von Christian Möller, 29.10.12
Kein Chefredakteur würde auf die Idee kommen, einen Reporter zu einem Fußballspiel zu schicken, der keine Ahnung von den Abseitsregeln hat. Oder einen Gerichtsreporter einzustellen, der sich nicht mit dem Strafgesetzbuch auskennt. Bei Unfällen, Verbrechen oder anderen Katastrophen sieht es jedoch oftmals anders aus: Täglich werden Journalisten ohne die richtige Ausbildung in traumatisierende Situationen geschickt.
Dabei geht es nicht nur um Kriegs- und Krisenreporter: Tragödien ereignen sich vor der eigenen Haustür, etwa Amokläufe wie in Winnenden oder dem norwegischen Utöya oder Großschadensfälle wie das ICE-Unglück in Eschede. Auch Lokalreporter begegnen in ihrer täglichen Arbeit Verbrechen, Unfällen, Bränden oder Selbstmorden. Während der Love Parade in Duisburg fanden sich eine Reihe von Musik- und Lifestyle-Journalisten statt auf einer großen Party plötzlich inmitten einer Katastrophe wieder, über die sie berichten mussten – schon weil sie vor Ort waren und die technische Ausstattung hatten.
Nur langsam werden der journalistische Umgang und die persönliche Auseinandersetzung mit entsprechenden Ereignissen zum Gegenstand journalistischer Aus- und Weiterbildung. Pionierarbeit leistet das Dart Center für Journalismus & Trauma an der New Yorker Columbia University Graduate School of Journalism, das Journalisten besser auf solche potentiell traumatisierenden Situationen vorbereiten und die sensible und sachkundige Berichterstattung über Tragödien und Gewalt fördern will.
Professioneller Journalismus und Trauma haben viele Schnittstellen, Gewalt und tragische Ereignisse sind elementarer Bestandteil der Berichterstattung, nicht nur in der sensationalistischen Boulevardpresse. Es gäbe viele Fälle, in denen Journalisten sich unerwartet in solchen Situationen wiederfinden, berichtete Bruce Shapiro, der Direktor des Dart Centers auf einer vom deutschen Ableger des Zentrums gemeinsam mit der International Media Center Hamburg (IMCH) ausgerichteten Podiumsdiskussion zum Thema. Als er beispielsweise nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans war und die provisorische Redaktion der lokalen Tageszeitung besuchte, sei er von dem Feuilletonredakteur und dem Restaurantkritiker empfangen worden, die plötzlich zu Reportern aus einem Kathastrophengebiet geworden waren.
Doch Journalisten berichten nicht nur über katastrophale Ereignisse, sie können auch Teil davon werden. Ein Redakteur der Denver Post, der nach dem Amoklauf bei einer Kinopremiere des Films “Batman: The Dark Knight Rises” in Denver unter den Pressefotos auch ein Bild seines besten Freundes sah, der gerade die Nachricht vom Tod seiner Tochter entgegen nehmen musste, sprach davon als dem ernüchterndsten und deprimierendsten Moment seines Lebens, in dem seine professionelle Arbeit sein eigenes persönliches Leben umfasste.
Wenn es um die eigene Gesundheit geht, seien Journalisten jedoch relativ gut vor posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) gefeit, denn die journalistische Arbeit als solche schütze sie bis zu einem gewissen Grad davor. „Das Bewusstsein über das eigene journalistische Handwerk und die Berichterstatterpflicht der Presse wirken förmlich wie ein Schutzanzug“, so Bruce Shapiro. Dennoch ist PTSD ein journalistisches Berufsrisiko. Eine gutes Redaktionsmanagement, professionelle Vorgesetzte, ein aufmerksamer Kollegenkreis und die Möglichkeit zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe seien daher wichtig, auch in Zeiten, in denen Medien vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten stünden.
Ein weiterer Punkt in der Arbeit des Dart Centers ist die Behandlung von Traumata in der Berichterstattung. „Ein Trauma lässt keine einfache Worte zu“, so Shapiro. Es sei daher Aufgabe des Journalismus, in der Berichterstattung nicht in Klischees zu verfallen, sondern innovative Formen zu entwickeln und das Verständnis für die Situation der Opfer und die Folgen von Katastrophen zu fördern. Dies stellt neue Herausforderungen an die professionelle Ethik, an das Redaktionsmanagement und die Ausbildung von Journalisten, um eine sensible Berichterstattung etablieren und Journalisten besser vor den Risiken ihres Berufes zu schützen.
Der Autor ist 2012 Academic Fellow des Dart Center für Journalismus & Trauma an der New Yorker Columbia University Graduate School of Journalism.