#Epochenwandel

Google in der semi-digitalen Gesellschaft

von , 15.1.10

Google ist immer für eine Überraschung gut: Die Auseinandersetzung mit China um Fragen der Datenspionage und die Zensurauflagen seiner Suchmaschine zeigt, dass man nicht gewillt ist, sich alles gefallen zu lassen. Dass Google gerade auf einem so wichtigen und sensiblen Markt wie China demonstriert, dass es Prinzipien gibt, die höher stehen als das pure Geschäftsinteresse, kann man aber auch als Signal an Europa werten.

In Europa geht es zwar nicht um Spionage. Auch wird die Suchmaschine von Google hier nicht zensiert. Allerdings wird Google hier immer häufiger zum Sündenbock gemacht, insbesondere von der Politik. In Frankreich droht aktuell eine “Google-Steuer“. In Italien ist noch immer ein Strafverfahren gegen Manager von Google wegen eines Videos auf YouTube anhängig, mehrjährige Haftstrafen stehen im Raum. In Deutschland kommt das Unternehmen aktuell recht glimpflich davon und kann die Aussage von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sie störe die “Gigantomanie” des Konzerns, fast noch als Kompliment werten.

Neben dieser eher rhetorischen Polemik stehen derzeit nur die hessischen Grünen auf dem Plan. Sie sehen die Persönlichkeitsrechte der Hessen in Gefahr, weil Google derzeit im Rahmen von Google Street View bzw. Google Maps hessische Straßenzüge fotografiert.

Woran liegt es, dass ausgerechnet Google immer wieder als Projektions- oder Reibefläche herhalten muss? Ganz offensichtlich ist, dass hier, über die Einzelfälle hinweg, ein generelles Muster durchscheint: Irgendwie entspringt die Kritik an Google einem Denkmuster bzw. Unbehagen aus dem 20. Jahrhundert und auch die Vorschläge zur Lösung des Problems wirken meist wie aus einer anderen Epoche.

Datenmengen

Die Ebene des Unbehagens trifft wohl die großen Datenmengen, die im Spiel sind. Die Bundesjustizministerin ist sicher nicht allein mit ihrem unguten Gefühl, dass Google ernsthaft vorhat, praktisch jedes Buch dieser Welt zu digitalisieren. Die Größenordnungen, um die es hier geht, sind einfach schwer bis gar nicht vorstellbar. In Italien mag eine Rolle spielen, dass auf YouTube im Laufe von nur wenigen Jahren eine unfassbar große und stetig weiter wachsende Menge an Videos zusammengetragen wurde, eine Menge, der kein Mensch mehr Herr werden kann – wenn man die Maßstäbe des 20. Jahrhunderts anlegt. Auch Googles Street View kann so gesehen ein Unbehagen auslösen: Versucht man sich nur vorzustellen, wie jede hessische Straße Stück für Stück fotografiert wird, wird daneben das eigene Leben klein und die eigene Auffassungsgabe verblasst gegenüber all diesen Straßen und Plätzen, die man in einem einzigen Menschenleben niemals alle wird betrachten können.

Dabei ist das Vorgehen von Google durchaus rational. Es entspringt der relativ einfachen Kenntnis, dass digitale Datenspeicher, dem Mooreschen Gesetz folgend, immer günstiger werden und somit das Speichern immer größerer Datenmengen nicht nur kein Problem darstellt, sondern im Gegenteil die Grundlage für neue Dienste und damit auch neue Geschäftsmodelle bilden kann.

Das Problem ist nur, dass diese banale Logik bislang überwiegend nur unter Informatikern so richtig erfasst worden ist. Politikern dagegen, die eher wenig direkte Berührung mit Informationstechnologie haben, mag dieses Wissen zu abstrakt und fremd sein, als dass sie es in ihren täglichen Aufgaben schon selbstverständlich berücksichtigen würden. Sie fühlen und urteilen deshalb sehr häufig noch nach Mustern und Erfahrungswerten des 20. Jahrhunderts.

