#"politische Rede"

Die neuen Worte der Macht

von , 21.1.09

“Für mich war die Rede eine Enttäuschung. Sie erschien mir zu literarisch und abstrakt, manche der Formulierungen empfand ich als altmodisch Nichtsdestoweniger, hätte Präsident Bush auch nur eine halb so eloquente Rede gehalten, ich wäre umgefallen“. Diese erste Reaktion auf Obamas Antrittsrede in einem Forum der New York Times zeigt zweierlei:

— Zum einen waren die Erwartungen hoch, wahrscheinlich war es die wohl am meisten beachtete Antrittsrede in der Geschichte der US-Demokratie.

— Zweitens war es eine ernste Rede. Realistisch, stellenweise düster und doch zuversichtlich erging sie sich nicht in rhetorischer Effekthascherei und ließ sogar den Wahlkampf-Schlager „Change“ praktisch aus. Stattdessen fokussierte sie die gravierenden Probleme, vor denen die USA stehen. Sie mutete den Millionen Zuschauern vor Ort und an den Bildschirmen etwas zu, nahm sie ernst und in die Verantwortung und hatte genau deswegen transformativen Charakter. Längst hat Obama gezeigt, dass er die Menschen zum Weinen bringen kann. „Heute schien er entschlossen, sie zum Denken und, wichtiger noch, zum Handeln zu bringen“, so Jeff Shesol, Redenschreiber unter Bill Clinton.

Obamas Geschick, seine Ideen, Werte und Visionen kommunikativ aufzubereiten ist längst legendär. Er hat das Konzept der politischen Rede rehabilitiert, zu einer Zeit, da es zum Synonym für eine Ansammlung von Bushisms geworden zu sein schien. Dabei ist sein Erfolg, Jahrhunderttalent hin oder her, nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis harter Arbeit – und einer unter US-Demokraten insgesamt erhöhten Sensibilität für die Macht des Wortes.

Man erinnere sich an den US-Wahlkampf 2004: Über eine Millionen Arbeitsplätze waren verloren gegangen, mehr als tausend Soldaten hatten ihr Leben in einem fragwürdigen Krieg gelassen. Als die Amerikaner an die Wahlurnen strömten lag die Zustimmung zur Politik des Amtsinhabers George W. Bush bei mageren 50 Prozent. John Kerry, der ein oder andere wird sich noch an ihn erinnern, war damals Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Er vertrat zu fast allen politischen Themen die Position der Mehrheit der Amerikaner. Trotzdem verlor er am Ende. Warum? Entscheidend war, dass Kerry zwar die Fakten auf seiner Seite hatte, aber nicht in der Lage war in Worte zu fassen, für welche Werte er stand.

„It’s not what you say, it is what people hear!” Damit formulierte Frank Luntz, der erfolgreiche Wortschmied der Republikaner, eine Grundregel politischer Kommunikation, die von den Demokraten lange vernachlässigt wurde. Stattdessen hingen sie der Vorstellung von der Macht des besseren Arguments und der des freien, rationalen Denkens an. Doch das menschliche Gehirn funktioniert anders, zumindest nicht ausschließlich den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet. Im Gesprächsband „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ erzählt George Lakoff, Professor für kognitive Wissenschaft und Linguistik in Berkeley und Berater der Demokraten, von einem Experiment, das er regelmäßig mit seinen Studenten durchführt.

„Wenn ich an der Universität eine Einführung […] gebe, dann betrete ich am ersten Unterrichtstag […] den Seminarraum, stelle mich vor meine Studenten und sage: ‘Ich möchte, dass ihr jetzt genau das tut, was ich euch sage. Denkt nicht an einen Elefanten!’ Ich habe noch nie einen Studenten erlebt, der es geschafft hätte, diese Anweisung zu befolgen.“

Dieses Beispiel mag banal erscheinen. Doch es zeigt, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Wir können nämlich nicht „nicht denken“, können eine Idee nicht negieren, ohne gleichzeitig den dahinter stehenden Deutungsrahmen („Frame“) aufzurufen. Laut Lakoff werden nicht nur unsere Vorstellungen von den grauen Giganten des Dschungels von solchen Frames geregelt. Auch unser Begriff von Gut und Böse, von Gerechtigkeit oder der Nation – kurz: unser gesamtes Realitätsverständnis – ist davon abhängig. Frames definieren gewissermaßen das Spielfeld der Politik. Aktiviert werden diese Wert- und Sinnzusammenhänge durch Sprache, vor allem durch Metaphern. Wird in der politischen Debatte ein solcher Schlüsselbegriff über lange Zeit hinweg immer wieder benutzt und durch die Medien verbreitet, so entwickelt er sich zum Common Sense, also zum allgemeinen Verständnis der Situation.

