#Medienwandel

Wolfgang Blau: “Der ideologische Widerstand, eigene Rollenbilder zu überdenken, ist groß.”

von , 9.10.09

Herr Blau, Sie haben schon diverse Auf- und Abs des Internet mitverfolgt. Derzeit scheint dem Rausch wieder einmal ein Kater zu folgen, die Euphorie ist dem Kalkül gewichen. Was ist passiert, dass das World Wide Web bei Wirtschaft und Medien derzeit erneut in Ungnade fällt?

Im Silicon Valley galt der Spruch „Die kurzfristigen Auswirkungen neuer Technologien werden in dem Maße überschätzt, wie ihre langfristigen Auswirkungen unterschätzt werden“. Was bedeutet das?  In den Boomjahren der New Economy wurde noch vom baldigen Ende aller Medien jenseits des World Wide Web geunkt. Dann aber ist die Online-Blase geplatzt und viele Verlage haben sich wieder erleichtert zurückgelehnt und das Netz in geradezu erstaunlicher Weise ignoriert. Jetzt realisieren die Verlage mit Schrecken, dass das Internet nicht nur die Medienlandschaft neu ordnet, sondern sogar das gesamte Wirtschaftsleben, die Art, wie die Menschen ihr Sozialleben organisieren, wie sie sich politisch informieren, wie sie Kultur konsumieren und produzieren. Ein Gezeitenwechsel, der mit der Einführung des Buchdrucks oder der Eisenbahn vergleichbar ist.

Können Sie das konkretisieren?

wblau

Zeit Online-Chefredakteur Wolfgang Blau: Das Internet wird gerade zu einer Art Betriebssystem für unsere Gesellschaft.

Das Internet verändert alle Branchen, nicht nur die Medienbranche. Schauen Sie sich beispielsweise das Gesundheitswesen an: Was machen Sie heute als erstes, wenn Sie oder eines Ihrer Familienmitglieder mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert werden? Sie gehen sofort online und informieren sich über Prognosen und Behandlungsmethoden. Früher konnte ein Arzt noch mit veralteten Fachbüchern im Regal Kompetenz suggerieren,  es galt die fixe Idee, dass ein Arzt alles weiß. Heute kommen Sie zum Arzt und kennen oft schon die drei oder vier wichtigsten Therapie-Methoden für Ihre Krankheit. Von Ihrem Arzt erwarten Sie nun eine moderierende Einordnung der verschiedenen Optionen. Das Internet verwischt die klare Trennung zwischen Experte und Laie, zwischen Produzent und Konsument. Das können Sie beispielsweise auch in der Energiebranche beobachten, im Messewesen, im Bildungssektor oder auch in der militärischen Doktrin des „Network-Centric Warfare“, die ohne das Internet nicht notwendig gewesen wäre.

Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf die Medien?

Fachwissen und Expertise werden in Zukunft noch wichtiger als heute, verstehen Sie mich also bitte nicht falsch. Auch Journalisten werden in Zukunft benötigt werden. Wir müssen in Zukunft aber unser Set von Fähigkeiten noch erweitern, zum Beispiel um die Fähigkeit, das Fachwissen unserer Leser stärker zu nutzen und anzuerkennen.  Für überregionale Nachrichtenmedien bedeutet dies, dass die bloße Mitteilung einer Nachricht nur noch selten ein Alleinstellungsmerkmal ist. Der Mehrwert besteht primär in der Einordnung, der Analyse des Geschehens. Vor allem Tageszeitungen werden es hier schwer haben, da kompetente Analyse im Vergleich zur umgeschriebenen Agentur-Meldung das teurere Produkt ist und von den Lesern noch mehr Aufmerksamkeit abverlangt. Für Broadcast-Medien kommt hinzu, dass die Zuschauer im Internet gelernt haben, dass Medieninhalte on-demand verfügbar sind. Die Idee, sich noch den starren Programm-Schemata der Radio- und Fernsehsender anzupassen, ist der Internet-Generation kaum noch vermittelbar.

Elfenbeinturm adé?