Social Web

Der YouTube-Fall in Italien berührt ein weiteres Phänomen: Dass sich die Justiz dort über ein ganz offenkundig deplatziertes Video empört, ist nicht zu kritisieren. Wohl aber die Tatsache, dass dafür hochrangige Manager von Google möglicherweise für mehrere Jahre in italienische Gefängnisse sollen. Diese einseitige Fokussierung zeigt, dass die Juristen in Mailand die Mechanismen des Social Web nicht verstehen und auch nicht fördern. Denn sie könnten auch an die Allgemeinheit appellieren, in solchen Fällen im Sinne des Crowdsourcing schneller Alarm zu schlagen. Denn immerhin haben rund 5.000 Personen das fragliche Video angesehen und nichts unternommen.

Google mag in diesem Fall spät reagiert haben, entscheidend für das Social Web des 21. Jahrhunderts ist immer auch die Allgemeinheit. Diese kann jetzt nicht mehr nur in Form passiver (und unmündiger) Konsumenten gesehen werden. Jeder Erwachsene, der heute im Internet unterwegs ist und dabei auf fragwürdige Inhalte stößt, sollte sofort handeln.

Plattformen wie YouTube sind im 21. Jahrhundert keine Einzelfälle, sie werden vermutlich die Regel sein: Mehr und mehr werden uns riesige Datenmengen verschiedenster Art offen stehen. In diesen Fällen die Frage der Haftung für Inhalte einseitig nur an den Betreibern festzumachen ist ein überholtes Konzept, das den Realitäten des Social Web nicht gerecht wird.

Steuern und der Wandel der Zeit

Es bleibt die Google-Steuer in Frankreich. Das Land, das sich als Kulturnation versteht, hat immer schon viel auf seine eigenen Kulturbetriebe gesetzt und den Film, aber auch die Musik, besonders gefördert. Der Wandel von der analogen zur digitalen Kultur ist deshalb für Frankreich nicht nur eine Frage neuer Unternehmensstrategien, sondern berührt auch eine Ebene der nationalen Identität.

Bei der Google-Steuer, wie sie im Zelnik-Bericht an den Kulturminister vorgeschlagen wird, soll das Umsatzvolumen, das Google mit Werbung auf französischen Internetseiten erzielt, besteuert werden. Dies würde natürlich auch Bing (Microsoft) und Yahoo treffen, aber kein europäisches Unternehmen.

Hier ist wohl der schlichte Erfolgsneid Vater des Gedankens und das vorgeschlagene Instrument, eine Steuer, ein Ansatz wie aus der Mottenkiste eines Pariser Filmstudios. Hilfreicher als eine neue Steuer wäre allemal, Europa könnte sich endlich auf eine Harmonisierung seiner schon bestehenden Steuern einigen. Denn dann könnte ein Unternehmen wie Google nicht länger mit Tochtergesellschaften in Luxemburg und Irland seine Umsätze hin und herschieben und so seinen Aufwand an Ertragssteuern minimieren.

Dazu kommt, dass Steuern und Zölle in der Vergangenheit noch nie den technischen Wandel und damit den Aufstieg oder Fall einzelner Branchen verhindern konnten. Im Europa des 21. Jahrhunderts sollte man diese Lektion allmählich gelernt haben.

Sind wir schon bereit für das 21. Jahrhundert?

Anstatt also immer wieder Google ins Visier zu nehmen, müssen wir Europäer uns (und unsere Politiker) fragen, ob wir schon begonnen haben, die Dimensionen und Mechanismen dieser zweifellos neuen Epoche zu sehen, oder ob wir noch zu sehr in allmählich überholten Kategorien denken.

Dass der Weg in die neue Zeit noch weit sein kann, zeigt nicht zuletzt Alvar Freude, wenn er über “Sendezeitbegrenzungen” als Vorschlag für den Jugendschutz im Internet schreibt. Hier wird besonders deutlich, wie ein Instrument, das in der Vergangenheit und unter den medientechnischen Rahmenbedingungen des 20. Jahrhunderts durchaus wirksam war, im Zeitalter des Internets völlig unsinnig ist und nur noch hilflos wirkt.

In diesem Sinne kann uns vielleicht der Franzose Michel Cartier mit dem folgenden Video helfen, die neue Zeit etwas besser zu verstehen. Denn Google wird auch in den nächsten Jahren immer wieder für Überraschungen gut sein.

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