#Dresden

Wider die Gewöhnung an die Verrohung

von , 7.4.15

Man hat sich inzwischen an das allmontägliche Geschehen in Dresden gewöhnt, an die Redner, die Parolen, die Plakate. An Demonstranten, die „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ skandieren. PEGIDA, daran besteht kein Zweifel, ist ein Stück weit zur Normalität in der Stadt an der Elbe geworden. Und darüber hinaus. Nach jedem „Spaziergang“, wie die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ ihren Zug durch die Stadt nennen, sind in den Medien die offiziellen Teilnehmerzahlen zu lesen, welche die Organisatoren freilich jedes Mal für zu niedrig angesetzt halten. Das war es dann aber meistens auch. Keine Frage: Die anfängliche große Empörung in zahlreichen Medien hat abgenommen.

Selbst die mehrfachen Auftritte von Götz Kubitschek als Redner bei PEGIDA und dem Leipziger Ableger LEGIDA werden in der Presse kaum thematisiert. Und das, obwohl Kubitschek der wichtigste Protagonist der sogenannten neurechten Szene ist, einer Bewegung, die an das Gedankengut der antiliberalen „Konservativen Revolution“ der Zwischenkriegszeit anknüpft und die völkisches und fremdenfeindliches Gedankengut pflegt, was sie jedoch verbal möglichst harmlos verpackt. Von „Identität“ ist etwa die Rede. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Dahinter steht das Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“, welcher die Vermischung von „Völkern“ weitestgehend ablehnt und deshalb jeder Form der Zuwanderung äußerst skeptisch gegenübersteht.

 

Man hat sich an PEGIDA gewöhnt. Und genau das ist fatal. Denn mit jeder Gewöhnung geht auch eine Abstumpfung einher.

 

Auch Geert Wilders, der islamophobe Vorsitzende der rechtspopulistischen niederländischen „Freiheitspartei“, ist inzwischen als Gastredner in Dresden angekündigt, ohne dass es eine signifikante Aufregung gibt. Der wieder inthronisierte Kopf des Organisationsteams, Lutz Bachmann, agitiert wie eh und je. Jener Bachmann, der Flüchtlinge als „Dreckspack“, „Gelumpe“ und „Viehzeug“ bezeichnet hat. Auch das wird kaum noch angesprochen. Man hat sich an PEGIDA gewöhnt. Und genau das ist fatal. Denn mit jeder Gewöhnung geht auch eine Abstumpfung einher. Am Beispiel des Begriffs „Lügenpresse“, immerhin das „Unwort des Jahres 2014“, ist dies deutlich zu sehen.

Anfangs herrschte Entsetzen über diesen Ausdruck, der nicht nur ein Kampfbegriff der Nazis war, sondern dem, wie Matthias Heine jüngst aufgezeigt hat, bereits seit seinem Aufkommen im 19. Jahrhundert eine antidemokratische Konnotation innewohnt. Denn derjenige, so Heine, der „Lügenpresse“ rief, wollte damit regelmäßig andeuten, dass „die einzige Nicht-Lügenpresse (…) allenfalls die von den Lügenpresse-Schimpfer selbst kontrollierte“ sei. Nicht viel anders verhält es sich heute. Wer „Lügenpresse“ ruft, will damit vor allem ausdrücken, dass ihm die Berichterstattung und die Meinungsbeiträge in den Qualitätsmedien ganz generell nicht passen. Fixsterne in dieser Szene sind demgegenüber die zahlreichen rechten Presseorgane, die ihren Lesern notorisch die Mär von eben jener „Lügenpresse“ einreden. Was auch immer auf verschwörungstheoretischen Portalen wie Kopp Online, in neurechten Szeneblättern wie der Sezession, der Blauen Narzisse oder dem rechtslibertären eigentümlich frei über Lieblingsfeindbilder wie die „Islamisierung“ oder das „System“ steht, wird von PEGIDA-Anhängern willig aufgesogen.

Der Begriff „Lügenpresse, das darf nicht vergessen werden, ist keineswegs aus dem Nichts heraus entstanden, sondern nur eine sprachliche Verschärfung, gewissermaßen die Spitze des Eisbergs einer schon seit Jahren zu beobachtenden Stimmungsmache gegen die etablierten Medien. Zum gängigen Vokabular dieser Kreise zählen weitere abwertende Bezeichnungen wie „Mainstreammedien“, „Systempresse“, „Staatsfunk“ (gemeint ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk), „gleichgeschaltete Medien“ oder „Journalistendarsteller“. Auch diese Termini haben einst auf Außenstehende äußerst irritierend gewirkt. Inzwischen aber hat man sich an sie ebenfalls längst gewöhnt, kommt daran vor allem in den sozialen Medien und den Online-Leserforen der Qualitätspresse kaum noch vorbei. Desgleichen ist der zweite durch PEGIDA-Demonstranten wiederbelebte Begriff aus dem Dritten Reich, der „Volksverräter“, eine begriffliche Verschärfung, mit der die seit geraumer Zeit gärende Verachtung der etablierten Politiker und Parteien zum Ausdruck gebracht werden soll. Vorläufer davon waren „Politikerkaste“ oder „Blockparteien“. Fast ist zu befürchten, dass demnächst sogar der „Volksschädling“ eine Renaissance erfährt und nach einer anfänglichen Empörung gleichsam hingenommen wird.