Hoffentlich. Wir können nicht mehr so tun, als ob es da draußen keine Menschen gäbe, die auch etwas wissen. Nehmen Sie die Leserschaft von ZEIT ONLINE –  ein beträchtlicher Teil davon arbeitet in Unis und Hochschulen. Nicht selten sind ihre Leserbriefe länger als unsere Artikel und auch genauso interessant. Zusätzlich zu unseren bisherigen Aufgaben werden wir in Zukunft also noch stärker in der Rolle von Moderatoren und Kuratoren agieren müssen. Eine unserer Aufgaben wird sein, das Fachwissen unserer Leser zu bündeln, zu verifizieren, zu moderieren.

Die „Weisheit der Massen“ moderieren, kein leichtes Unterfangen.

Das ist im ersten Moment natürlich eine Überforderung, weil es neu ist. Das war auch schon bei früheren Medienrevolutionen der Fall. In der Frühzeit des Buchdrucks haben sich zum Beispiel viele europäische Bibliotheken geweigert, gedruckte Bücher in ihr Repertoire aufzunehmen. Nur ein handgeschriebenes, in der Regel von Mönchen verifiziertes Buch galt als vertrauenswürdig. Einfach irgendetwas drucken kann ja jeder, so das damalige Argument, das an die heutige Ablehnung des Internet erinnert und ja auch einen gewissen Wahrheitsgehalt hat. Der Buchdruck hat uns beides ermöglicht, ungeahnte neue Möglichkeiten der Desinformation und gedruckten Propaganda einerseits und andererseits die Renaissance und eine Revolution des Wissens.

Vielen Journalisten wäre es aber immer noch lieber, sie hätten die Nachrichtenhoheit.


Diesen ideologischen Widerstand der Medienbranche, das eigene Rollenbild zu überdenken, beobachte ich  mit großer Sorge.
Es gibt noch zu viele Journalisten, die glauben, sie könnten das Netz ignorieren – ganz unabhängig von ihrem Alter. Das Netz ist für den Journalismus eine enorme Chance. Und wer glaubt, Journalisten würden bald nicht mehr gebraucht werden, denkt zu kurz. Erinnern Sie sich an die ersten Apple Computer, die Ende der 80er auf den Markt kamen? Damals wurde der Beruf des Grafikers von manchen bereits für tot erklärt, schließlich konnten viele Mac-User mit etwas Übung nun ihre Firmenlogos und Briefpapiere endlich selbst gestalten. Nur für ein paar Jahre herrschte damals zwischen Grafik-Laien und Grafik-Experten so etwas wie eine gefühlte Waffengleichheit. Dann haben sich viele Grafiker digitale Fähigkeiten angeeignet und das Grafik-Design auf eine neue Qualitätsstufe gehoben, die für Laien nur schwer erreichbar ist. Eine ähnliche Entwicklung werden wir im Journalismus beobachten können.

Welchen Stellenwert wird der User-Generierte Content demnach in Zukunft einnehmen?

Nutzer-generierte Inhalte sind im Netz wichtig, ihre Bedeutung für journalistische Websites ist aber eher punktuell, etwa wenn Leser Zeugen eines Nachrichtenereignisses wurden. Für interessanter halte ich Konzepte des nutzer-genierierten, kollaborativen Journalismus, wie ihn etwa die britische Zeitung „The Guardian“ gerade testet. Nach dem Skandal um die falschen Nebenkostenabrechnungen britischer Abgeordneter hat der Guardian Zehntausende von gescannten Kassenbelegen und Abrechnungen online veröffentlicht und seine Leser gebeten, bei der schnellen Durchsicht der Dokumente mitzuhelfen. Auf diese Weise wurden brisante Einzelheiten entdeckt, die die Redakteure, wenn überhaupt, dann erst sehr viel später gefunden hätten.

Seit dem Relaunch von Zeit Online bilden Sie rechts oben – durchaus prominent – sowohl die beliebtesten als auch die meistkommentierten Artikel Ihrer Website ab. Ist das ein erster Schritt, User generierten Input mit Ihrem eigenen Qualitätsjournalismus auf Augenhöhe zu postieren?

