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Wie sich die ARD nicht feiert

von , 7.6.10

Der letzte Samstag war für die ARD ein gewöhnlicher. Im ERSTEN lief das Sommerfest der Volksmusik, in den DRITTEN kamen zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr die Melodramen “Mein Traum von Afrika” (BR, 2006), “Luises Versprechen” (HR, 2009) und “Lilly Schönauer – Liebe hat Flügel” (RBB, 2006), der Tatort “Tod eines Mädchens” (NDR, 1991), die Talkshow “SamstagAbend” (SWR, SR), in der es um die schönsten Fußball-WM-Momente ging, die Komödie “Plötzlich Onkel” (WDR, 2008) und die Liebeskomödie “Romeo und Jutta” (MDR, 2009). Auf ard.de schickte einen der Radio-Tipp sogar zum Deutschlandfunk, der an jenem Abend “Eine lange Nacht über Alpenpässe” brachte.

In der Tagesschau erwähnte sich die ARD mit keinem Wort. Und dies, obwohl man in letzter Zeit immer mal wieder die Chance nutzte, in eigener Sache zu berichten. So als man vorm Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesländer gewann oder Paul Kirchhof das Gutachten zur Rundfunkfinanzierung vorstellte, das ARD, ZDF und Deutschlandradio bei ihm in Auftrag gegeben hatten.

Nein, der letzte Samstag war für die ARD kein gewöhnlicher Tag. An jenem Samstag vor 60 Jahren wurde die “Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland” gegründet. Doch dieses Datum findet sich nicht einmal in ihrem Online-ABC. Gefeiert hatte sich die ARD schon sieben Wochen zuvor. Man schenkte sich zwei Geburtstagsshows und eine Dokumentation. Der letzte Samstag zeigte: es gab keinen Grund, den Geburtstag vorzuziehen.

Die Geburtstagsshows wie auch das Programm der letzten Wochen offenbarten, dass die ARD immer weniger Herrin im eigenen Hause ist. Man ließ sich von Günther Jauchs Produktionsfirma die Geburtstagsfeier ausrichten, als ob man im eigenen Hause keine Leute mehr hätte, die so etwas können. Mit dem Eurovision Song Contest gelang es dann Stefan Raab nicht nur, den ersten Platz in Oslo zu holen, sondern die ARD für das nächste Jahr in seine Vermarktungsmaschine einzubauen. „Selten dürfte ein Unternehmen seine Marktchance und einen Markenkern so verschleudert haben. Früher hatten Intendanten, wenn schon keine Ahnung von Show Business, so doch wenigstens den strategischen Instinkt, eifersüchtig auf ihr Besitztum zu achten“, so der frühere BR-Fernsehchefredakteur Heinz Klaus Mertes auf sueddeutsche.de.

Dabei hätte man doch so viel aus dem Jubiläum machen können. Formate dafür hat man ja. Es muss ja nicht gleich eine Themenwoche sein. Wenn schon nicht eine 24-Stunden-Doku, für deren Berliner Variante der RBB viel Lob erhielt, so wäre eine lange Nacht der ARD angemessen gewesen, um so Erfolge wie auch Misserfolge, medienpolitische Siege und Niederlagen, richtige und falsche Entscheidungen, letztlich das AUF und AB sowie die programmlichen wie medienpolitischen Spielräume für die ARD angemessen darstellen und dann auch in der Mediathek aufklärerisch dokumentieren zu können. Doch feiern statt nachdenken ist die Devise. Es scheint, dass für die Intendanten das Fernsehen nur noch ein Nebenbeimedium ist, auch wenn es den größten Teil der Rundfunkgebühren verschlingt.

Nachdenklich macht, dass die ARD zwar viele Programme für die ältere Generation bietet, aber keines für Jugendliche hat. Unverständlich ist, warum die ARD bis heute kein Kinderradio anbietet und so die Chance vergibt, Hörgewohnheiten zu prägen. Nicht nachzuvollziehen ist, warum man zuletzt vergessen hat, mehr Geld für den Kinderkanal zu beantragen.

Angesichts der Einnahmen, die weit über der der BBC liegen, müsste die ARD auch einen wesentlich größeren Anteil am weltweiten Formate-Handel wie auch am Dokumentationsmarkt haben. Doch anscheinend fehlen dafür erstens die internen Strukturen wie Entwicklungsredaktionen, dienen zweitens die DRITTEN nur noch selten als Versuchlabor und machen sich drittens die Werbe- und Vermarktungstöchter unnötig Konkurrenz. Anstatt öfter Mal den Etat für eine Produktion aufzustocken, um sie weltweit zu vermarkten und so Einnahmen zu erzielen, werden die Budgets gekürzt. Mehr als 10 Jahre brauchte es, die Idee umzusetzen, den Tatort auf DVD zu vermarkten.

Das Pfund der ARD ist ihr Programm. Doch an dessen Vermarktung denkt man kaum. Stattdessen dürfen viele Moderatoren, die nur durch die Sender bekannt wurden, sich selbst vermarkten, für hohe Honorare Reden halten und Veranstaltungen moderieren, oder auch für verschiedenste Produkte werben. So kann man sein Gesicht verlieren. Doch nicht nur so. Schließlich schafft die ARD es selten, sich klar, verständlich und verlässlich zu positionieren. Man scheint es immer so zu drehen, wie man es gerade braucht.

