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Will TV find me? Fernsehen nach Facebook und im Zeitalter des „Long Tail”

von , 20.6.12

Ich bin ein Kind der TV-Ära. Im Wohnzimmer meiner Kindheit nahm der Fernseher neben der bildungsbürgerlichen Kompetenztapete – dem gut gefüllten Bücherregal – noch einen prominenten Platz ein. Dementsprechend prominent ragt das Fernsehen in meine Kindheitserinnerungen (natürlich nur Öffentlich-Rechtliches, die Privaten kamen ja erst später): Kränkelnde Vormittage verbrachte man vor den halbstündigen Schulfernseh-Sendungen im Dritten. Zum täglichen Ins-Bett-geh-Ritual gehörte die „Sesamstraße“. Sonntags, vor Vaters „Presseclub“ gab es die „Sendung mit der Maus“. Die Samstagabende bei den Großeltern gehörten – im Schlafanzug und mit einem Teller Apfelschnitzen – den großen Familien-Shows, „Verstehen Sie Spaß?“ und allen voran „Wetten, dass …?“

Florian Illies beschreibt in „Generation Golf“, seinem Portrait der um-die-1970-Geborenen, diese Ur-Szene unserer zeitgleichen Jugend direkt am Anfang des Buches:

Ich bin zwölf und neben den grünen Augen von Sonja, sonntags im Kindergottesdienst, ist das Aufregendste am ganzen Wochenende die Eurovisionsmusik vor „Wetten, dass …?“ Es war damals selbstverständlich, dass man „Wetten, dass …?“ mit Frank Elstner guckte, niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun.

Was hier mit einem Funken Wehmut und leiser Ironie seziert wird, sind die späten Ausläufer der Massenkultur einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft, die auf Synchronizität angelegt war, und in der das Fernsehen als Lagerfeuer-Ersatz ein Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt stiftete. Dass alle zur gleichen Zeit das Gleiche gesehen haben (mussten), wurde nicht als einengend empfunden, sondern im Gegenteil: als identitätstiftend. Und wir sind vermutlich die letzten Jahrgänge, die das noch erleben durften. Vielleicht wurde keine Generation vorher und keine nachher stärker durch das Fernsehen sozialisiert als unsere.

Der Soziologe Karl Mannheim war der Erste, der mit seinem Aufsatz „Das Problem der Generation“ von 1928 der Frage, was eine Generation im kollektiven Bewusstsein konstituiert, wissenschaftlich auf den Grund ging. Demnach braucht es einschneidende Ereignisse, „markant typisierende Erlebnisse“, um aus bloßen Jahrgangskohorten oder einer „Generationenlagerung“ einen identizifierbaren „Generationszusammenhang“ oder gar eine „Generationsgestalt“ zu schmieden. Was der Ernst-Jünger-Generation die Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs, den Flakhelfern das Ende des Zweiten Weltkriegs und den 68ern die außerparlamentarische Auflehnung gegen das Establishment waren, soll für unsere Jahrgänge das gemeinsame „Wetten, dass …?“ schauen mit Frank Elstner gewesen sein? Nun ja. So ganz haut das nicht hin. Und so richtig wird aus der „Generation Golf“ deshalb auch keine Generationsgestalt, bestenfalls eine Charakterzeichnung eines bestimmten soziodemografischen Milieus.

Dennoch, und da hat Illies einen Punkt, ist das Medienverhalten heute das, worüber sich die unterschiedlichen Geburtsjahrgänge milieuübergreifend am stärksten differenzieren. Auch wenn die populäre Unterteilung in „Digital Natives“, die bereits mit dem Internet aufgewachsen sind, und „Digital Immigrants“, die zu einem späteren Zeitpunkt im Leben damit in Berührung kamen, etwas zu holzschnittartig ist: Es ist ein Unterschied, ob man in einer kindlichen Prägephase spielend den Umgang mit digitalen Technologien aufgesogen hat, oder ob man die Bewegungsgesetze des Digitalen erst später wie eine Fremdsprache erlernen musste.

