#Abstimmung

ESM und Fiskalpakt: Ablehnung und Empörung überwiegen

von , 27.6.12

blubberfisch bemerkt,

immer dann, wenn die deutschen von einer allgemeinen fussball-euphorie ergriffen sind, weil das team gut spielt und sogar chancen auf den titel hat, dann kommen mutti, schä[u]ble und ihre erfüllungsgehilfen mit den ganz üblen dingern um die ecke.

Die Rechnung geht auf, nur Wenige nehmen die Brisanz der geplanten Gesetze zur Kenntnis. Für sie steht die Bundesregierung mit ihrer positiven Beschreibung des gewaltigen Schuldenpakets ziemlich alleine da:

Folgende Gesetze werden im parlamentarischen Verfahren in Deutschland als Paket auf den Weg gebracht, damit der Fiskalvertrag und der ESM gemeinsam ihre Wirkung entfalten [..]

(Nicht nur) im Netz werden sowohl das parlamentarische Verfahren als auch die Wirkung der neuen Gesetze ganz anders beurteilt.

Das Bundesfinanzministerium erklärt:

In welchem Verhältnis stehen der Fiskalvertrag und der ESM zueinander?
Solidarität und Solidität sind zwei Seiten einer Medaille. Die Gewährung von Finanzhilfen durch den ESM ist daher eng mit dem Fiskalvertrag verknüpft worden. Wer künftig Hilfen aus dem ESM in Anspruch nehmen will, muss den Fiskalvertrag bis zum 1. März 2013 ratifiziert und – sobald die im Vertrag geregelte Umsetzungsfrist für die Implementierung der Schuldenregel in nationales Recht abgelaufen ist – eine nationale Schuldenbremse eingeführt haben.

Von Solidarität mit den eigenen Bürgern ist nicht die Rede. Dass nicht nur grundlegende parlamentarische Rechte nach Brüssel abgegeben werden, sondern auch weiterer Sozialabbau programmiert ist, wird geflissentlich verschwiegen. Hier wird auch klar, weshalb:

Welche Vorteile haben Europa und Deutschland durch den Fiskalvertrag und den ESM?
Der Fiskalvertrag stellt die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion auf eine dauerhaft stabile Grundlage. Mit dem ESM wird ein robuster Krisenmechanismus in der Eurozone eingerichtet. Das Vertrauen der Konsumenten, Unternehmen und Finanzmärkte in die Stabilität der Eurozone wird durch die beiden Vertragswerke gestärkt. Davon profitiert Deutschland als Exportnation in besonderem Maße. Denn der Euro sichert Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland. Nur mit einem starken geeinten Europa – und dazu gehört ein stabiler Euro – hat Deutschland eine Chance, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten.

Deutschland als Industrienation und die Finanzmärkte stehen also gut da, das ist fein. Weniger fein ist das für die Bürger, außer für die, die noch konsumieren können. Nachdem in den letzten zehn Jahren ohne Rücksicht auf die Binnennachfrage bereits alles dafür getan wurde, nach außen wie eine Eins dazustehen, soll die rigorose Sparpolitik im Innern nun endgültig fest- und anderen vorgeschrieben werden. Der Status als großartige Exportnation und gefühlter Dompteur der Märkte ist wichtiger als das Wohlergehen der Bevölkerung oder die Bewahrung demokratischer Werte.

Dabei leuchtet jeder Hausfrau ein, dass Sparen um jeden Preis eine Abwärtsspirale in Gang setzt: Wenn sie nur das Nötigste einkauft, geht es irgendwann dem Kaufmann an der Ecke schlecht, der dann bei seinen Lieferanten weniger bestellen kann. Der Lieferant stellt weniger Waren her und seine Zulieferer kaufen ihrerseits weniger Rohstoffe. Die Rohstoffproduzenten müssen aufgrund der schlechten Auftragslage Leute entlassen, die deshalb ihre Familien nicht mehr ordentlich versorgen können. Und so geht es immer weiter, bis es schließlich allen schlecht geht – bis auf die Wenigen, die selbst von der Krise noch profitieren. Dass das Geld nicht weg ist, sondern nur woanders, ist eine Binsenweisheit – Otto Normalbürger kommt es jedenfalls nicht zugute.

Die Bundesländer wissen schon jetzt nicht, wie sie ihre Ausgaben bewältigen sollen: Schulen verkommen, Schwimmbäder werden geschlossen, Ausgaben für soziale Zwecke wurden überall zurückgefahren. Noch mehr sparen reißt noch größere Lücken, denn gespart wird erfahrungsgemäß immer dort, wo die geringste Gegenwehr zu erwarten ist. In der FDP gibt es bereits neue Pläne zu einer “Vereinheitlichung” von Bildungspolitik, Sozialleistungen, Renten und in der Gesundheitsvorsorge. Was das bedeutet, ist nach gemachten Erfahrungen mit Klientelpolitik und neoliberalen Werten nicht weiter erklärungsbedürftig.

