#Jüdisches Museum Berlin

“Zugang gestalten!” – Zwischen Eigentumspopulismus und Beteiligungsoptimismus

von , 22.10.12

Das Programm reicht von der Bestandsaufnahme unterschiedlicher Initiativen, Projekte und Strategien bis hin zu Konzepten und Visionen der Zukunft. Die Konferenz wird vom Jüdischen Museum Berlin, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Internet & Gesellschaft Co:llaboratory, iRights.Lab Kultur, der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland getragen. Am ersten Tag ging es um eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten und Probleme des Zugangs zu Wissen.
 
First we take down “geistiges Eigentum”?

Die Konferenz wurde eröffnet von Börries von Notz, Geschäftsführender Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, der die Staatssekretärin des Bundesjustizministeriums, Dr. Birgit Grundmann, als erste Rednerin begrüßen konnte. Grundmann betonte die Notwendigkeit neuer gesetzlicher Grundlagen für den Umgang mit kulturellen Erbe und mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, bestand aber auf dem umstrittenen Standpunkt, dass das “geistige Eigentum” ein Eigentumsrecht im Sinne des Grundgesetzes ist. Inwiefern sich diese Sichtweise auf den angekündigten Gesetzesentwurf zu verwaisten Werken auswirkt, wird abzuwarten sein.

Experten weisen immer wieder darauf hin, dass ein falsch ausgelegter Eigentumsbegriff, dessen Charakteristika von materiellem Eigentum auf immaterielles Eigentum übertragen wird, die digitalisierte Erinnerungskultur schwer beschädigen kann. Die Klärung des Umgangs mit verwaisten Werken ist eine der wichtigsten Aufgaben in der aktuellen Debatte um eine Reform des Urheberrechts.

Dr. Paul Klimpel, Leiter der Konferenz, stellte in seiner Eröffnungsrede klar, dass wir nicht mehr über das Ob der Gestaltung des Zugangs zum kulturellen Erbe reden, sondern nur noch über das Wie. Dabei betonte er:

“Es ist der Zugang, der entscheidet, welche Zukunft das kulturelle Erbe haben wird.”

In der Urheberrechtsdebatte werden viele Probleme diskutiert, die Auswirkungen auf den Zugang zum Kulturerbe haben.
 

Nach den Begrüßungen wurden dem interessierten Publikum verschiedene Projekte vorgestellt, die unterschiedliche Ansätze zur Gestaltung neuer Wege des Zugangs praktizieren. “First We Take Berlin” stellt Videomaterial eines von RBB und Arte produzierten Filmprojekts aus dem Jahr 2008 zur Verfügung, in dem 80 Kamerateams einen ganzen Tag lag Berlin filmisch kartografierten. Das Material stellt den Ausgangspunkt einer Diskussion in unserer Gesellschaft dar, wie wir im 21. Jahrhundert leben wollen.

Das Wikipedia-Residents-Projekt GLAM verbindet historische Geschichtsforschung mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und des kollaborativen Ansatzes der digitalen Wissensgemeinde. DM2E versucht, durch die Verlinkung verschiedener Informationen Wissen miteinander in Verbindung zu setzen, Zusammenhänge aufzuzeigen und neue Blickwinkel in der Forschung zu eröffnen.

Die Europeana arbeitet an einem digitalen Archiv von privaten Erinnerungsstücken aus dem Ersten Weltkrieg (im nächsten Jahr zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989), um Historikern und Bürgern einen neuen Zugang zu Informationen und Wissen von Geschichte auch vom heimischen Computer aus zu ermöglichen.
 
Analoge Prinzipien verhindern den Zugang zu Wissen

Der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte sprach in seinem Vortrag über den freien Zugang zum kulturellen Erbe und der Aufgabe der Wissenschaft, das Internet, das für ihn neben der technischen Ebene vor allem eine kulturelle und soziale Revolution ist, im Sinne des Wissens zu gestalten. Die Digitalisierung ermögliche, das weltweite kulturelle Erbe der Menschheit zusammen zu führen und allen zugänglich zu machen.

Zwar findet Renn die Vielzahl an Digitalisierungsprojekten löblich, sieht aber Probleme bei der Darstellung des kulturellen Erbes auf Grund der geringen Verbreitung des Prinzips Open Access in der Wissenschaft und die Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildrechten. Auch verhindern die Wissenschaftsverlage durch die Anwendung analoger Prinzipien des Printmarkts auf die digitale Welt und einen Mangel an Innovation die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse. Renn fordert deshalb, proprietäre Inhalte und Strukturen in der Wissenschaft in keiner Form zu unterstützen, damit ein mögliches Web des Wissens erreicht werden kann.
 