Wir sehen uns nicht nur als Website, die ihre Leser informiert, wir sehen uns auch als eine führende Debatten-Plattform. Es ist uns deshalb wichtig, unseren Lesern schon auf den ersten Blick mitzuteilen, welche unserer Texte gerade am stärksten diskutiert werden. Mit dem Ranking der meistgelesenen Texte haben wir nun etwa ein Jahr lang experimentiert und dabei beobachtet, dass unsere Leser bei großen Nachrichtenlagen natürlich die aktuellen Berichte zu dem jeweiligen Ereignis  am stärksten nachfragen. In den übrigen Zeiten bevorzugen sie aber Analysen, Hintergrundberichte und Reportagen. Zeit Online ist eine Nachrichtensite für Menschen, die nicht mit Nachrichtenlärm behelligt werden wollen, sich aber darauf verlassen möchten – und können -, dass wir alle wirklich wichtigen Nachrichtenereignisse selbstverständlich innerhalb weniger Minuten melden.

Jeder Artikel kann jetzt mit einem Click auf jeder Social Media-Seite veröffentlicht werden.

… um dort diskutiert zu werden, und um gefunden und gelesen zu werden. Die Zeiten, in denen wir Journalisten uns mit unseren großen Medien-Megaphonen hinstellen und erwarten konnten, dass man uns selbstverständlich zuhört oder zu uns auf die Site kommt, sind vorbei. Wir müssen uns  heute vielmehr als eine Sphäre begreifen, die ihre Inhalte an allen Wasserlöchern der digitalen Kultur bereithalten muss. Und in Zukunft wird es auch darum gehen, sämtliche Diskussionsfäden oder „Kommentar-Threads“, in denen unsere Texte diskutiert werden, wieder zusammenzuführen und visuell abzubilden. Leserdebatten überschaubar abzubilden ist eine der nächsten großen Fragestellungen beim Design journalistischer Websites.

Wie beurteilen Sie denn die aktuellen Diskussionen über die Abwanderung der Jugend ins Netz als Ursache für den Auflagenrückgang und den Strukturwandel der Zeitungen?

Die Bereitschaft Jugendlicher, Zeitung zu lesen ist auch schon in den 80er-Jahren, also lange vor dem Siegeszug des Internet deutlich zurückgegangen. Ich halte es auch für irreführend, das Internet nur als Jugendphänomen zu betrachten. Natürlich pflegen Jugendliche einen selbstverständlicheren Umgang mit dem Netz als die älteren Generationen. In absoluten Zahlen sind aber zumindest in Deutschland schon heute mehr Menschen im Alter von 60 Jahren und darüber im Netz unterwegs als Menschen unter 20 Jahren. Das ergab die ARD/ZDF Onlinestudie 2009. Selbst auf Facebook stellen die 35 – bis 49-jährigen die am stärksten wachsende Nutzergruppe.

Die Jugend ist also nicht schuld an der Zeitungsmisere. Im Grund sind es ja auch überhaupt nicht die Leser, sondern der schwindende Anzeigenmarkt.

So einfach ist es vermutlich nicht. Zeitung ist auch nicht gleich Zeitung. Eine Wochenzeitung wie die DIE ZEIT erfreut sich heute steigender Leserzahlen, viele Tageszeitungen hingegen verlieren sowohl Leser, als auch Anzeigenkunden. Eines von vielen strukturellen Problemen speziell der Tageszeitung als Gattung ist, dass sie den Anspruch hat, täglich Inhalte für zu viele verschiedene Zielgruppen beziehungsweise für die ganze Familie anzubieten, und das in Ballungsräumen, die von Single-Haushalten dominiert werden. Etwa die Hälfte aller Haushalte in Berlin, Hamburg und München sind bereits Einpersonen-Haushalte. Die durchschnittliche Tageszeitung läuft in diesem Umfeld Gefahr, keine ihrer vielen Zielgruppen mehr wirklich befriedigen zu können. Neben der schleichenden Leserabwanderung, die viele, aber nicht alle Zeitungen derzeit erleben, ist die Veränderung des Werbemarktes tatsächlich das noch größere Problem.

Ist denn die Situation der Zeitungslandschaft in den USA eins zu eins auf den deutschsprachigen Markt zu übertragen?