Dabei ist es weniger die Adaption der mit dem digitalen Urknall einhergehenden neuen Praktiken und Kulturtechniken, die den Unterschied ausmacht. Alles eine Frage des Wollens. Ich kenne zahlreiche ältere Semester, die sich auf den tausend Internetplattformen deutlich geschmeidiger tummeln als ich. Selbst Frank Elstner hat jetzt das Twittern begonnen und postet dort lustige Baby-Videos, die er auf YouTube entdeckt hat. Der wichtigste Unterschied scheint mir darin zu bestehen, ob man Phantomschmerzen empfindet angesichts der wegbrechenden Nadelöhre und Flaschenhälse der Mainstream-Kultur, weil man sie noch kennengelernt hat. Oder ob man die neue Unübersichtlichkeit als etwas Naturwüchsiges empfindet, weil sie einem längst zur zweiten Natur geworden ist. Die Gretchenfrage zwischen den Generationen lautet, ob man eine buchstäblich zerstreute Öffentlichkeit als Bedrohung oder als Chance begreift.

Natürlich ist es den Skeptikern und Apokalyptikern nicht darum zu tun, dass auf dem Schulhof alle „Wetten, dass …?“ geschaut haben und mitreden können. Vielmehr geht es ihnen um die Demokratie und den politischen Diskurs, der ihrer Meinung nach Synchronizität und verbindliche massenmediale Austragungorte benötigt: die Tageszeitungen, die Tagesschau, die sonntägliche Talk-Runde. Andernfalls drohe, wie Cass Sunstein es in seinem Buch „Republic.com“ für die USA ausmalt, die totale Fragmentierung der Gesellschaft, das düstere Szenario einer Welt, „in der man sich nicht mehr mit Themen und Ansichten auseinanderzusetzen braucht, die man nicht selbst ausgesucht hat“. Wenn jeder im Sinne des „Egocastings“ nur noch in seiner Echokammer sitzt und engstirnig die Informationen rezipiert, die ihn unmittelbar interessieren und in seiner Grundhaltung bestärken, dann stirbt der öffentliche Diskurs mangels Beteiligung.

Dagegen argumentiert Chris Anderson in seinem Weltbestseller „The Long Tail“, der das ökonomische Paradigma der neuen Vielfalt – die Summe der Nischen wird wichtiger als die wenigen Hits des Mainstream – auch gesellschaftlich stark macht und begrüßt: „Eine Welt voller Nischen ist tatsächlich eine voller überreicher Auswahlmöglichkeiten, aber es gibt jetzt in Form von Empfehlungen und anderen Filtern auch äußerst wirksame Leitfäden, die unsere Entdeckungslust fördern und keinesfalls vermindern.“ Und weiter:

Dies bedeutet auch das Ende der Couch-Potatoes. Wenn man es recht bedenkt, haben wir uns in den Hochzeiten der großen TV-Network-Sender zwar alle das Gleiche angeschaut, dies aber allzu oft allein – „Bowling Alone“’ zur besten Sendezeit, um einen Buchtitel von Robert Putnam abzuwandeln. Online tun wir heutzutage ganz unterschiedliche Dinge, aber wir begegnen dabei höchstwahrscheinlich anderen Individuen, indem wir etwa ihre Texte lesen, in Echtzeit mit ihnen chatten oder ganz einfach ihrem Beispiel, etwa ihren Links folgen. Was wir also an gemeinsamer Kultur verloren haben, haben wir durch intensiven Kontakt zu anderen Menschen längst wieder wettgemacht. Heute fragmentieren wir uns nicht so sehr, als dass wir uns entlang unterschiedlicher Richtungen neu formieren.

Auch in der Ära des Long Tail wird es weiterhin einen Mainstream mit Blockbustern geben, das drückt sich ja gerade in der emblematischen Long-Tail-Kurve aus, die sich aus einem Kopf mit den Hits und dem langen flachen Ende der Nischen zusammensetzt. Aber die eigentliche Musik spielt im Bereich des „Very special interest“, in den wir uns aufgrund von Neigung und Interessen vortasten. Das korrespondiert mit unserer grundsätzlichen Verfasstheit als hybride Individuen, die immer zugleich in einigen Aspekten ihrer Persönlichkeit an den Mainstream angedockt sein wollen, in anderen sehr individuelle Geschmäcker aufweisen, die sie vielleicht noch mit dem persönlichen Umfeld teilen. Erst diese Mischung, die jetzt durch das Internet ermöglicht wird, macht uns zu vollständigen Persönlichkeiten, während das Zeitalter von Masse und Mainstream rückblickend als eine den limitierten Übertragungstechniken des 20. Jahrhunderts geschuldete Verknappung erscheint.

