebstähle. Dahinter wird die Tatsache, dass die allermeisten der Geflüchteten mit Gesetzen und Normen nicht in Konflikt geraten, häufig nicht zu entdecken sein. Warum ich diese Aufzählung so schreibe? Weil die Anstöße, aus denen die AFD ihre Zustimmung schöpft, nicht aufhören werden. Sie werden noch jahrelang vorhanden sein. Das ist kein Plädoyer für eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik. Im Gegenteil. Aber Klarheit sollte herrschen.
Zweitens:
Protest ist immer die erste Antwort. Werfen wir einen Blick auf einige herrschende Mechanismen.
Keine der früheren rechten Sammlungsbewegungen in der Geschichte der Bundesrepublik war in der Lage, den vorhandenen in den Parteien konzentrierten politischen Kräften ihr Spiel aufzuzwingen.
Was auch immer geschieht, die Medienaufmerksamkeit für die AfD ist außerordentlich hoch. Sie ist und bleibt Thema in der öffentlichen Wahrnehmung. Und ob es uns passt oder nicht: Die AfD ist heute so professionell aufgestellt, dass sie dabei immer wieder Punkte macht, so dass sich die eigene Basis bestätigt weiß.
Wie es scheint, hat die AfD es geschafft, bei ihrem Mühlespiel drei Steine so auf einer Linie zu bringen, dass sie ihre Position nach Belieben öffnen und wieder schließen kann. Sie versucht, die politische Konkurrenz über parlamentarische Präsenz und außerparlamentarischen Druck zu strategischen Änderungen zu zwingen.
Der „rechte Rand“ der Gesellschaft hat höchst erfolgreich begonnen, sich Teile des konservativen Publikums einzuverleiben. Er denkt überhaupt nicht daran, jetzt einmal inne zu halten, weil ihre Vertreter nun in Parlamenten sitzen.
Drittens:
Diese Situation ist für mich Beleg, dass die Hoffnung auf ein Verschwinden der AfD blanke Illusion ist. Sie schöpft ihre Zustimmung nun mal, ob uns das gefällt oder nicht, aus Reaktionen auf und Vorstellungen über das, was ich eingangs beschrieben habe. Die AfD und deren Anhängerschaft werden weiterhin eine politische und gesellschaftliche Strategie der Aufnahme von Flüchtlingen für eine Art Verrat am Volk, gar für ein Verbrechen halten. Sie wird das Ressentiment, „denen da oben“ müsse mal gezeigt werden, wo es langgeht, weiterhin bedienen. Es werden weiterhin aus der Sympathisantenschar der AfD und aus ideologisch benachbarten Gruppen und Grüppchen Verbrechen an Flüchtlingen verübt, deren Unterbringungsmöglichkeiten zerstört werden.
Viertens:
In der laufenden Diskussion über die AfD und deren Perspektiven werden zudem Mechanismen übersehen, die in solchen Bewegungen wirksam sind. Sie mäßigen sich nämlich nicht, sondern sie radikalisieren sich bei andauernden Verhältnissen, die zu ihrem Auftreten geführt haben, weiterhin. Daher war der Versuch der AfD- Vorsitzenden Petry am Wahlabend, sich ins politische bürgerliche Spektrum hinein zu quetschen, eine Art Beruhigungspille, mehr aber auch nicht.
So wie Frau Petry und ihr Anhang sich durch Radikalisierung der AfD von den Luckes und den Henkels „befreit“ hat, werden sich die glasklar völkisch- fremdenfeindlichen Teile der AfD, die auf „Aktion“ eingestellt sind, von den Petrys „befreien“ wollen, wenn die nicht in ihrem Sinne spuren. Henkel hat die Verhältnisse in der AfD in einem bemerkenswerten Interview mit n-tv klargelegt: „Leider wissen die meisten Wähler der AfD nicht, wen sie gestern gewählt haben. Sie wissen nicht, dass gegen den Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen-Anhalt, Poggenburg, sieben Haftbefehle vorgelegen haben, dass die Parteichefin Petry im parteiinternen Untersuchungsverfahren gegen den NRW-Vorsitzenden Pretzell mehrfach zu seinen Gunsten interveniert hat, bevor sie ihn dann als ihren neuen Lebensgefährten vorstellte, dass diese Partei viele Karrieristen und oft gescheiterte Existenzen wie die Fliegen vom Licht angezogen hat.“ Wir können davon ausgehen, dass Henkel lediglich einen kleinen Ausschnitt beschrieben hat.
