#Grundversorgung

Die Haushaltsabgabe darf nicht nur die alten Strukturen finanzieren

von , 14.1.13

Okay, das Konstrukt „Öffentlich-Rechtliche Rundfunkanstalt“ war mal eine vernünftige Idee, insbesondere für das nicht ganz freiwillig zur Demokratie zurückkehrende Deutschland, westlicher Abschnitt. Doch die vor 60, vor 30 und vielleicht auch noch vor 15 Jahren sinnvolle Vorgabe, öffentlich-rechtlich verfasste Rundfunkanstalten müssten die Grundversorgung der Bevölkerung mit ausgewogener Information, Bildung und Unterhaltung gewährleisten, hat sich im 21. Jahrhundert weitgehend erledigt.

Rundfunk- und Grundversorgungsbegriff lösen sich unter den Bedingungen der Digitalisierung auf. Mit ihnen verschwindet die politische Notwendigkeit, zentrale Riesenapparate zu schaffen, die unter Grundversorgung vor allem die Überversorgung mit Krimis, Fußball, Quizshows, Serien, Talkrunden und Spielfilmen verstehen.

Es ist heute absolut nicht mehr einzusehen, warum Internetangebote, welche die Anforderungen der Verfassungsrichter hinsichtlich von Marktzugang, Mindestreichweite, Meinungsvielfalt, Sorgfaltspflichten und Aufsichtsorganen erfüllen, von der öffentlich-rechtlichen Finanzierung ausgeschlossen bleiben sollen. Ob diese Angebote durch eine künftige Internetanstalt öffentlichen Rechts zentral verwaltet und beaufsichtigt werden müssen, sei dahingestellt (das wird sich in der gesellschaftlichen Debatte herauskristallisieren), aber eine Öffnung der vorhandenen Strukturen über das derzeit gültige öffentlich-rechtliche Modell hinaus ist überfällig.

Es gibt in einer entwickelten Demokratie mit 80 Millionen Sendern und Empfängern keinen vernünftigen Grund mehr, die Entwicklungsgarantie für das öffentlich-rechtliche System mit der Konservierung der alten Rundfunkstrukturen gleichzusetzen. Warum sollten nicht neue Anbieter aus der Mitte der Gesellschaft auf den Plan treten und frische – nicht von den bestehenden Anstalten genehmigte – Programmformate einspeisen? Warum sollte es keine selbstständigen Internetsender geben, die einen entsprechenden Anteil am Haushaltsabgabe-Kuchen beanspruchen können? Ob man diese Pluralisierung über einen Rundfunkfonds oder über ein Netzmedienfördergesetz erreicht, ist dann zweitrangig.

Man könnte die Aufgabe der Grundversorgung also durchaus auf die Beschaffung und Verarbeitung von Nachrichten reduzieren: auf ein engmaschiges Netz aus Auslandsstudios und Korrespondenten, auf investigative Magazine und aufwändige Dokumentationen, auf Berichterstattung und Einordnung des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Geschehens. Dafür sollte die Hälfte des jetzigen 7,5-Milliarden-Budgets reichen. Es dürfen auch gern drei Viertel sein, wenn im Gegenzug besondere Qualität geliefert wird: wenn Sendungen mehr bieten als eine proporzgerechte Hofberichterstattung aus den Hauptstadtstudios und Nachrichtenredaktionen, mehr als belanglose Syrien-„Reportagen“ vom Dach eines Kairoer Hochhauses und mehr als nichtssagende Sondersendungen, Brennpunkte und Kommentare, in denen so genannte „Experten“ das in den Nachrichten Gehörte noch einmal wiederholen. Nötig ist also eine Intensivierung und Verbesserung des „Kerngeschäfts“. Den großen Rest könnte man aus der Obhut der Anstalten entlassen. So lange die Mindestanforderungen der Verfassungsrichter erfüllt werden, sollte jeder Internetsender das Recht bekommen, einen Teil des Gebühren-Kuchens für sich zu reklamieren.

Natürlich kommen hier wieder die üblichen Einwände: Wer soll über die Verteilung der Gelder entscheiden? Und: Guckt euch doch bitte mal an, welchen Schrott das Netz so bietet: dilettantische Hangouts, grottenschlechte Berichte, subjektive Befindlichkeiten statt investigativer Recherche, selbstausbeuterischen Amateurjournalismus statt ordentlich bezahlter Profiarbeit. Sollen uns jetzt auch noch die Billigfunker das Geld aus der Tasche ziehen? Diese höhnische Kritik am Netz-‘Programm’ ist vor allem – wohlfeil. Denn eine 7,5 Mrd.-Zuweisung kann man nicht mit flattr-Erlösen vergleichen.

Nein, die Haushaltsabgabe (die ja in Wahrheit eine Kulturflatrate ist) muss anders verteilt werden. Der Rundfunk im Netz hat ein Anrecht darauf. So lange dort nur lausige Pennys zirkulieren, kann das Angebot nicht konkurrieren. „Wenn ihr kein Brot habt“, sagten die Aristokraten im ausgehenden 18. Jahrhundert höhnisch zu den Armen, „dann esst eben Kuchen!“ Kurz darauf kam es zur Revolution. Dem öffentlich-rechtlichen System könnte es ähnlich gehen, wenn es sich nicht rechtzeitig reformiert.

Lesetipp: Bernd Gäbler über die Haushaltsabgabe auf stern.de

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