#Leistungsschutzrecht

Leistungsschutzrecht: Alter Wein in alten Schläuchen

von , 17.11.09

Mathias Schwarz, Partner bei SKW Schwarz Rechtsanwälte, Honorarprofessor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und ehemaliger Leiter der Rechtsabteilung der KirchGruppe, hat am Dienstag beim so genannten Zeitschriftentag, dem jährlichen Treffen des Verbands der deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ), alle Argumente für die Schaffung eines Leistungsschutzrechts wiederholt, die längst entkräftet sind. Eine Zusammenfassung (eingerückt die Aussagen von Schwarz).

Andere Werkvermittler haben ein Leistungsschutzrecht (z.B. die Musik- und Filmindustrie), Presseverlage nicht. Damit seien sie schlechter gestellt, und das sei „systemwidrig“.

Was für ein Argument soll die Aussage „Der andere hat ein Bonbon, also habe ich auch Recht auf eins!“ darstellen? Seit es gewerbliche Schutzrechte gibt, werden sie verschärft mit der Begründung, es müsse eine „Harmonisierung“ stattfinden. Diese Harmonisierung findet selbstverständlich immer auf dem strengsten Schutzniveau statt. Eine empirische Analyse der Auswirkungen, die davon zu erwarten sind, wird entweder nicht vorgenommen, oder, wenn sie Ergebnisse bringt, die einer Verschärfung widersprechen, ignoriert.

Zuletzt passierte das vor einem Jahr, als sich eine Phalanx der renommiertesten europäischen Urheberrechtsexperten gegen die Verlängerung der Schutzdauer für Musikaufnahmen von 50 auf 95 Jahre aussprach: Martin Kretschmer vom Centre for Intellectual Property Policy & Management der Bournemouth University, Lionel Bently und Rufus Pollock vom Centre for Intellectual Property & information Law der University of Cambridge, Reto Hilty vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht und Professor Bernt Hugenholtz, Leiter des Institute for Information Law der Universität Amsterdam. Begründung der Experten: Es gibt etliche Untersuchungen, die eindeutig belegen,  dass die Verwerter überproportional profitieren, die zusätzlichen Einnahmen der Urheber minimal sind, und die Öffentlichkeit die Zeche zahlen muss. Ergebnis: Die Schutzdauer wurde auf 75 Jahre verlängert.
Systemwidrig ist nicht ein Schutz, der von anderen abweicht, sondern einer, der nicht erreicht, was gesellschaftlich sinnvoll ist.

Presseverleger sind nicht nur Geldgeber der Autoren, sondern tragen das gesamte wirtschaftliche Risiko, wählen Themen und Artikel aus, lektorieren, erwerben Rechte, gestalten die visuelle Ausdrucksform, sorgen für Rechteerwerb, Vertragsschluss, Qualitätssicherung im Herstellungsprozess und veredeln Presseprodukt durch Marketing. Diese organisatorische und technische Leistung muss geschützt werden.

Richtig, und das wird sie auch: durch das Urheberrecht. Noch immer ist kein Beispiel einer Handlung aufgetaucht, die den Verlegern eindeutig und unverhältnismäßig schadet, durch das Urheberrecht nicht unterbunden werden kann und daher ein Leistungsschutzrecht erfordert. Dazu unten mehr.

Die „irritierende Leerstelle im deutschen Schutzsystem hat immer verwundert“. Andere Rechtsordnungen haben längst darauf reagiert, wie etwa Großbritannien mit dem „Publishers’ Right“.

Eine Stelle, an der überdeutlich wird, auf wie schwachen Beinen die Forderung der Verleger steht. Das Publishers’ Right verleiht Verlagen ein „Copyright in typographical arrangement“, schützt also die exakte typographische Übernahme eines Textes. Sie nützt im Netz überhaupt nichts, da schon eine winzige formale Umstellung dazu führt, dass der Schutz nicht greift. Section 17 (5) des britischen Copyright, Designs and Patents Act spricht von „copying“ als „making a facsimile copy“. Nur bei Übernahme ganzer Zeitungsseiten greift die Regelung, wie im Fall Newspaper Licensing Agency vs. Marks & Spencer 2003 höchstricherlich bestätigt wurde. Ergebnis: Mit dieser Art Leistungsschutzrecht könnte wohl auch hier jeder Kritiker leben – weil es nichts ändert.

Man weiß nicht, wie ernst man jemanden nehmen soll, der erneut ein Argument vorbringt, das längst mehrfach öffentlich entkräftet wurde, in der aktuellen Debatte zuletzt von Urheberrechtler Ansgar Ohly und durch das Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Im bisher unveröffentlichten Gutachten des Bayerischen Journalistenverbands ist es ebenso. Die Verleger und ihre juristischen Berater müssen einigermaßen verzweifelt sein.

Der Vorteil eines Leistungsschutzrechts gegenüber dem Urheberrecht ist der, dass Verleger damit Inhaber einer eigene Rechtsposition werden, so dass sie sich selbstständig gegen unerlaubte Nutzungen wehren können – etwa durch Rip-Offs, also umgeschriebene Texte, die ohne Quellenangabe und Recherche, ohne Honorierung übernommen werden. Sie stellen erhebliche Probleme für die Verlage dar.

