von Frank Lübberding, 21.11.13
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist bekanntlich eine gute Adresse. Gestern redete dort unter anderem die Bundeskanzlerin, und sie fand anläßlich der Amtseinführung des neuen Präsidenten ungewohnte Worte:
Die Kanzlerin warb vor den Vertretern der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) vor allem um Verständnis für den von vielen sozialdemokratischen Themen geprägten Verlauf der Koalitionsverhandlungen: Aus den gegebenen politischen Mehrheitsverhältnissen folge nun einmal ein Auftrag an Union und SPD, und auch daraus könne etwas „Vernünftiges“ entstehen.
Im Übrigen sei in der deutschen Wirtschaft aus vielen Flexibilisierungen des Arbeitsmarkts „Missbrauch entstanden“, und dies beschwöre leider die Gefahr herauf, dass „alles wieder reguliert wird“.
So, wie sich Sigmar Gabriel gegen die Erwartungen nicht nur der parteipolitischen Linken wehren muss, sieht sich Frau Merkel seit Wochen einem Trommelfeuer der liberal-konservativen Presse gegenüber. Das betrifft nicht nur den Wirtschaftsboulevard, wie etwa Roland Tichys Wirtschaftswoche, sondern findet man auch in den Wirtschaftsseiten von FAZ oder Süddeutscher. Die Welt ist schon in allen Ressorts im Zustand der Dauerempörung.
Man hat den Eindruck, hier koaliere Frau Merkel mit Frau Wagenknecht. Wie wollen die eigentlich argumentieren, wenn es in Zukunft tatsächlich eine Mehrheit jenseits der Union geben sollte? In den Untergrund gehen und Samisdat-Zeitungen veröffentlichen? Es gingen natürlich auch Internet-Blogs.
Immerhin kommt die Bundeskanzlerin so in eine mit Gabriel vergleichbare Lage. Allerdings mit einem nicht unwichtigen Unterschied: Während Gabriel das Problem des “nicht genug” hat, etwa bei den Mindestlöhnen, muss die Bundeskanzlerin jetzt einen politischen Kurswechsel legitimieren.
Es ist offenkundig so, wie es Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten seit Tagen formuliert: Die Große Koalition bedeutet einen Abschied der deutschen Politik von den Grundprinzipien einer Agenda 2010, die in der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie zusammengefasst werden kann.
Heike Göbel formuliert das in ihrem verlinkten Kommentar so:
“Nicht einen nennenswerten Verhandlungssieg haben die Wirtschaftspolitiker bislang vermeldet. Stattdessen zurren die übermächtigen Sozialflügel Zug um Zug Einschränkungen für Unternehmen fest. Jede neue staatliche Hürde erschwert den Wettbewerb.”
Die Erschwerung des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt bedeutet übrigens nicht den Untergang des Kapitalismus in Deutschland, sondern nur den Verlust der hegemonialen Stellung der neoklassischen Arbeitsmakttheorie als zumeist unverstandene Richtlinie der deutschen Wirtschaftspolitik.
Die Debatte über die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse beweist das Gegenteil. Das deutsche Exportmodell ist in seiner hypertrophen Form erst ein Ergebnis der Politik der vergangenen 15 Jahre, wie es Mark Schieritz im Herdentrieb noch einmal dokumentiert hat. Im alten Weissgarnix-Blog war das bekanntlich eines unserer Lieblingsthemen.
Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen war allerdings nicht den Neoklassikern zu verdanken, sondern dem deutschen Korporatismusmodell. Konservative nannten das früher “Sozialpartnerschaft”. Das aber nur als Erinnerung für unsere Widerstandskämpfer, bevor sie noch in den Untergrund gehen wollen. Erst als die Politik mit der Standort- und Globalisierungsdebatte systematisch den Exportsektor zu Lasten des Binnenmarktes subventionierte, konnte er sich vom Binnenmarkt in der heutigen Form abkoppeln.
So ist das Plädoyer der OECD für Mindestlöhne als Aufforderung zur Kurskorrektur zu betrachten. Es kann den Menschen besser gehen. Nur daran wird sich ein zukünftiger Koalitionsvertrag beurteilen lassen – und es wäre eine gute Überschrift gewesen.
Es bedeutet für Union und SPD die Abkehr von einem neoliberalen Irrweg – und die Rückkehr zur “Sozialen Marktwirtschaft”. Insofern wäre das durchaus als Weichenstellung für die deutsche P0litik zu verstehen, vergleichbar mit dem berühmt gewordenen Lambsdorff-Papier von 1982.
So wird die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen Folgen haben, deren Reichweite mit Hartz-IV konkurrieren kann. Die muss man kennen, um deren Bedeutung überhaupt verstehen zu können (hier noch die Zusammenfassung in der Süddeutschen). Insofern ist die Kritik der liberal-konservativen Presse an den Koalitionsverhandlungen substantieller zu nennen als die der Kritiker von links. Sie müssen tatsächlich umdenken. Letztere sollten allerdings endlich bemerken, dass sie sich jetzt nicht mehr nur auf Neoliberalismus-Schelte beschränken können, sondern es in Zukunft um die administrative Umsetzung des Kurswechsels gehen wird.
Denn in einer Großen Koalition als Dauerzustand will bekanntlich niemand landen.
Crosspost von Wieaussieht