Fünftens:
Es gibt einen weiteren Aspekt in diesem Zusammenhang, der zu wenig beachtet wird: Die AfD ist nicht nur ein Sammelbecken für nach bürgerlichen Maßstäben zwielichtige Gestalten, sondern sie übt jetzt einen Sog auf viele aus, die im rechten Polit-Gulasch irgendwie mitköchelten, aber den Weg zur AfD bisher nicht eingeschlagen haben: Aktionisten, Schläger, Hetzer und deren Stichwortgeber wie „Vordenker“ in den sogenannten „Think Tanks“ der rechten Szene. Viele werden von den Karrieremöglichkeiten in den parlamentarischen Stäben der AfD angelockt werden. Seit Jahren berichten kritische Medien von der Otto- Brenner- Stiftung, der FES bis zu Panorama und Spiegel TV über einen Kranz von Verlagen, Stiftungen und Agenturen, die der repräsentativen Demokratie ablehnend bis feindlich gegenüber stehen. Jetzt erhalten die eine praktisch- politische Perspektive. Wann denn wenn nicht jetzt drängen die in die Politik?
Daher sind Äußerungen wie etwa die Heiner Geißlers in der SZ wenigstens grob fahrlässig: Frage: “Sie halten die AfD für eine Eintagsfliege?“ Antwort: „Jedenfalls rate ich zur Entspannung. Das mit der AfD kann noch ein wenig andauern, weil die Aktivierung vieler Menschen durch die Flüchtlingspolitik entstanden ist.“ Geißler steht da nicht alleine. Andreas Barner, Chef von Boehringer Ingelheim und Präsident des Stifterverbandes, äußerte im Handelsblatt die Hoffnung, dass sich die AfD nun nicht dauerhaft in das politische System etablieren werde. Zitat: „Die Demokratie ist immer auch herausfordernd – das war bei den Wahlen durch das Abschneiden der AfD wieder so. Aber die Präsenz in den Parlamenten wird, so hoffe ich, nur von kurzer Dauer sein“.
Sechstens:
Zur Entspannung besteht kein Anlass. Die berechtigten Ängste der vielen Menschen, die in der Flüchtlingshilfe irgendwo mitmachen, die verschwinden nicht, weil die AfD in weiteren Parlamenten sitzt. Deren Ängste werden sich potenzieren.
Entspannung ist auch deswegen nicht angebracht, weil die meisten der Wählerinnen und Wähler der AfD am vergangenen Sonntag genau wussten, wen und was sie wählten: Eine dezidiert rechte Partei, deren Wandlungsprozess hin zu einer antidemokratischen Bewegung nicht abgeschlossen ist; zu einer Bewegung, aus deren Anhängerschaft mit Mord gedroht und Brandstiftung sowie Rohheitsdelikte praktiziert werden. Wo wird das enden? Es fängt mit verbrecherischen Aktionen an und endet mit der Missachtung von Bürgerrechten auf breiter Front. Es mag auch Menschen geben, die aus persönlicher Sorge und individueller Enttäuschung AfD gewählt haben. Aber die bestimmen nicht den Kurs der AfD.
Siebtens:
Es gibt auf die AfD nur eine zureichende Antwort: Das Wachrütteln der bürgerlichen Gesellschaft Bundesrepublik selber. Aufstehen, Präsenz zeigen, zusammen mit anderen zusammen. Ich vermisse in diesem Zusammenhang das deutliche, gesteigerte Engagement der Gewerkschaften, deren unüberhörbare Stimme sowie die Stimmen der Arbeitgeberverbände. Die durchaus wirkungsmächtigen elektronischen Medien, die Verbände der Autoren und der Lehrerschaft, der Schauspieler und Schauspielerinnen, der Erzieher, der Rechtsanwälte, der Ärzteschaft könnten mehr tun. Jugendverbände und lokale Initiativen brauchen Unterstützung. Presseerklärungen und der Speech auf Foren, auf denen überwiegend die zu finden sind, die sowieso mit der AfD nicht am Hut haben, reichen nicht.
Achtens:
Die alle werden vielleicht sagen: Das müssen die Parteien machen. Nein. Die Parteien alleine können das nicht. Denn es geht bei der AfD nicht um eine „Kommunikationsstörung”, die durch neue Arten der Ansprache, neue Worte und Argumente zu besänftigen wäre. Aber sie alle zusammen, wenn sie denn ein Gesicht bekämen, die könnten viel erreichen. Heute ist es möglich, dass sich über die Ländergrenzen hinweg viele Menschen binnen kürzester Zeit vernetzen, sich gegenseitig auf Initiativen aufmerksam machen, zum Mitmachen auffordern, sich finden, absprechen und gegenseitig stärken. Warum nutzt die Ebene solcher Verbände und Gruppen diese Möglichkeiten nicht?
Gespeist wird die AfD aus Fremdenfeindlichkeit, aus Ablehnung „des Systems“, aus Misstrauen gegenüber den Institutionen der Demokratie. Das ist etwas, das uns alle angeht, nicht alleine die Parteien.
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