Über Jahre beherrschten es die Republikaner virtuos, ihre Anliegen durch metaphorischen Sprachgebrauch überzeugend zu kommunizieren: Wer würde eine Initiative für sauberen Himmel, Clear Skies, nicht begrüßen? Wer wäre nicht dankbar für einen Tax Relief, das Steuersenkungsmodel mit dem Bush seine erste Amtszeit begann? Dass die Clear Skies-Initiative einem Persilschein für die Verschmutzer glich und die „Steuererleichterungen“ lediglich Großverdienern zu Gute kamen, drang lange kaum durch. Unaufhörlich wiederholten Politiker und ein konservatives Meinungsnetzwerk aus Denkfabriken, Universitäten und Medien nach dem 11. September den Regierungsslogan vom „Krieg gegen den Terror“. So konnte sich George W. Bush als zielstrebiger Feldherr eines auch wortwörtlich mit Bomben und Toten geführten Krieges gegen das Böse inszenieren. „Metaphern können töten“, mit diesen Worten begann Lakoff im Vorfeld des Irak-Krieges einen Meinungsartikel.

„Das außenpolitische Handeln einer Nation ist immer bedingt durch eine ganze Reihe von Metaphern, die unser Begreifen internationaler Politik und internationaler Konflikte weitgehend strukturieren. Und im Falle des Irak-Krieges führte das Handeln nach bestimmten Metaphern zum Tode unzähliger Menschen.

Spätestens hier wird deutlich, dass all dem auch eine nicht zu unterschätzende Manipulationsgefahr innewohnt. Doch wer in der politischen Auseinandersetzung den gegnerischen Frame nur kritisiert ohne gleichzeitig eine alternative Sichtweise zu bieten, hat schon verloren. Den Demokraten gelang es beispielsweise lange nicht, eine Alternative zu den „Steuer-Erleichterungen“ der Republikaner zu formulieren. Indem sie aber den Begriff mitbenutzten, stützten sie letztlich die Annahme, dass Steuern per se ein Übel seien, von dem es die Bürger zu „erleichtern“ gelte.

Lakoff, seit Jahren ein streitbarer Analyst der US-Politik, warnte stets davor, auf der Suche nach der „politischen Mitte“ Zugeständnisse zu machen und die Begrifflichkeiten der Gegenseite zu übernehmen. Nicht Inhalte, sondern die Unfähigkeit, diese mit den eigenen, durchaus mehrheitsfähigen Wertezusammenhängen zu verknüpfen, seien lange das Problem der Demokraten gewesen.

„Erkenne deine Werte und schaffe entsprechende Frames!“ (George Lakoff)

Lakoff stieß auf Gehör. Prominente Demokraten, allen voran Obama, diskreditierten die Haushaltspolitik George Bushs in den letzten Jahren als „unmoralisch“, reklamierten traditionelle Familienwerte für sich und wehrten sich gegen die Ausgrenzungsrhetorik der Republikaner. Aussagen, die noch bei der letzten Wahl eine Niederlage garantiert hätten, wie etwa zu den Rechten Homosexueller („our gay and lesbian brothers and sisters“) oder zum Abtreibungsrecht, waren plötzlich möglich weil sie eingebettet waren in eine schlüssig kommunizierte Vision des Aufbruchs und weil sie und einhergingen mit dem stetig wiederholten Angebot, in einen Dialog über die Erneuerung Amerikas zu treten.