Es wäre naiv zu glauben, dass man das durch PEGIDA geschürte Ressentiment nicht weiter ernst nehmen müsste und die „Spaziergänger“ als eine gemessen an der Gesamtbevölkerung kleine Bewegung abtun könnte. Eine solche Haltung hieße die Augen davor zu verschließen, wie weit die ständige Behauptung, die Presse würde bewusst lügen, das Vertrauen in diese und auch in die Demokratie untergräbt. Das Märchen von der „Lügenpresse“ hat sich längst weit in die bürgerliche Mitte hineingefräst. Nicht anders ist zu erklären, dass ein ausgerechnet im Kopp-Verlag erschienenes Buch wie „Gekaufte Journalisten“ des ehemaligen FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte wochenlang weit oben in der SPIEGEL-Bestsellerliste rangiert. Trotz aller darin enthaltenen „Übertreibungen, Verdrehungen und Unwahrheiten“, welche die profunde Analyse durch den Medienjournalisten Stefan Niggemeier zu Tage gefördert hat. Noch schlimmer: Laut einer im Dezember 2014 veröffentlichten Studie des NDR-Medienmagazins ZAPP haben satte 63 Prozent der Deutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien. Ein alarmierendes Ergebnis.

 

Es ist gefährlich, einfach zuzusehen, wie die Bewegung munter weitermacht und immer mehr Menschen aus der bürgerlichen Mitte mit ihr sympathisieren.

 

Wie sehr die PEGIDA-Bewegung die bürgerliche Mitte erreicht hat, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ausgerechnet ein beträchtlicher Teil konservativer Christen mit ihr sympathisiert. In diesen Kreisen, in denen auch die „Junge Freiheit“ gerne gelesen bzw. in ihr publiziert wird, ist man, wie der katholische Bonner Publizist Andreas Püttmann aufzeigte, teilweise schon länger „antiliberal-ordnungsfixiert, parteien- und medienverdrossen“ sowie von „Ressentiments gegen Normabweichler und von Untergangsfantasien erfüllt, eine ‚Identität’ von Religion, Kultur und Nation, Regierung und Volk erstrebend“. Bereits vor einem Jahr wurde Akif Pirinçcis Hassbuch „Deutschland von Sinnen“ in diesem Milieu viel Sympathie entgegengebracht. Zu schön war es offenbar, dass jemand gegen die dort verhasste „politische Korrektheit“ anpöbelte. Fast schon zwangsläufig war daher auch der Aufschrei zahlreicher äußerst konservativer Christen, als im Dezember 2014 das Licht des Kölner Doms abgeschaltet wurde, um dem vorbeiziehenden nordrhein-westfälischen PEGIDA-Ableger keine Kulisse zu bieten. „Peinlich“ etwa schrieb ein beliebter Blogger. Kurz darauf war in den sozialen Medien gar vom „peinlichen Dom“ zu lesen. Als aber bekannt wurde, wie Lutz Bachmann über Flüchtlinge hergezogen hatte, hielt sich die Empörung in Grenzen. Lieber regt man sich auch weiterhin über die PEGIDA-Kritiker auf.

Eines ist sicher: Von selbst werden der PEGIDA-Jargon und das zugehörige Gedankengut nicht verschwinden. Es ist darum gefährlich, einfach zuzusehen, wie die Bewegung munter weitermacht und immer mehr Menschen aus der bürgerlichen Mitte mit ihr sympathisieren. Noch gefährlicher ist das erstaunlich oft in den Medien zu lesende Verständnis für die Forderungen von Bachmann und den seinen, ohne sich näher anzusehen, woher diese kommen und was dahintersteht. Alan Posener fragte also völlig zu Recht: „Warum schreit ein Teil der deutschen Publizistik und Politik dagegen an, dass man der PEGIDA entgegentritt?“. Und stellte an gleicher Stelle ebenso zutreffend fest: „Der Islamhass dient dazu, mit der Parole von der „Islamisierung des Abendlands“ der Demokratie die Kapitulation vor dem Islam zu unterstellen und dadurch zu diskreditieren“.

Fraglos ist etwas in Deutschland ins Rutschen geraten. Die Verachtung der Presse und der Politik sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie. Wenn es so weitergeht wie bisher, wird es bald normal sein, von „Überfremdung“ und „Islamisierung“ zu sprechen. Der fruchtbare Boden dafür ist längst da. Bereits 2010 sprach der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer von einer „zunehmend rohen Bürgerlichkeit“. Sein Kollege Andreas Zick ergänzte diesen Befund um die „Radikalisierung der Mitte“. Über das Ausmaß selbiger konnte man sich etwa jüngst in den Münchner Kammerspielen einen Eindruck machen. „Noise of Heimat – Perlen der abendländischen Hetzkultur“ lautete die Veranstaltung, bei der Schauspieler des Theaters Hassbriefe vorlasen, die den Bayerischen Flüchtlingsrat erreichten und klar von Leuten aus dem Bürgertum verfasst wurden. Ein Trauerspiel für eines der reichsten Länder der Erde. Offenbar fühlen sich von dieser Stimmung auch Rechtsextreme zunehmend angestachelt, wie etwa die erschütternde Zunahme von Angriffen auf Flüchtlingsheime zeigt.

Lassen wir nicht zu, dass man sich noch weiter an PEGIDA gewöhnt. Vor allem die Qualitätsmedien müssen PEGIDA wieder und noch viel entschiedener entgegentreten.

 

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