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Der Westen als Zaungast bei der Neuordnung des Mittleren Ostens

von , 4.6.13

Staaten wie Syrien oder der Irak waren ein Produkt des westlichen Kolonialismus. Mit der Besetzung Kuwaits durch den Irak versuchte Saddam Hussein die Neuordnung dieser Welt militärisch durchzusetzen. Das ist 1991 bekanntlich gescheitert. Mittlerweile muss man aber wohl sagen, dass der Angriff der USA auf Saddams Regime im Jahr 2003 diese Neuordnung unausweichlich gemacht hat. Er setzte die Revidierung des Status quo auf die Tagesordung und dokumentierte am Ende vor allem das Scheitern der US-Politik.

Die USA verloren damit ihren Mythos: Dass nämlich ohne sie in der Region keine Politik gemacht werden kann. Erst so konnten sich die Regionalmächte wie der Iran oder Saudi-Arabien von der US-Hegemonie lösen. Diese Veränderung ist wahrscheinlich das wichtigste weltpolitische Ereignis seit dem Fall der Mauer im Jahr 1989. Das Fehlen einer Ordnungsmacht erzeugt aber vor allem eins: Konfusion. Dafür gibt es durchaus historische Vorbilder.

Der 1. Weltkrieg hinterließ 1918 ein politisches Vakuum, das erst 30 Jahre später im Kalten Krieg unter der Hegemonie der Supermächte zu einer neuen Form politischer Stabilität führen sollte.

Der Bürgerkrieg in Syrien erinnert dabei heute durchaus an den spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939. Wie damals Spanien ist Syrien zum Schlachtfeld ausländischer Mächte geworden, wo sich ideologische und geopolitische Kalküle überlagern. War der europäische Bürgerkrieg vom Konflikt zwischen Kommunismus und Faschismus geprägt, ist an seine Stelle heute der innerislamische Machtkampf zwischen Schiiten und Sunniten getreten, der wie damals gleichzeitig die alte Staatenstruktur bedroht.

Auf der Seite der syrischen Opposition ist eine Art islamistische (und sunnitische) “Internationale Brigade” aktiv, mit Kämpfern aus allen Herren Länder (tatsächlich von den USA bis Tschetschenien). Die Rolle der Sowjetunion in Spanien übernehmen in diesem Fall vor allem Saudi-Arabien und Katar, mit der Duldung durch die Türkei, die allerdings in ihrer Unterstützung für die Opposition wie das damalige sozialistische Frankreich wirkt: Unentschlossen.

Die Türkei lebt in der Furcht vor den separatistischen Kurden, die jetzt nach dem Irak auch in Syrien (gegen den militärischen Widerstand der Opposition) Autonomie beanspruchen. Auf Assads Seite agiert vor allem der Iran mit seinem Verbündeten Hisbollah. Sie spielen jene Rolle, die damals in Spanien Deutschland und Italien auf Seiten Francos einnahmen.

Das führt zu völlig neuen Konstellationen. Plötzlich kämpft etwa die Hamas gegen die Hisbollah, wobei sie sich in einer Hinsicht einig sind: Sich wechselseitig als zionistische Agenten im Dienste der USA zu beschuldigen. Mit der Unterstützung Russlands haben Assad und seine Verbündeten auch die UN lahmgelegt. Diese spielt, wie damals der Völkerbund, praktisch keine Rolle mehr in dem Konflikt.

Der wichtigste Akteur im Europa der 1930er Jahre war Großbritannien. Die Briten waren damals unfähig, eine klare Position einzunehmen. Einerseits sahen sie den Machtzuwachs des europäischen Faschismus, andererseits fürchteten sie den Kommunismus und vor allem die Sowjetunion auf Seiten der spanischen Republik. Sie blockierten Waffenlieferungen an die Republikaner, trotz der offenen Unterstützung Francos durch Hitler und Mussolini. Es sollte ihnen am Ende wenig nützen: Kurze Zeit nach dem Sieg Francos begann der 2. Weltkrieg, und die Sowjetunion wurde später zum Verbündeten der Briten und der USA. Das Ergebnis – die Neuordnung Europas und der Welt nach 1945 – ist bekannt.

Der Westen agiert heute wie die Briten in Spanien. Er hat keine Vorstellung davon, was eigentlich der Bürgerkrieg in Syrien bedeutet und wie er sich dazu positionieren soll. Er fürchtet den Machtverlust Assads, weil er die radikalen Islamisten in der Opposition an die Macht bringen könnte. Zugleich sieht er die Konsequenzen, wenn Assad an der Macht bleiben sollte: Der Iran könnte sich vom Irak bis zum Libanon als regionale Hegemonialmacht etablieren, unter Umständen sogar mit Atomwaffen als Abschreckungspotential.

Ob die USA, Großbritannien oder Frankreich; von Deutschland braucht man nicht zu reden: Die führenden Mächte des Westens agieren hilflos während einer Entwicklung, die ihnen schon längst aus der Hand geglitten ist. Sie sind zu Zaungästen bei der Neuordnung des Mittleren Ostens geworden.

Die Neuordung der Welt nach 1918 sollte knapp 30 Jahre dauern. Das Ergebnis war das Ende der Hegemonie europäischer Mächte – und die Geburtsstunde des Westens unter amerikanischer Führung. Dessen Niedergang dokumentiert sich jetzt in Syrien, da sollte man sich nichts vormachen. Es wird aber wohl noch einige Zeit brauchen, bis Europäer und Amerikaner begreifen, welche Folgen das für sie haben wird. Sie leben bekanntlich noch in dem Bewusstsein ihrer alten Bedeutung.
 
Crosspost von Wiesaussieht

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