von Johannes Novy, 21.1.15
Der deutsche Olympia-Zweikampf läuft auf Hochtouren. Sowohl Berlin als auch Hamburg bewerben sich und bereits am 21. März wird der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) entscheiden, ob er mit der Hanse- oder der Hauptstadt ins Rennen für die Ausrichtung der Sommerspiele 2024 gehen wird. Von einer realistischen Chance auf einen Zuschlag ist nicht auszugehen. Dagegen spricht unter anderem die Favoritenrolle der Vereinigten Staaten. Sie treten mit einer gut vorbereiteten Kandidatur Bostons an und sind Verlautbarungen zufolge nach mehreren erfolglosen Bewerbungen, nun endlich mal wieder dran, das „größte Sportfest der Welt“ auszutragen. Das Kalkül des DOSB ist es, mit einer starken Bewerbung die Voraussetzungen zu schaffen, um vier Jahre später die Olympischen Spiele nach Deutschland zu holen. Tatsächlich ist es durchaus vorstellbar, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) für 2028 wieder einer europäischen Stadt den Zuschlag gibt und sich eine deutsche Bewerbung durchsetzt. Aber wäre es wünschenswert?
Zu dieser Frage sind die Meinungen geteilt. Das Image der Spiele ist angekratzt, das des IOC unterirdisch, und die Vertreter der deutschen Bewerberstädte wissen, dass sie einiges an Überzeugungsarbeit werden leisten müssen, um die für eine aussichtsreiche Kandidatur nötige Unterstützung in der Öffentlichkeit sicherzustellen. Sowohl Hamburg als auch Berlin haben angekündigt, im Fall eines Zuschlags durch den DOSB die Bevölkerung über ihre Kandidatur abstimmen zu lassen. Sollte bei dieser Abstimmung keine deutliche Mehrheit erzielt werden, käme dies einer Niederlage gleich und würde die Chancen auf eine Austragung entweder zunichte machen oder zumindest deutlich schmälern.
„Die Olympischen Spiele – für viele Beobachter sind sie nicht nur die größte Show sondern auch einer der größten Schwindel auf Erden. Ein Riesengeschäft, bei dem die Olympische Idee für ökonomische und politische Zwecke instrumentalisiert wird, Rechtsstandards außer Kraft gesetzt werden und der Steuerzahler der Dumme ist, während das IOC sich die Taschen vollstopft“.
Um dieser Eventualität zu begegnen, verfolgen die Verantwortlichen eine zweigleisige Strategie. Man bemüht sich, Nutzen und Chancen groß- und Kosten sowie Risiken kleinzureden, indem man die Bilanz bisheriger Ausrichterstädte verklärt. Und man erweckt den Eindruck, eine Ausrichtung des Megaevents dazu nutzen zu wollen – und nutzen zu können – die Reformagenda des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach zu unterstützen. Sowohl an der Elbe als auch an der Spree ist von weniger Größenwahn und mehr Kostenbewusstsein die Rede, von Transparenz und Nachhaltigkeit. Berlins Bürgermeister Michael Müller spricht gar von einer „neu gedachten echten Reform-Olympiade“, sollten sich die Berliner denn für eine Ausrichtung begeistern lassen. Es wäre unangebracht, Müller den Willen abzusprechen, sich tatsächlich für eine Transformation der Spiele einzusetzen. Aber es ist legitim zu fragen, ob er und seine Mitstreiter ihre eigenen Möglichkeiten der Einflussnahme über- und den anhaltenden Einfluss jener Interessen- und Machtvektoren unterschätzen, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass Olympia gastgebenden Städten nicht nachhaltigen Wohlstand sondern in der Regel zusätzliche Probleme in Form von horrenden Defiziten und so genannten „white elephants“, d.h. überdimensionierter und über Jahrzehnte hohe Unterhaltskosten verursachender