Die beiden Märkte sind kaum vergleichbar. In den USA hat man sich in der Regel stärker auf Werbeeinahmen und weniger auf Einzelverkaufserlöse verlassen als in Deutschland. Das wird den amerikanischen Verlegern jetzt zum Verhängnis. Am deutlichsten ist das bei den Magazinen zu beobachten. Ein Jahres-Abo mit 56 Ausgaben des Magazins TIME kostete in den USA vor ein paar Jahren noch 10 Dollar und auch heute gerade mal  20 Dollar oder etwa 14 Euro. Als Leser bezahlen Sie also nicht einmal das Porto für ihre 56 Ausgaben. Nachdem nun aber die Werberlöse stark zurückgehen, können die Einzelverkaufspreise nicht mehr in dem Maße angehoben werden, wie es eigentlich nötig wäre, um die Verluste aus dem Anzeigengeschäft wettzumachen. Auch die Vertriebsstrukturen amerikanischer Zeitungen können nicht mit Deutschland oder Österreich verglichen werden, wo sie an fest jeder größeren Tankstelle ein großes Angebot an Zeitungen vorfinden. In vielen amerikanischen Ballungsräumen kaufen Sie ihre Zeitung immer noch am Automaten, für den Sie erst einmal das passende Kleingeld brauchen. Hinzu kommt, dass die Zeitung in Deutschland im Vergleich zu den Mediengattungen Fernsehen und Radio ein sehr viel höheres Ansehen genießt als in den USA. Auch vor 20 Jahren schon hatte die Zeitung in den USA nicht mehr den Stellenwert, den sie heute noch in Deutschland hat. Ein weiterer Punkt ist die Konkurrenzsituation durch die englische Sprache: der britische Guardian, der Telegraph oder der Economist sind für die überregionalen amerikanischen Zeitungen ernsthafte Konkurrenten, wie auch BBC America der am schnellsten wachsende Nachrichten-Kabelsender der USA ist. Das große amerikanische Interesse an vertrauenswürdigen britischen Print- und Online-Medien ist eine Begleiterscheinung des Irakkriegs, den die amerikanischen Leitmedien zunächst sehr unkritisch präsentiert hatten. Auch die Internetnutzung ist in den USA intensiver als in Deutschland. Und das sind nur einige von vielen weiteren Faktoren, weshalb die amerikanische Zeitungskrise zwar eine deutliche Warnung, aber kein plausibles Szenario für die zukünftige Entwicklung des deutschen oder österreichischen Zeitungsmarktes bietet.

Paid Content für News gilt als uneinbringbar, Online-Werbung boomt nicht, und selbst Facebook & Co machen kaum Umsätze. Warum ist das Web offenbar so schwer zu monetarisieren?

Da sollten wir zwischen dem Web insgesamt und journalistischen Sites differenzieren. Google verdient großartig. Auch E-Commerce läuft gut. Und ich bin mir sicher, dass auch Facebook und die VZ-Gruppe noch sehr viel Geld verdienen werden. Grundsätzlich kann man aber nur etwas monetarisieren, wo ein Mangel besteht. Früher gab es für Wohnungs-Inserate in einem Ort oft nur eine Lokalzeitung, die oft auch noch eine Monopolstellung hatte und deshalb entsprechende Werbepreise verlangen konnte. Im Netz sind die Flächen dagegen fast unbegrenzt. Gleichzeitig wurde oft der Fehler gemacht, den Printwerbekunden die Online-Werbung als Goody obendrauf zu packen. So wurde den Anzeigenkunden früh beigebracht, dass Online-Werbung nichts wert sei. Jetzt ist es entsprechend schwierig, höhere Online-Preise durchzusetzen. Dennoch glaube ich, dass wir bereits eine Ausdifferenzierung der journalistischen Websites beobachten können, die den wenigen wirklichen Qualitäts-Sites ermöglichen wird, höhere Preise aufzurufen. Die Leser lernen gerade, zu unterscheiden, welche  Redaktion sauber zwischen Werbung und Journalismus trennt, wer am saubersten recherchiert, wer integer ist und wer nicht. Nachrichtensites können über die bloße Reichweite nicht gegen die Massenportale dieser Welt konkurrieren. Sie können aber eine besonders anspruchsvolle Leserschaft auf ihren Sites versammeln, die in dieser Dichte rar ist und damit höhere Preise rechtfertigt.

Werden sich steigende Online-Werbepreise und sinkende Printerlöse bald gegenseitig ausgleichen können?

Nein, das werden sie nicht.

Dann bleibt eine Finanzierungslücke.

