#Bürgerrechte

Geheimdienste und Bürgerrechte

von , 10.7.13

Vor zwei Wochen habe ich die Hinterlist einer lichtscheuen Politik kommentiert. Daran anknüpfend möchte ich jetzt die Frage aufwerfen, wie sich die Tätigkeit von Geheimdiensten mit den Bürgerrechten verträgt.

(Auslands)-Geheimdienste sind ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert, aus der Zeit des kalten Krieges, in der es als politische Notwendigkeit gesehen wurde, dass sich verfeindete Staaten – und nicht nur die – gegenseitig bespitzeln.

Der Tätigkeit von Geheimdiensten liegt eine im Grunde widersprüchliche Logik zu Grunde. Sie werden weltweit – immer von einer national geprägten Sichtweise aus – als legitim betrachtet, obwohl ihr Auftrag letztlich darin besteht, die Politiker, Unternehmen und mittlerweile auch Bürger fremder Staaten zu überwachen und damit auch das Recht dieser Staaten zu brechen.

Dieses an sich bereits merkwürdige Konstrukt erweist sich im Zeitalter eines weltumspannenden Datennetzes endgültig als Anachronismus. Mit der Vorstellung von global geltenden Bürger- und Menschenrechten war es ohnehin nie wirklich vereinbar. Denn die Verletzung des Rechts fremder Staaten durch Geheimdienste beinhaltet immer auch die Verletzung der Grundrechte der Bürger dieses Staates.

Der amerikanische Politberater Andrew B. Denison hat dies in der Talkshow von Anne Will auf den Punkt gebracht, indem er sagte, es sei die Aufgabe der NSA, das Recht fremder Staaten zu brechen, allerdings nicht, ohne dies praktisch im selben Atemzug als legitim zu bezeichnen. Wenn wir ein weltweites System von Geheimdiensten akzeptieren, dann akzeptieren wir immer auch die weltweite Verletzung von Grund- und Bürgerrechten.

Die aktuelle öffentliche Diskussion erfasst die Tragweite und Bedeutung dieses Aspekts noch nichts ansatzweise. Wir müssen die Rolle der Geheimdienste vor dem Hintergrund der Funktionsfähigkeit desjenigen Staatswesens diskutieren, zu dem sich alle westlichen Staaten formal bekennen. Verträgt sich das Grundkonzept von Geheimdiensten mit der Vorstellung von einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Die nationalstaatliche Betrachtungsweise ist dafür zu eng. Andernfalls würden wir akzeptieren, dass das Recht eines beliebigen Nationalstaats im Ergebnis immer Vorrang vor global geltenden und wirkenden Menschen- und Bürgerrechten hätte.

Wir müssen letztlich erkennen, dass unser Demokratisierungsprozess noch nicht abgeschlossen, sondern vielmehr ins Stocken geraten ist. Auf dem Weg zu einer vollständigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung müssen Fremdkörper wie Geheimdienste beseitigt werden. Sie sind Ausdruck eines archaisch-kriegerisch geprägten Denkens, das es zu überwinden gilt. Man kann durch nationales Recht den Bruch des Rechts eines anderen Staates nicht legitimieren. Das ist vielmehr nur die Fortsetzung von Krieg mit anderen Mitteln.

Geheimdienste bewirken die Entstehung großer rechtsfreier Räume, die weltweit niemand mehr kontrollieren kann. Denn die Geheimdienste – zumindest von formal befreundeten Staaten – tauschen ihre Erkenntnisse wiederum wechselseitig aus und umgehen damit selbst die Bindungen ihres nationalen Rechts. Was sie selbst nicht ermitteln dürfen, erledigt ein ausländischer Geheimdienst, der dann wiederum Daten und Informationen liefert.

Geheimdienste schaffen dadurch ein weltweit vernetztes und unkotrolliert agierendes System, das der zielgerichteten Aushebelung von Bürgerrechten dient. Es kommt hinzu, dass das Internet die Rahmenbedingungen entscheidend verändert hat. Denn mit der Überwachung durch Geheimdienste ist es so ähnlich wie mit dem Urheberrecht: Was in den 80er Jahren noch auf einen kleineren Personenkreis beschränkt war, betrifft plötzlich (nahezu) alle Menschen.

Dass Geheimdienste unverzichtbar sind, um internationalen Terrorismus zu bekämpfen, ist eine oft gehörte, aber selten belegte Behauptung. Wenn man sich das in Deutschland populärste Beispiel der sog. Sauerlandgruppe ansieht, dann ergeben sich bei näherer Betrachtung ganz erhebliche Zweifel. Was allerdings nicht zu bezweifeln ist, dennoch gerne unter den Teppich gekehrt wird, ist der Umstand, dass bei den Geheimdiensten keineswegs die Terrorbekämpfung, sondern vielmehr die Polit- und Wirtschaftsspionage im Vordergrund steht.

Zum Abschluss noch ein paar Worte zu Edward Snowden, weil sich bei der Betrachtung seiner Handlungen dasselbe Paradoxon zeigt, das dem Konzept weltweit agierender Geheimdienste zugrund liegt. Snowden wird, wiederum von einer rein nationalen Sichtweise aus, als Verräter betrachtet, wobei selbst dies unter Juristen umstritten ist. Gleichzeitig hat er aber den Bruch von Bürger- und Menschenrechten offenkundig gemacht, zu denen sich formal alle Staaten der westlichen Welt bekennen. Aus Sicht des Rechts, zumindest wenn man es global betrachtet und nicht national, ist Snowden kein Verräter, sondern ein Aufklärer.

Der Rechtsbruch, der ihm vorgeworfen wird, besteht darin, auf einen global wirkenden Rechtsbruch hingewiesen zu haben. Weil er sich damit aber mit der US-Administration angelegt hat, wird er gejagt und kein europäischer bzw. westlicher Staat ist bereit, ihm Asyl zu gewähren, obwohl die politische Verfolgung auf der Hand liegt. Man will in Deutschland und anderswo offenbar niemandem Schutz gewähren, der von den USA politisch verfolgt wird. Der gelegentlich erhobene Vorwurf, bereits der Umstand, dass Snowden zunächst nach Hongkong und dann nach Moskau geflüchtet sei, zeige seine wirkliche Motivation, ist vor diesem Hintergrund erbärmlich und heuchlerisch.

Wir müssen letztlich nicht nur über Programme wie Prism reden, sondern über den Zustand unserer Demokratie. Nicht mehr und nicht weniger. Die Qualität eines freiheitlich-demokratischen Staates zeigt sich nämlich gerade auch am Umgang mit Aufklärern wie Snowden oder Manning, die zu Unrecht als Verräter denunziert, verfolgt und ihrer Freiheit beraubt werden.
 
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