Infrastruktur hinterließ. Die Olympischen Spiele – für viele Beobachter sind sie nicht nur die größte Show sondern auch einer der größten Schwindel auf Erden. Ein Riesengeschäft, bei dem die Olympische Idee für ökonomische und politische Zwecke instrumentalisiert oder sogar missbraucht wird, Rechtsstandards außer Kraft gesetzt werden und der Steuerzahler der Dumme ist, weil er für eine Party blecht, die er nicht oder unter Vortäuschung falscher Tatsachen bestellt hat, während das IOC sich die Taschen vollstopft – steuerfrei versteht sich. All dies ist ausgiebig dokumentiert – zuletzt in zwei lesenswerten Büchern von Jules Boykoff und Iain Lindsay, die unter anderem mit dem Mythos aufräumen, die Spiele in London 2012 seien eine einzige Erfolgsgeschichte gewesen. Unter Thomas Bach, der dem IOC seit September 2013 vorsteht, soll all das jetzt anders werden, und tatsächlich beinhaltet das von ihm im Dezember durchgesetzte Reformpaket zur Neuausrichtung des Olympischen Sports eine Reihe bemerkenswerter Maßnahmen. Vielen Kritikern gehen die Veränderungen jedoch nicht weit genug. Ob sie ausreichen, die Spiele der notwendigen Rundum-Erneuerung zu unterziehen, ist tatsächlich nicht gesagt.
Hinzu kommt, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihren Politikern schlicht nicht zutrauen, ein Event von der Größe und Komplexität der Spiele erfolgreich auszurichten. Wenn Klaus Böger, der ehemalige Sport- und Bildungssenator Berlins, in seiner Funktion als Präsident des Landessportbunds mit einem Schuss hauptstadttypischer Hybris kundtut, dass sich nicht Berlin an Olympia, sondern Olympia an Berlin anpassen müsse, ist das angesichts der nicht enden wollenden Katastrophenmeldungen um den neuen Berliner Flughafen und andere Bauvorhaben vor allem eins: unfreiwillig komisch. Woran anpassen? An die mittlerweile zur Tradition gewordenen Regelmäßigkeit, mit der Berlin an der pünktlichen Fertigstellung von Großprojekten scheitert?
Eine Geschichte der gebrochenen Versprechen
Doch ganz gleich, ob man den Verantwortlichen zutraut, ihren Worten, so sie denn die Gelegenheit dazu bekommen, Taten folgen zu lassen, lohnt es sich, diese Worte selbst einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Und die fallen, wen überrascht’s, häufig (noch) recht vage aus. Viel ist zum Beispiel von Nachhaltigkeit die Rede, aber wie die Bewerberstädte ihre Nachhaltigkeitsziele konkret definieren und umzusetzen gedenken, bleibt an vielen Stellen unklar. Was ist gemeint, wenn in der Berliner Interessensbekundung von „sozialer Verträglichkeit“ (ohnehin ein Unwort) die Rede ist, mit der „Glaubwürdigkeit und Akzeptanz“ gewonnen und „der Olympischen Bewegung auf Grundlage ihrer Charta neue Impulse“ gegeben werden sollen? Und wird „soziale Nachhaltigkeit“, wie im begleitenden „Argumentationspapier“ zu lesen ist, wirklich durch die „Einbeziehung der Bevölkerung“, „bezahlbare Eintrittspreise“ sowie „Schaffung dringend benötigten Wohnraum[s] in attraktiver Lage“ gewährleistet? Gerade weil die Geschichte der Olympischen Spiele bezüglich ihres Nutzen für gastgebende Städte eine Geschichte der gebrochenen Versprechen ist und die Ausrichtung eines solchen Megaevents in Zeiten ohnehin angespannter Wohnungsmärkte aufgrund der zu erwartenden Anstiege bei Immobilienpreisen unweigerlich erheblichen sozialen Sprengstoff birgt, lassen die Ausführungen beider Bewerberstädte hinsichtlich des vermeintlichen „sozialen Mehrwerts“ der Spiele zu viele Fragen unbeantwortet.