Von Aufbruch, Visionen und einer Revitalisierung der Demokratie ist in Deutschland ein dreiviertel Jahr vor der Wahl wenig zu spüren. Der großen Koalition gelang es selten, ihre Vorhaben so zu vermitteln, dass sie von einer Mehrheit der Bürger mehr als hingenommen würden. Dass aus der „Verständniskluft“ zwischen Politik und Wählern ein grundlegendes Problem entstehen kann, belegen Umfragen zum nachlassenden Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Demokratie und ihre Institutionen. Die Wahlbeteiligung in Hessen spricht eine klare Sprache. An dieser Entwicklung ändert auch die Finanzkrise nichts. Denn in Zeiten der Krise wachsen zunächst die Erwartungen an Staat und Politik, nicht automatisch das Vertrauen. Die Finanzkrise bietet auch die Chance eines Neuanfangs. Kommunikativ zu nutzen wusste sie bislang keine der Parteien.

Doch je tief greifender und komplexer Veränderungen ausfallen, desto wichtiger wird der Faktor Sprache. So wie Politik nicht als Vollzug sachlogischer Gegebenheiten denkbar ist, lässt sie sich auch nicht rein rational  mit dem Verweis auf vermeintlich objektive Notwendigkeiten kommunizieren. Als Willy Brandt von „Mehr Demokratie wagen“ sprach, konnten seine Zuhörer damit viele persönliche Errungenschaften assoziieren, etwa bessere Mitbestimmung in den Ortsverbänden der Partei oder mehr Mitreden am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Heute lavieren die Parteien zwischen Alarmismus, Kapitalismuskritik und Modernisierungsrhetorik. Ein zentrales Politikfeld wie die Bildungspolitik einmal nicht nur in volkswirtschaftlichen Kategorien, nicht lediglich als Frage von Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Arbeitsplatzsicherung zu diskutieren, gelingt ihnen indes nicht. Statt klare, übergeordnete gesellschaftliche Ziele zu formulieren und aus diesen dann die notwendigen Themen abzuleiten, dominieren häufig  Regel Warenhauskataloge voller Einzelmaßnahmen.

Natürlich unterscheiden sich Deutschland und die USA in ihren historisch-kulturellen Prägungen, sind die Amerikaner offener für Pathos und Emotionalität. Nirgends sollten politische Slogans (oder schlimmer: Desinformation und Propaganda) die Inhalte ersetzen. Doch heißt dies nicht, dass die Qualität politischer Kommunikation unveränderlich, der politische Diskurs mithin unweigerlich einer der Sachzwänge und Alternativlosigkeiten sein muss. Wer glaubt, es gebe nicht die richtigen Worte, so George Lakoff, dem fehlt es in Wirklichkeit vielleicht an Ideen. Nicht an Obamas Stil oder seinen manchmal poetischen lyrics sollten sich die deutsche Politik orientieren. Entscheidend ist die Bedeutung, die er und sein Team dem Faktor Sprache beimessen, und die Systematik, mit der sie abstrakte Konzepte in wirkungsvolle, ansprechende Botschaften übersetzen.

Schließlich geht es auch um die Art und Weise, wie demokratische Politik gemacht wird. Auch hier hat Obama, dessen spektakulärer Relaunch der Website des White House am Tag des Amtsantritts online ging, den Weg gewiesen.

1972 riefen die Architekten Robert Venturi, Denis Scott Brown und Steven Izenour mit ihrem Buch „Learning from Las Vegas“ ihre Kollegen dazu auf, statt über die ubiquitäre Freizeit- und Stimmungsarchitektur die Nase zu rümpfen, die Mechanismen hinter dem Erfolg einer Architektur zu verstehen, die die Bedürfnisse der Menschen aufgreift. Das Buch entwickelte sich rasch zum Manifest der architektonischen Postmoderne, enthält aber auch Lernpotenzial für die sich gesellschaftlichen Realitäten zusehends entfremdenden politischen Eliten. Denn um wahrnehmbar (und wählbar) zu bleiben, sind auch politische Organisationen aufgerufen, in ihrer Sprache aber auch in ihrer politischen Ästhetik den Sehnsüchten, den Wünschen und Träumen der Menschen wieder Raum zu geben. Vieles ist nicht übertragbar, aber von Las Vegas Lernen bedeutet auch nicht, dass man jedem Trend hinterher rennen oder die damit verbundenen Werte kritiklos übernehmen müsste. Doch kennen sollte man sie, um gesellschaftlich den Anschluss zu wahren. Kommunikationsfähigkeit und politische Gestaltungskraft bedingen sich wechselseitig. Barack Obama hat das Land bereits mit seinem Amtsantritt verändert. Es hat nur sehr bedingt etwas mit seiner Hautfarbe zu tun.

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