Das Buch „The Long Tail“ erschien 2006, kurz vor dem Siegeszug von Twitter und Facebook und lange bevor Google+ an den Start ging. Aber diese Microblogging- und Social-Networking-Dienste leisten heute für das Medienverhalten genau das, wovon Anderson spricht: Sie machen den sozialen Nahbereich und die eigene Interessen-Peergroup zum sozialen Filter für Mediencontent jeglicher Form, darunter auch TV-Inhalte. Die Frage, wie man in der überbordenden Vielfalt des medialen Long Tail navigiert – Kulturpessimisten verbinden sie gern mit der Klage über Informationsüberlastung und darüber, dass im Internet ja so viel Schrott zu finden sei – wird dadurch um eine schlüssige Antwort reicher. Wie es der Medientheoretiker Clay Shirky formuliert: „It is not information overload. It’s filter failure“ – wenn du dich im Überangebot nicht zurecht findest, liegt es daran, dass du die falschen Filter (oder die Filter falsch) benutzt.

Früher waren es ausschließlich die Türsteher in Redaktionen und Programmdirektionen, die darüber wachten, was in die begrenzten Kanäle der Zeitungsspalten und Sendeschemata einfloss. Heute, da die Schleusen auch für die Amateure des Web 2.0 geöffnet sind – in jeder Minute werden 48 Stunden Videomaterial auf YouTube eingestellt – tritt diese individualisierte Filterschicht notwendigerweise hinzu. Das verändert das Medienverhalten: nicht in dem Sinne, dass wir uns nun auch vor dem Internet wie vor dem Fernseher entspannt zappend zurücklehnen könnten – aber doch soweit, dass wir uns entspannen können, was die Sorge angeht, im Strom der Informationen das für uns Relevante zu verpassen. Auf den Punkt gebracht wird diese Haltung in dem Satz eines jungen Fokusgruppen-Teilnehmers, der 2008 erstmals in der „New York Times“ zitiert wurde und der mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist: „Wenn die Nachricht derart wichtig ist, wird sie mich finden.“

Tatsächlich sorgen heute Facebook, Twitter und Co. dafür, dass wir durch die Wahl unserer Freunde auch bestimmen, welche Medieninhalte an uns heranschwappen. Und wenn die These zutrifft, dass man sich in sozialen Netzwerken – offline wie online – seine Freunde nach geteilten Neigungen, Interessen, Vorlieben und Werten aussucht, spricht das dafür, dass es gar keinen besseren Qualitätsfilter für den eigenen Medienkonsum geben kann, der einen mit subjektiv relevanten Inhalten versorgt. Wo das Fernsehen Push-Medium war – Inhalte wurden ins Sendeschema und damit ins Wohnzimmer gepresst – das Internet zu Anfang Pull-Medium – Inhalte wurden gezielt angesteuert – verändert sich durch diese Filter der Mediencharakter zu etwas Drittem: sozial kuratiertem Medienkonsum.

Auf diesen Plattformen findet Medienkonvergenz tatsächlich statt: Zeitungsartikel, Blogbeiträge, Musikvideos, TV-Schnipsel, Movie-Trailer – alles reiht sich zu einem individuell konfektionierten Angebotsstrom, der bei Facebook neuerdings auch Livestream heißt. Die Marke des ursprünglichen Absenders tritt dabei in den Hintergrund. Ihre Vertrauen stiftende Funktion als Qualitätsgarant wird ersetzt durch die persönliche Empfehlung eines Freundes, der ich im Zweifel eine höhere Relevanz beimesse. Das bedeutet zweifellos eine neue Stufe im Wettbewerb um Aufmerksamkeit: jeder gegen jeden in Echtzeit. Was sich nicht fortpflanzt, weil es nicht weiterempfohlen wird, das versendet sich.