IOC-Reformen? „A pig with lipstick is still a pig“
Gleiches gilt auch für die mantrahaft wiederholten Beteuerungen, an Beteiligung und Mitsprache interessiert zu sein. Berlin stellt sogar vollmundig „demokratische, partizipative und transparente Spiele“ in Aussicht. Das ist in etwa so realistisch wie ein Tag ohne Weichenstörung bei der Berliner S-Bahn. Schließlich ist das gravierende Demokratiedefizit des noch vor wenigen Jahren vom britischen One World Trust mit dem wenig schmeichelhaften Titel „intransparentestes Unternehmen der Welt“ ausgezeichneten IOCs mit den eingeleiteten Reformen nicht aus der Welt, auch sein Einfluss auf die Ausrichter der Spiele bleibt enorm. Viele Olympiagegner halten es ohnehin mit der Redewendung „a pig with lipstick is still a pig“ – sie können sich schlicht nicht vorstellen, dass der plötzliche Sinneswandel des IOC ernst gemeint ist. Es ist ihnen angesichts der langen Tradition des IOCs, Olympia-Gastgebern entrechtende Knebelverträge aufzuzwingen und mit autoritären Staaten und Diktaturen gemeinsame Sache zu machen, nicht zu verübeln.
„Den Logiken von Standortkonkurrenz und Wettbewerb wird das Wort geredet, Städte werden zu Getriebenen derselben.“
Sicher, Bürgerinnen und Bürger sollen sowohl in Hamburg als auch in Berlin die Möglichkeit erhalten, über eine mögliche Bewerbung mitzuentscheiden. Hierbei handelt es sich aber um ein Zugeständnis, ohne dass die Verantwortlichen ihre Olympiaträume von vornherein hätten begraben können. Nimmt man jedoch für einen Augenblick an, dass ihnen wirklich an umfassender Einbeziehung oder gar „Teilhabe“ gelegen ist, fragt man sich, wie genau gewährleistet werden soll, dass die Stadtgesellschaft auch bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Olympiaplanungen gebührend Gehör findet. Bislang verbindet man mit den Olympischen Spielen bekanntlich eher eine Schwächung oder gar Missachtung demokratischer Rechte auf Beteiligung und mit folgelosem Particitainment (Klaus Selle), bei dem es nichts zu entscheiden gibt, werden sich die Bürgerinnen und Bürger nicht zufrieden gibt. Fragwürdig ist auch, warum sie nicht bereits bei der Entscheidung über den Eintritt in das Bewerbungsverfahren ernsthafter beteiligt wurden. Bei einer im Sommer letzten Jahres durchgeführten Online-Befragung zur Grundausrichtung einer möglichen Berliner Bewerbung konnten Teilnehmer unter eine Reihe von Suggestivfragen („Wie wichtig ist ihnen Soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit?“) ihr Häckchen machen. Bedenken äußern oder sich gar gegen eine Bewerbung aussprechen, durften sie nicht. Derlei Akzeptanzbeschaffungsbeteiligung irritiert und überhaupt bekommt man bislang von dem selbstformulierten – und unter anderem dem erwähnten Argumentationspapier Berlins zu entnehmenden – Anspruch, „bewusst und sorgsam“ mit den öffentlichen Kontroversen zu internationalen Sportgroßveranstaltungen umgehen zu wollen, recht wenig mit. Die Verantwortlichen mögen die wahre Flut von kritischen Forschungsarbeiten zu bisherigen Olympischen Spiele kennen. Vor einer öffentlichen Auseinandersetzung mit ihren Verfassern scheinen sie sich aber ebenso zu scheuen wie vor der in Fachkreisen ganz selbstverständlich geführten Debatte über Alternativen zur (Mega-)Event-basierten Stadtentwicklung und ihren Prämissen.