Wenn man nur mit Banner-Werbung innerhalb journalistischer Angebote oder Paid Content punkten will, ja. Die Verlagsgruppe Holtzbrinck hat aber zum Glück schon frühzeitig Online-Plattformen gegründet, die die Rückgänge aus dem Print-Rubrikengeschäft zumindest abfedern können, etwa die Partnerschaftsvermittlung Parship oder unsere akademische Stellenbörse academics.de. Ich gehe aber davon aus, dass Zeitungshäuser in Zukunft eine größere Zahl verschiedener Einnahmequellen aufbauen müssen als heute. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Glaubwürdigkeit ihrer jeweiligen journalistischen Marke. Deshalb wäre es auch ein großer Fehler, online niedrigere Ansprüche an die journalistische Qualität zu stellen, als in den Printausgaben.

Ist Paid Content bei Ihnen ein Thema?

Die Nachrichtenportale im deutschsprachigen Netz sind immer noch in der Wild-West-Phase, in der es darum geht, Claims zu besetzten und sich das Vertrauen großer Leserschaften zu erarbeiten. Jetzt das Bezahlgitter herunter zu lassen, wäre nicht klug. Im Gegensatz zu den USA haben wir in vielen europäischen Ländern auch öffentlich-rechtliche Nachrichtensites, die ihre Inhalte im Netz per Gesetz ohne weitere Gebühren anbieten müssen. Sie wären einer der größten Nutznießer, wenn qualitative Print-Websites nun gebührenpflichtig würden.  Ich glaube auch, dass wir für Paid Content Inhalte entwickeln müssen, die wir jetzt noch nicht anbieten. Ein Bereich, in dem ZEIT ONLINE aber schon sehr stattliche Beträge erwirtschaftet, ist unser Audio-Abo.

Was planen Sie noch in Sachen Paid Content?

Nahe liegend sind natürlich iPhone-Apps, weil die Bezahlstruktur dahinter schon vorhanden ist. Wir haben da mehrere Projekte in der Pipeline.

Zum Beispiel?

Da muss ich leider schweigen.

Wie finanziert sich denn Ihr Online-Auftritt derzeit? Schreiben Sie schon schwarze Zahlen?

Wir finanzieren uns über Werbung und Transaktionserlöse. Wir haben unsere Redaktion in diesem Jahr ausgebaut und jetzt auch eine von Grund auf neu entwickelte Website an den Start gebracht, die von unseren Usern erfreulicherweise sehr gut angenommen wird. Wir sind also noch in der Investitionsphase und schreiben noch keine schwarzen Zahlen. Wir liegen aber gut im Plan und über unseren Vorjahreserlösen.

Twitter zählt jetzt nicht gerade zu den Qualitätsmedien. Sie führen dennoch zwei Twitter-Accounts, einen unter Wolfgang Blau und einen unter Zeit Online. Wozu?

wblau ist mein privater Account, in dem ich mich meist in englischer Sprache mit journalistischen Themen und Phänomenen befasse und auch den Kontakt mit amerikanischen Kollegen pflege. Unter twitter.com/zeitonline geht es nur um Zeit Online, jetzt zum Beispiel um den Relaunch. 10.700 User haben wir im Twitterfeed, die für uns sehr wertvoll und hilfreich sind. In Echtzeit bekommen wir so eine große Zahl detaillierter Rückmeldungen bei technischen Fehlern, Schlagzeilen, die wir noch besser formulieren könnten oder auch einfach nur Themenvorschläge.  Twitter ist sehr unmittelbar.  Es bildet das menschliche Gesprächsverhalten sehr viel direkter ab als etwa E-Mails.

Wohin könnte sich denn Twitter in seinem Einsatzgebiet weiterentwickeln?

Es gibt sehr viele Twitter-Tools, um beispielsweise die Entwicklung eines Themas in Beinahe-Echtzeit zu verfolgen. Selbstverständlich müssen Angaben von Twitter-Nutzern genauso verifiziert werden wie jede andere Quelle auch. Einen guten Überblick über journalistische Twitter-Tools finden Sie in dem Blog mashable.com. Einige amerikanische und britische Nachrichtenorganisationen betreiben auch schon Social Media Newsrooms und filtern Twitter und andere Plattformen systematisch nach Begriffen wie „Crash“, „Forest Fire“, „Flu“ und so weiter.

Twitter-Geplapper wird oft wegen seiner unglaublichen Belanglosigkeit gescholten und in die Irrelevanz verbannt. Zurecht?