Man kann beklagen, das „wahre Qualität“ sich in diesem aufmerksamkeits-darwinistischen Klima nur schwer durchsetzt, aber dann müsste man erst einmal begründen, was wahre Qualität genau sein soll und wer sie bemisst, wenn nicht der Zuschauer. In gewisser Hinsicht erscheint Facebook sogar als meritokratischer Filter, der aus dem globalen Angebot die wahren Perlen nach oben spült, über die man sonst vielleicht nicht gestolpert wäre, zumindest nicht im deutschen Fernsehen: überragende Serienhighlights wie „Breaking Bad“ etwa, oder die Stand-ups des genialen Comedian Louis C.K. Wo das öffentlich-rechtliche Fernsehen darin versagt, anspruchsvolle Reiseformate herzustellen, die wirklich ein Gefühl für radikal andere Kulturen vermitteln – das, was Fernsehen im emphatischen Sinne einmal hätte bedeuten können –, greift man gern auf die hasardeurhaften Reisereportagen des „Vice“-Magazins zurück, die einem unter großem Einsatz sogar Nordkorea ein Stück näher bringen.

Niemand aus meinem Bekanntenkreis würde dem Fernsehen als Institution und Abspielstation noch eine herausragende Bedeutung einräumen, geschweige denn, seinen Alltag danach strukturieren (bis auf diejenigen, die ihre Miete damit verdienen). Die „Tagesschau“ oder der sonntägliche „Tatort“ sind das maximale Zugeständnis an ein rigides Sendeschema und die einzigen Sendetermine, die man noch auswendig im Kopf hat. Ich kenne niemanden mehr, der noch eine Programmzeitschrift konsultieren würde, kaum jemand hat eine App für das Fernsehprogramm auf seinem Smartphone. Die Phantomschmerzen der weggebrochenen Gemeinschaftserfahrung werden dadurch gelindert, dass man zeitnah dieselben HBO-Serien anschaut und sich die gebrannten DVDs weiterreicht. (Natürlich muss man stets aufpassen, nicht zu viel zu verraten gegenüber denjenigen, die noch weiter vorne in der jeweiligen Staffel stecken.)

Gleichzeitig ist das Fernsehen nicht ganz verschwunden aus unserem Leben. Noch immer steht die Kiste im Wohnzimmer – deutlich flacher als damals und nicht mehr ganz so prominent –, und wird an meditativen Abenden zwecks Berieselung angeschmissen. Die gezielte Wahllosigkeit ist dann Programm; Serendipity, finden, wonach man nicht gesucht hat, eine der großen Stärken des synchronen Mediums. So bleibt man mal bei „Rach – der Restauranttester“ auf RTL hängen, mal bei einer historischen Dokumentation über den Boxeraufstand auf Phoenix oder einer verdienstvollen investigativen Reportage über den Unfug der Riester-Rente in der ARD.

Wichtiger jedoch scheint mir, dass auch in den sozialen Medien die klassischen nicht ganz verschwinden. Im Gegenteil stehen am Ende vieler Verweisketten auf Facebook, Twitter und Co. wieder die Inhalte auf den Websites der großen Medienmarken, darunter auch TV-Sendungen und -Beiträge. Die limitierte Einbindbarkeit aus den öffentlich-rechtlichen Mediatheken stellt hier ein gewisses Hemmnis dar, mehr noch die medienpolitische Absurdität, dass die Inhalte nach einer Woche wieder verschwinden, bei „Bildungssendungen“ gnädigerweise erst nach einem Jahr. Dennoch profitieren auch öffentlich-rechtliche Inhalte, die andernfalls im Quotenloch verschwunden wären, vom Long-Tail-Effekt.

Ein Beitrag aus der Reihe „Menschen hautnah“ über die Lebensform Polyamorie etwa, der im Juli 2010 gut versteckt im Vorabendprogramm des WDR über den Äther ging, beschäftigte meinen Freundeskreis mehrere Monate lang und wurde von mindestens zehn Menschen in voller Länge angeschaut und weitergereicht, bevor er aus der Mediathek verschwand. So werden die Mediatheken in Verbindung mit den Social-Media-Filtern zum Korrektiv und überbrücken den strukturellen Bias, dass das Fernsehprogramm für diejenigen gemacht wird, die noch klassisch „Fernsehen schauen“, nicht für die, die es sich weitgehend abgewöhnt haben.