Olympia-Bewerbung: Ausdruck und Treiber neoliberaler Städtekonkurrenz
Die Stadtforschung diagnostiziert bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten eine zunehmende Fixiertheit städtischer Politik auf Events und Spektakel. Sie tut dies durchaus kritisch und das nicht nur aufgrund der wiederholten Erfahrung, dass die mit Events und Spektakel verbundenen Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich ihres ökonomischen Nutzens, in der Realität häufig nicht eintreten. Kritisiert wird die „Festivalisierung der Stadtpolitik“ (Hartmut Häußermann und Walter Siebel), weil durch diese anderen, weniger spektakelträchtigen Aufgaben die ohnehin schon knappen Mittel entzogen werden und, ganz grundsätzlich, aufgrund der dem internationalen Event-Wettbewerb zugrunde liegenden neoliberalen Prinzipien. Den Logiken von Standortkonkurrenz und Wettbewerb wird das Wort geredet, Städte werden zu Getriebenen derselben. Dass Städte miteinander im Wettbewerb stehen – übrigens nicht nur um finanzkräftige Investoren, Bewohner oder Touristen, sondern auch um öffentliche Fördermittel – ist ein nicht zu leugnender Fakt. Tatsache ist aber auch, dass sie diesen Wettbewerb schüren, in dem sie darauf verzichten, Alternativen zu ihm zu entwickeln, also zum Beispiel der Konkurrenz unter ihnen durch mehr Kooperation und Solidarität zu begegnen.
Ein wirkliches Reform-Signal: eine gemeinsame Bewerbung
Es ist nicht zuletzt das Ausblenden alternativer Möglichkeiten städtischer Entwicklung beziehungsweise die insinuierte Alternativlosigkeit, die das Werben der Olympia-Befürworter befremdlich macht. Der jüngst erweckte Eindruck, nur mit den Spielen sei der massive Sanierungsbedarf beim Berliner Breitensport zu beheben, ist ein Beispiel. Derartige Behauptungen haben etwas Erpresserisches und sind darüber hinaus vor allem eines: ein politisches Armutszeugnis. Eine Alternative hätte es unter Umständen übrigens auch zu dem laufenden Bewerber-Wettstreit zwischen Berlin und Hamburg gegeben, denn eine Möglichkeit ist nie ernsthaft geprüft worden: eine gemeinsame Bewerbung. Obwohl DOSB-Generaldirektor Michael Vesper nicht müde wird zu betonen, dass eine Doppel-Bewerbung von den Statuten des IOC nach wie vor nicht vorgesehen sei, schließt der IOC länder- und städteübergreifende Olympische Spiele inzwischen nicht mehr aus. Weil dem so ist, schlagen Hamburg und Berlin vor, als Gastgeberstadt die Spiele in die sie umliegenden Regionen auszudehnen. Ein wichtiger Schritt, aber von einem gemeinsamen Auftreten der beiden Städte hätte womöglich ein ungleich wichtigeres Zeichen ausgehen können.
„Miteinander statt gegeneinander“ – mit einer derartigen Positionierung hätten die Verantwortlichen nicht nur einen Beitrag zur Wiederbelebung der Olympischen Idee leisten und der Idee der Konkurrenz als den Prozess der Stadtentwicklung beherrschendes Prinzip etwas entgegensetzen können. Auch der an der Elbe und der Spree gleichermaßen beschworenen Bürgernähe hätten sie vielleicht einen Dienst erweisen können. In einer im Herbst letzten Jahres veröffentlichten Umfrage im Auftrag von ZEIT ONLINE sprach sich jedenfalls eine deutliche Mehrheit dafür aus, dass die beiden Städte sich gemeinsam bewerben. „Geteilte Freude ist doppelte Freude“ könnte als Motto Pate für ihre Entscheidung gestanden haben. Oder aber auch „geteiltes Leid ist halbes Leid“ in dem Wissen, dass auf die Riesenparty Olympia allzu oft ein großer Kater folgt.
Johannes Novy schreibt in loser Folge über die Themen Architektur und Stadtentwicklung. Zuletzt erschienen zur Eröffnung der Mall of Berlin: Tear down this Mall! Eine Reisewarnung.
(aktualisiert am 12.2.2015)