Westerwelle und Merkel: Opfer ihrer Demoskopie-Versessenheit

von , 4.5.11

Stellen Sie sich vor, unsere Politiker dürften keine Umfrageergebnisse mehr lesen oder es gäbe gar ein Verbot der politischen Demoskopie. Wäre das nicht wunderbar?

Plötzlich wäre ihnen die bisherige Richtschnur ihrer Politik genommen, und sie wären gezwungen, sich Gedanken zuallererst darüber zu machen, was dem Gemeinwohl dient. Den vermeintlichen Volkswillen könnten sie nicht mehr zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen, und sie müssten sich fortan an eigenen Überzeugungen und Werten orientieren. Schwierig würde es dann allerdings für diejenigen, die über solche nicht verfügen – ihnen könnte vielleicht eine Kommission aushelfen und Handlungsempfehlungen geben.

Natürlich ist es überaus gemein, das so pauschal zu behaupten, und die Meinungs- und Informationsfreiheit beschneiden will hoffentlich auch keiner; doch wird man den Politiker, dem Umfragen und Wiederwahl nicht so wichtig sind, wohl leider zunächst einmal unter den älteren Vertretern seiner Klasse suchen müssen.

Besonders die einmal in ein Amt gewählten schielen doch allzu sehr nach den Momentaufnahmen der Volksmeinung. Etwas zu verlieren, was man hat, ist denn wohl schlimmer, als nicht zu bekommen, was man nicht hat. Die Stimmungspolitiker von Schwarz-Gelb zeigen überdeutlich, wie groß die Angst vor dem Verlust ist: Erst die Verlängerung der Atom-Laufzeiten, dann der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg – ohne dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Kernenergie vorlägen, war deren mangelnde Kontrollierbarkeit doch längst bekannt.

Mit Blick auf die Landtagswahlen vollzieht Schwarz-Gelb stattdessen eine Kurswende, die eine Ethik-Kommission im Nachhinein begründen soll. Zudem ein „Nein“ zur Beteiligung am Libyen-Einsatz, wohl zumindest auch aus dem Glauben heraus, dass das Wahlvolk Friedensfürsten stets belohnt – dann internationaler Druck, schlechte Presse, und schon denkt man darüber nach, wenigstens bei einem humanitären Einsatz dabei zu sein.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass sich Politik heute vorrangig an der Annahme ausrichtet, was ankommt beim Volk. Dabei war die Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie doch eine bewusste Entscheidung für Politiker, die zwar durch das Volk legitimiert sind, die aber nach bestem Wissen und Gewissen tun, was sie selbst für richtig halten.

Deutschland ist keine Basisdemokratie, doch könnte man glauben, es sei eine: eine demoskopisch-mediale Basisdemokratie, ausgerichtet an ständigen Befragungen des Volkes, ausgerichtet am mithilfe von Media-Analysen ermittelten Meinungsbild. Allerdings ist es so, dass Erfolge im Kampf um die öffentliche Meinung politisches Handeln nicht legitimieren – sondern nur dann, wenn sie sich in Wahlergebnissen widerspiegeln.

Wer nur um Beliebtheit kämpft, kann nicht führen, denn ein wesentliches Merkmal der modernen Definition von „Leadership“ ist es, anhand von Werten Ziele zu definieren und dann andere für diese Ziele zu gewinnen. Dabei kann man auch scheitern.

Für Helmut Kohl beispielsweise war die europäische Integration ein Fixpunkt, an dem er seine Außenpolitik ausgerichtet hat. Kohl hat unpopuläre Entscheidungen wie die Einführung des Euro getroffen, weil er an den Sinn einer solchen fortschreitenden Integration glaubte. Gerhard Schröder hat die Agenda-Reformen durchgesetzt, weil er glaubte, dass sie dem Land nutzen – und letztlich auch den Sozialstaat erhalten helfen.

Menschen, die von allen gemocht werden wollen, sind meist keine angenehmen Menschen. Zu oft schauen sie ängstlich in den Spiegel, um sich ihrer Attraktivität zu vergewissern. Angela Merkel und Guido Westerwelle jedenfalls haben bei ihrer nun schon anderthalb Jahre währenden Cabriofahrt ständig in ihren Umfragen- und Presse-Schminkspiegel geschaut – anstatt mal auf die Straße zu gucken. Das hätte geholfen, denn alle paar Meter gibt es Abbiegungen. Manch eine führt in die Zukunft.

Dieser Text stammt aus der neuen Ausgabe von Politik und Kommunikation, dessen Chefredakteur Sebastian Lange ist.

/th

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