Das hängt davon ab, wie Sie Relevanz definieren und über welche Filter-Werkzeuge Sie verfügen, um die speziell für Sie relevanten Inhalte zu finden. Zum Teil sind dies technische Filter, zum Teil auch nur kulturell erlernte Verhaltensweisen. Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, man würde Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben vor einen Fernseher setzen. Man würde Ihnen den Fernseher nicht erklären, sondern Ihnen lediglich eine Fernbedienung in die Hand drücken. Es würde vermutlich Monate dauern, bis Sie wüssten, wann auf welchem Kanal welche für Sie relevanten Sendungen zu finden sind. Höchstwahrscheinlich würden Sie aber schon vorher entnervt aufgeben und das Fernsehen in seiner Gesamtheit als ein seichtes – also irrelevantes –  Medium empfinden. Es ist dieser Reflex, aus dem heraus viele Journalisten das Netz noch verunglimpfen, der bei der jüngeren Generation der „Digital Natives“ aber auf Unverständnis und Ärger stößt. Denn verglichen mit dem Fernsehen oder selbst einer großen Buchhandlung, bietet das Netzt sehr viel genauere Filter- und Sortiermechanismen an, um persönlich relevante Information zu finden.

Zur  Zeit wird vermehrt der Ruf nach „Erziehung“ des Webs laut. Kinder ohne Grenzen werden zu Tyrannen, heißt es. Teilen Sie diese Ansicht?

Bei diesen Diskussionen unterstelle ich immer ein gerüttelt Maß Scheinheiligkeit. Derart glühende Qualitätsdebatten, wie sie über das Internet geführt werden, würde ich mir auch für andere Mediengattungen wünschen, vor allem das Fernsehen, weil dieses immer noch größeren gesellschaftlichen Einfluss ausübt als das Web. Selbstverständlich müssen wir darüber nachdenken, wie wir den zum Teil grauenerregenden Inhalten, die es im Netz zu finden gibt, entgegenwirken können. Die Art und Weise aber, wie die traditionellen Medien stellenweise immer noch versuchen, das Netz in Bausch und Bogen als niederwertig zu verunglimpfen oder das Netz fälschlicherweise als rechtsfreien Raum kritisieren, ist zu einem beträchtlichen Teil von der Sorge um das eigene Geschäftsmodell angetrieben. Das Netz ist kein rechtsfreier Raum.

Also keine Gefahr aus dem Netz?

Kinderpornographie und Extremismus im Netz sind reale Gefahren, denen wir unbedingt begegnen müssen. Sie werden meines Erachtens aber auch politisch instrumentalisiert, um das Netz in seiner Gesamtheit abzuwerten oder um fadenscheinige Law-and-Order-Wahlkämpfe zu führen. Die Gefahr dabei ist nun, dass andere wichtige Zukunftsfragen des Internet zu wenig Beachtung finden, vor allem die Zukunft unserer digitalen Bürgerrechte. Ob wir es wollen oder nicht, das Internet wird gerade zu einer Art Betriebssystem unserer Gesellschaft: Wir informieren uns politisch im Netz, wir wickeln unsere Bankgeschäfte und einen beträchtlichen Teil unserer Einkäufe im Netz ab, wir pflegen unsere privaten und beruflichen Kontakte über das Netz und selbst ein Großteil unserer Festnetz-Telefonie wird im Hintergund über das Internet abgewickelt. In Europa beherrschen dabei oft die ehemaligen staatlichen Telekom-Konzerne den Markt für Internetzugänge. Sämtliche gerade beschriebenen Online-Tätigkeiten wandern also durch die Pipeline ein- und desselben Dienstleisters, wobei gerade die Deutsche Telekom bereits im Umgang mit ihren eigenen Mitarbeitern gezeigt hat, dass sie ein fragwürdiges Verhältnis zum Datenschutz hat. Wenn die Menschen erst einmal nicht mehr sicher sind, ob sie sich unbeobachtet unterhalten können, beginnt die Demokratie zu leiden. Es ist deshalb Aufgabe der Medien, das Internet nicht per se zu verunglimpfen, sondern die neuen gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen und sich noch stärker für den Schutz der freien Rede und unserer Privatsphäre im Netz einzusetzen.

Dieses Interview (hier leicht gekürzt) von Doris Raßhofer erschien zuerst im Trend/Bestseller-Medienspezial 2009 und bei Horizont.at. Wir crossposten es mit freundlicher Zustimmung der Autorin.

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