Das gnadenlose Diktat einer populistischen Quote, die nur die Sehgewohnheiten eines TV-affinen Mainstreams widerspiegelt, wird dadurch partiell unterlaufen. So berichtete mir Volker Panzer, der mit seinem „Nachtstudio“ im ZDF die längste Zeit einsam die Standarte einer kulturwissenschaftlich informierten Debatte hochhielt, er leide weit weniger unter seinem aussichtslosen Sendeplatz am Sonntag nach Mitternacht, seitdem die Sendung auch über die Mediathek ein Jahr lang verfügbar ist. Auch wenn die Zahl der Zugriffe gemessen an der Einschaltquote immer noch überschaubar ist, hätten diese Kontakte doch eine ganz andere Qualität – indem Inhalte nämlich an diejenigen geraten, die sich dafür wirklich interessieren, nicht nur diejenigen, die zufällig einschalten oder vor dem Fernseher eingeschlafen sind.

Das Paradigma des Long Tail lautet: Inhalte suchen sich ihre Zuschauer – und nicht umgekehrt. Will das öffentlich-rechtliche Fernsehen seiner Rolle als kollektiver Diskursraum und kulturelles Themengedächtnis auch im digitalen Zeitalter gerecht werden, dann muss es einer Generation (und allen, die danach folgen) entgegenkommen, die den geplanten Fernsehkonsum verlernt hat, die ihren Tag nicht nach dem Fernsehprogramm einrichten, sondern vom Fernsehprogramm gefunden werden möchte. Um sich vom Regime der Einschaltquoten, der Primetime-Konkurrenz und der Aktualität (den News-Bereich einmal ausgenommen) zu emanzipieren, muss es stärker auf den Long Tail bauen. Das heißt: sich nicht so sehr auf das vordere Ende der Kurve mit den Hits, Blockbustern und Quotenbringern zu fixieren, sondern die gesamte – auch historische – Vielfalt der mit Beitragszahlungen und öffentlichen Mitteln generierten Inhalte verfügbar und navigierbar zu machen. Und darauf zu vertrauen, dass selbst der nischigste Content diejenigen Zuschauer finden wird, für die er Relevanz hat.

Mit gutem Beispiel voran geht die britische BBC, die seit 2008 ihre gesamten Archivbestände digitalisiert und online verfügbar macht. Im Sommer 2010 umfasste das Archiv bereits mehr als eine Million Stunden und mehr als 50 Petabyte an historischem Ton- und Bildmaterial (www.bbc.co.uk/archive). Vorreiter dieser Idee ist aber Frankreich, wo seit 2006 die Archive der staatlichen Radio- und Fernsehsender für die Bevölkerung geöffnet werden. Das Angebot des Institut National de l’Audiovisuel enthält bereits über 25.000 Sendestunden und erzielt über eine Million Zugriffe monatlich (www.ina.fr). In Deutschland dagegen gibt es noch nicht einmal eine Debatte, die über das Gefeilsche um den leidigen Drei-Stufen-Test des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrages hinausgeht.

Das ist schade, denn gerade unsere Generation, die noch mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, heute aber ihre Tage vor dem Laptop und Abende vor dem Tablet verbringt, wäre prädestiniert, die verborgenen Schätze aus einem solchen Fundus zu heben und wieder in Umlauf zu bringen – und damit sind nicht nur alte Folgen von „Wetten, dass…?“ gemeint. Vielleicht hätten wir dann auch ein besseres Gefühl dabei, GEZ-Gebühren für internetfähige Computer zu bezahlen, selbst wenn der Fernseher eines Tages endgültig aus unseren Wohnzimmern verschwunden sein wird.

 

Literatur

Chris Anderson: The Long Tail. Der lange Schwanz. Hanser, München 2007

Florian Illies: Generation Golf. Eine Inspektion. Argon, Berlin 2000

Karl Mannheim: Das Problem der Generationen. In: Karl Mannheim: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Hrsg. Kurt H. Wolff. Luchterhand, Neuwied/Berlin 1964, S. 509–565

Cass Sunstein: Republic.com, Princeton University Press, Princeton 2002

Aus: Jahrbuch Fernsehen 2012. Lutz Hachmeister/Petra Maria Müller/Claudia Cippitelli/Dieter Anschlag/Uwe Kammann/Peter Paul Kubitz (Hrsg.), Berlin 2012, 584 Seiten, 34,90 Euro

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