Der Wissen und Kultur verhindernde Charakter der jetzigen Auslegung des Urheberrechts war auch Thema des Referats von Börries von Notz. Er plädierte für die Abschaffung des Rechts der Urheberschaft bei Kulturgütern und fordertee, diese gemeinfrei zu machen. Von Notz begründete dies damit, dass die urhebenden Wissenschaftler bereits durch die öffentliche Finanzierung vergütet wurden und das Werk der es finanzierenden Allgemeinheit gehört.
Die wissenschaftliche Ehre durch die Namensnennung ist die einzige Bedingung, die Börries von Notz als erhaltenswert betrachtet. Ansonsten bedarf es seiner Meinung nach keines originären urheberrechtlichen Schutzes. Wer davon optional ausgenommen werden soll, kann sich extra in einer Datenbank registrieren lassen. Dadurch würden unzählige kulturelle Schätze von schriftlichen Zeugnissen der Geschichte für die Forschung und die Gesellschaft zugänglich werden. Ein weiterer umzusetzender Punkt ist laut von Notz die Verkürzung der Schutzfristen für Kulturgüter auf 50 Jahre ab Anmeldung. Eine innovative Idee, doch auf Grund der Gestaltung von Schutzfristen in internationalen Verträgen schwer zu verändern.
 

Christian Czychowski, Berliner Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht und in der Urheberrechtsdebatte kein unbeschriebenes Blatt, sieht zwar wie von Notz Missbrauchspotenzial durch ungerechtfertigte Schutzprivilegien, spricht sich aber grundsätzlich für einen verhältnismäßigen Umgang mit dem Eigentumsbegriff aus. Er kann nicht nachvollziehen, wieso mit Steuern finanzierte Kultureinrichtungen jedem Bürger zugänglich sein sollen [sic!]. Den freien Zugang zu kulturell wertvollem Sacheigentum sieht er als fragwürdig an und spricht sich auch bei immateriellen Kulturgütern für ein starkes Urheberrecht aus. Aus den wirtschaftliche Interessen Weniger leitet er einen Anspruch auf starke Schutzrechte ab, unabhängig des vom Publikum befürchteten Verlusts des Zugangs zum Kulturerbe.

Der Regierungdirektor der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen, Robert Kirchmaier, stand auf  Czychowskis Seite und betonte die Bedeutung privater Kunstsammlungen, und dass ein Museumsbesuch immer besser als der Besuch einer Website sei. Kirchmaier sieht die Bewahrung des kulturellen Erbes als Auftrag von Museen, was für ihn auch die “Bewahrung vor dem Zugriff Dritter” bedeutet.

Diese Form des Eigentumspopulismus gehört genauso zur Diskussion um die Gestaltung des Zugangs zu kulturellen Werken (weshalb die Organisation der Konferenz ein Lob für das Programm verdient), zwang aber zugleich viele Experten und Aktivisten zu grundsätzlicher Kritik an der Sichtweise von Czychowski und Kirchmaier. Das Publikum betonte gegenüber den beiden Rednern die Partizipationsmöglichkeiten und die soziale Bedeutung des Zugangs zu Wissen durch die Digitalisierung.

 


 

Kulturelles Erbe aller

Dass Denkmalschutz “sexy” ist, beweist laut dem österreichischen Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Dr. Andreas Lehne das österreichische Bundesdenkmalamt mit seiner Kooperation mit Wikipedia. Durch das Projekt wurde sichtbar, dass es eine am Denkmalbestand interessierte Zivilgesellschaft gibt, die sich mit großem Einsatz für das Kulturerbe ihres Landes einsetze. Auch der schwedische Wikipedianer Lennart Guldbrandsson sieht darin nur Vorteile, denn die kulturelles Erbe verwaltenden Institutionen besitzen die gleichen Ziele und sprechen die gleiche Zielgruppe wie die Wikipedia an.

Kathrin Passig setzte sich in ihrem Vortrag kritisch mit der Rolle und der Leistung der Crowd in der digitalen Bewahrung unseres Kulturerbes auseinander. Zwischen Rückschlägen und Erfolgen plädierte sie für eine Neuausrichtung der staatlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kulturerbe und neuen Denkweisen, die die Veränderungen unserer digitalisierten Gesellschaften besser wiedergeben.
 

Häufig unterscheiden Museen und Archive, ob Bestände für wissenschaftliche bzw. private Zwecke genutzt werden, oder ob eine kommerzielle Verwertung angestrebt wird. Doch wo beginnt eine „kommerzielle Nutzung“? Welche Businessmodelle wurden und werden mit der Nutzung des kulturellen Erbes verbunden? Warum genügt eine Lizenz, die nur nicht-kommerzielle Nutzung zulässt, für eine Aufnahme von Inhalten in die Wikipedia nicht? Wie ist das Einstellen von „privaten“ Fotos in soziale Netzwerke zu beurteilen? Wie verträgt sich die Einschränkung auf nicht-kommerzielle Nutzung überhaupt mit dem Grundsatz des Offenen Wissens?

Über all diese Fragen, Visionen und Tabus wird auch am zweiten Tag der internationalen Konferenz diskutiert werden. Die Konferenz Zugang gestalten! findet am 22. und 23. Oktober 2012 im Jüdischen Museum in Berlin statt. Der Eintritt ist frei.

 
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Tobias Schwarz bloggt im Logbuch des Isarmatrosen

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