Erstens ist bis heute kein einziger Beleg dafür erbracht worden, welches Angebot in großem Stil gewerblich Rip-Offs erstellt, und zwar auch noch so erfolgreich, dass damit den Verlegern Einnahmen entgehen. Und warum fehlt der Beleg?

Weil – zweitens – das Urheberrecht einen weit reichenden Schutz bietet, mit dem man unerlaubte Übernahmen von geschützten Texten unterbinden kann. Oder, wie Markus Beckedahl es gestern auf der Podiumsdiskussion zum Leistungsschutzrecht treffend ausdrückte: „Das Bild des Axel-Springer-Konzerns, der ohne Leistungsschutzrecht hilflos einem Blogger gegenübersteht, der die Inhalte von Bild.de in seinem Blog spiegelt, kommt einem bei den derzeitigen Abmahnpraktiken doch etwas surreal vor.“

Dazu passend:

Bisher haben Verlage nur einen abgeleiteten Schutz, denn sie müssen sich die Verwertungsrechte von Urhebern einräumen lassen. Das berge erhebliche Nachteile: nämlich die unzureichende Möglichkeiten, Zweitauswertung zu unterbinden, weil die Verlage bisher die wirksame Einräumung dieser Rechte nachweisen müssen.

Das ist auch das Argument Keeses, der sagte, Springer allein habe etwa 40.000 Autoren, vom Professor (für Urheberrecht?), der nur einmal in seinem Leben einen Aufsatz in der Zeitung veröffentlicht, bis zur ständigen freien Mitarbeiterin. Der Aufwand, hier die wirksame Einräumung der Rechte nachzuweisen, stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag.

Erstens: Genau aus dem Grund legen die Verlage – leider zu oft erfolgreich – freien Journalisten Total-Buyout-Verträge vor, in denen die Journalisten sämtliche denkbaren und undenkbaren Rechte abtreten müssen. Die kompletten Verwertungsrechte aller Festangestellten besitzen sie ohnehin bereits, entweder per Tarif-, oder per Arbeitsvertrag.

Zweitens: Es kann einem Verlag, der bereits jetzt in großem Stil Inhalte innerhalb und außerhalb des Konzerns weiter verwertet (man denke nur an die Kooperation zwischen Welt und Berliner Morgenpost), nicht zugemutet werden nachzuhalten, auf welcher rechtlichen Basis er das tut? Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen. Man müsste lachen, wenn man nicht wüsste, dass genau das passiert: dass Verlage massiv gegen Urheberrechte verstoßen, weil sie Texte bei GBI/Genios, in Online-Angeboten und Archiven, in Publikationen innerhalb des eigenen Konzerns und über Partnerverlage verwerten, ohne über die entsprechenden Rechte zu verfügen. Ilja Braun hat das in seinem fantastischen Artikel “Die Zeitungen und die Rechte ihrer Autoren” bereits im Jahr 2007 mit zahlreichen Beispielen belegt, darunter die FAZ, die die Günter Grass’ Nobelpreisrede weiterverkauft, ohne die Rechte daran zu besitzen.

Schwarz fährt fort:

Fehlt es an der Rechteinräumung, wird es noch schwieriger für den Verlag, gegen die Weiternutzung vorzugehen.

Genau. Und genau so soll es sein. Denn es gibt einen Grund, warum das Gesetz vorsieht, dass es nicht nur verschiedene Verwertungsrechte gibt, sondern der Urheber auch die Möglichkeit hat, einen Text nur zur einfachen Nutzung (vor gar nicht allzu langer Zeit, also vor den Total-Buyouts, der Standard bei Printjournalisten) zu lizenzieren. Denn der Urheber hat möglicherweise gar kein Interesse daran, dass sein Artikel nur bei einem Verlag erscheint und dann womöglich hinter einer Paywall verschwindet, oder dass jemand, der den Artikel übernimmt, mit der Abmahnkeule bedroht wird. Die Argumentation: Wir haben vom Autor keine Rechte eingeräumt bekommen, hätten sie aber eigentlich eingeräumt bekommen sollen, daher brauchen wir jetzt ein Leistungsschutzrecht, das sie uns sichert, ist auf bizarre Weise dreist und stellt die Idee des Urheberrechts auf den Kopf.

Aber es kommt noch besser:

Artikel 5 GG legt nicht nur ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat fest, sondern ist als Bestandsgarantie für eine freie Presse zu verstehen. Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber der Presse.

Das kann schon sein – wenn „Presse“ als die Gesamtheit des meinungsbildenden Journalismus verstanden wird. Eine Pflicht, Verlagen ein Auskommen zu sichern, die bedrucktes Papier verkaufen, hat der Staat nicht.

Journalisten müssen partizipieren können, der Informationsaustausch darf nicht behindert, die Rechte der Autoren dürfen nicht beschränkt werden. Die Autoren werden an einzelnen Beiträgen entstehende Urheberrechte für sich behalten.

Es sind gefährliche Zeiten, in denen das Selbstverständliche wie ein gütiges Zugeständnis verkauft wird. Ein Schutzrecht, das leistet, was die Verlage gern hätten – das Aggregieren und sonstige „gewerbliche Nutzen“ von Inhalten zu unterbinden oder zumindest abgabepflichtig zu machen – müsste so weit gehen, dass das Schutzrecht selbst die Pressefreiheit in Gefahr bringt. Auf den Gesetzesentwurf kann man gespannt sein.

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