So heißt es zum Beispiel im Telemedienkonzept für ard.de: „Die Werbefreiheit von ARD.de garantiert den Nutzern, dass Themen und Schwerpunkte unabhängig von ökonomischen Interessen gestaltet sind.“ Doch warum gilt dies für die ARD-Spitze nur für den Online-Bereich und nicht auch für Radio und Fernsehen? Weil man auf die Werbeeinnahmen in Radio und Fernsehen nicht verzichten möchte, während man im Onlinebereich noch keine hat? Oder sind die Themen und Schwerpunkte in Radio und Fernsehen von ökonomischen Interessen abhängig? – Dies ist nicht der einzige Widerspruch.

Während die Shows sich an keine zeitlichen Grenzen halten müssen, sorgt die bis auf wenige Ausnahmen auf Quoten orientierte strenge Formatierung in Fiction wie Non-Fiction, in Dokumentation wie Animation dafür, das die Vielfalt abnimmt und bestimmte Themen gar nicht mehr vorkommen. Leider sind die DRITTEN nur noch selten Versuchswerkstätten und Laboratorien.

Viele Fernsehchefs wollen mit ihren Vollprogrammen Quote machen und setzen so auf das Erfolgreiche und den Mainstream. Die Anstalten diktieren zudem vielen Produzenten ihre Bedingungen. Die Produktionsetats sollen möglichst gleich bleiben oder sinken, zugleich will man noch die Online-Rechte. Autoren werden vorgegeben, Zusatzleistungen ohne Budgeterhöhung verlangt. Wird dem nicht nachgekommen, werden selbst Sendungen und Serien abgesetzt, die nach den Quotenvorgaben der Sender ein Erfolg sind. Sinkende Einnahmen lassen die Sender immer mehr Aufträge an ihre Töchter vergeben. So entstehen neue, zum Teil träge Sender-Kombinate. Unabhängige, kreative Produzenten kämpfen ums Überleben oder müssen aufgeben.
Die Kürzungen in einigen Bereichen führten einige Zeit lang zu „kreativen Lösungen“. Um die Etats aufzustocken wurden Sendezeiten verkauft bzw. Drehbücher angepasst. Die Kontrollmechanismen in den Sendern funktionierten nicht.

Während die Ausgaben für Sport, die DEGETO sowie das Spitzenpersonal steigen, soll in allen anderen Bereichen gekürzt werden. Die Gehälter der Spitzenpolitiker sind öffentlich, doch in den Anstalten liegt ein Mantel des Schweigens über den außertariflichen Verträgen wie auch den Zusatzeinkommen von Intendanten, Direktoren und Gremienmitgliedern in all den Aufsichtsgremien der Töchter.

Auch mit der Solidarität untereinander ist es nicht weit her. So ist man nicht bereit, den Finanzausgleich untereinander auszuweiten. Das einzige Zugeständnis: die finanzschwachen Sender können ihre Zuliefererquote senken. So sparen sie zwar Geld, doch damit kommt ihre Region weniger im ERSTEN vor und es wird weniger in ihrer Region produziert. Dabei hat doch die Kommission zur Ermittlung der Finanzen in ihren letzten Berichten immer wieder festgestellt, dass die kleinen Anstalten effektiver wirtschaften und produzieren als die großen. Daraus folgt: Man müsste den kleinen Anstalten die Zuliefererquote erhöhen statt senken, (und dies auch finanzieren), um so preiswert mehr Programm zu haben.

Statt auf die Mitarbeiter zu setzen, deren Potentiale zu nutzen – Rundfunk wird immer durch Menschen gemacht – und den Redakteuren mehr Mitsprache über Redakteursstatute zu sichern und politischen Einfluss abzuwehren, macht man mittlerweile Regierungssprecher zu Intendanten. Eine bessere Staatsgarantie kann es für die ARD nicht geben.

Doch die Politiker werden die ARD nicht auf Dauer retten. Langfristig kommt es auf die gesellschaftliche Reichweite an. Das Ziel muss sein, möglichst allen immer wieder etwas zu bieten. Darüber trifft die Quote keine Aussage. Dazu reichen Sender-Kombinate nicht.

Doch eine Reform von oben scheint kaum möglich. Vieles scheint zu festgefahren. Konflikte werden ritualisiert ausgetragen. Ein Beispiel für eine – kurzzeitig – erfolgreiche Reform gab es in der jüngeren deutschen Geschichte. Im Herbst 1989 mussten im Rundfunk der DDR die ersten zwei Reihen gehen. So weit muss eine Erneuerung nicht gehen. Es würde ja reichen, wenn sich all die Intendanten, Direktoren, Wellenchefs und Chefredakteure nicht durch Rundfunkräte bzw. Verwaltungsräte bestätigen lassen müssten, sondern wenn die Mitarbeiter bei der Verlängerung ein Vetorecht hätten.

Nun, einen Geburtstag hat man bei der ARD nicht vergessen. Dr. Theo Zwanziger wurde am Sonntag 65. Die WDR-Intendantin und ARD-Vorsitzende für 2011 und 2012, Monika Piel gratulierte ihm. Der DFB stehe für „Weltoffenheit und Toleranz“ und sei „ein langjähriger und wichtiger Partner der ARD im deutschen Sport.“

Das gemeinsame ERSTE ging am 31. Oktober 1954 auf Sendung. Mal sehen, wie die ARD diesen 60. Geburtstag nutzt.

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