Alles, was im finanzpolitischen Deutschland passiert, hat woanders Auswirkungen, und keine guten. Der Finanzinvestor George Soros spricht von einer “Strafpolitik” und sieht Deutschland bereits als “verhasste Imperialmacht“. Was Krise heißt – die für uns soo weit weg ist – berichtet auch Yasmin, die in Spanien lebt:

Die Krise ist einfach überall. Auch auf meiner Arbeit. Um als Firma aufträge bearbeiten zu können musst du Material kaufen. Wenn alle jetzt Angst haben, dass wir als Firma diese Rechnung nicht bezahlen könnten wollen natürlich alle Anbieter das Geld im Voraus haben. Dafür müsste man als Firma einen Kredit aufnehmen. Aber Kredite gibt es nicht mehr. Also kann man den Auftrag nicht annehmen. Ein Teufelskreis und sowas kann selbst eine große Firma wie meine auch mal ganz schnell ausradieren. Alle Zeitarbeiter sind schon gekündigt worden und alle die unter einem Jahr dabei sind.

Und:

Das Geld wird Spanien geliehen, damit es seine Schulden an Deutschland zahlen kann. Für die SpanierInnen ist das Geld nicht vorgesehen. Das bedeutet als erstes Einsparungen im Bildungs- und Gesundheitssektor.

Egal, die von den Leitmedien verbreitete Sicht auf “die Südländer” verschleiert die Wahrnehmung der tatsächlichen Probleme auf’s Angenehmste. In Die unbeschränkte Haftung durch den ESM schreibt der @Wirtschaftwurm:

Die deutsche Haftung für den neuen Euro-Rettungsschirm ESM sei beschränkt, heißt es häufig. Eine Lüge!

An eine Rettung in letzter Minute glaubt auch Wirtschaftsjournalist Eric Bonse nicht so recht:

Deutschland blockiert eine Einigung beim EU-Krisengipfel. Nachdem Kanzlerin Merkel eine Vergemeinschaftung der Schulden ausgeschlossen hat, “solange ich lebe”, ist der Masterplan zur Euro-Rettung Makulatur. Auch bei den kurzfristigen Krisenhilfen blockiert Berlin.

Selbst auf den Seiten der tagesschau ist die Rede von “politischen Grausamkeiten im Schatten der Spiele”. Sie gehen – ganz nach Plan – am überwiegenden Teil der Bevölkerung vorbei.


 

DRadio Wissen vom 27. Juni: Das Netz gegen den Pakt, Webschau mit Andreas Noll
 

Noch mal zum Nachlesen:

Welche wesentlichen Neuerungen werden durch den Fiskalvertrag eingeführt?

Im Wesentlichen enthält der Vertrag folgende Neuerungen gegenüber der bestehenden Rechtslage:

  • Der Vertrag sieht ehrgeizige Vorgaben für nationale Schuldenbremsen vor. Das gesamtstaatliche strukturelle Defizit darf die Obergrenze von 0,5 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen, solange die Schuldenquote nicht deutlich unter 60 % liegt.
  • Die Umsetzung in nationales Recht muss mit starker und permanenter Bindungswirkung, vorzugsweise auf Verfassungsebene, erfolgen, d.h. die Einhaltung und Befolgung der nationalen Schuldenregeln muss im gesamten Haushaltsverfahren gewährleistet sein.
  • Die Umsetzung von Schuldenbremsen in nationales Recht kann durch eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) durchgesetzt werden. Für den Fall der Nichtbefolgung von EuGH-Urteilen sind Strafzahlungen an den ESM vorgesehen.
  • Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm auflegen, das vom Rat der EU und der Europäischen Kommission genehmigt und überwacht wird.
  • Die Eröffnung und alle weiteren Beschlüsse im Rahmen eines Defizitverfahrens werden hinsichtlich der Nichteinhaltung des Defizitkriteriums zukünftig quasi-automatisch erfolgen (umgekehrte qualifizierte Mehrheitsentscheidung).
  • Die Vertragsparteien verpflichten sich zu einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung.
  • Der Vertrag regelt ein Verfahren zu einer besseren politischen Steuerung des Euro-Währungsgebiets in Gestalt von regelmäßigen, mindestens zwei Mal im Jahr stattfindenden Tagungen des Euro-Gipfels.
  • Es wird die Möglichkeit einer Konferenz von Vertretern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente zu Fragen der Haushaltspolitik und anderer von diesem Vertrag erfasster Angelegenheiten vorgesehen.

Quelle: Bundesfinanzministerium

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