#Amazon

Welche Verantwortung hat Google?

von , 9.9.12

Es gibt Menschen, die sich darüber ärgern, dass ihnen beim SMS-Schreiben permanent falsche Vorschläge gemacht werden, nur weil das automatische Prüfsystem einen ungewöhnlichen Namen oder ein ungewöhnliches Wort einfach nicht glaubt und frech verbessert. Daraus ist schon manche lustige Nachricht entstanden.

Das Handelshaus Amazon schlägt seinen Nutzern ständig etwas vor, nur weil man zu diesem oder jenem Thema mal etwas recherchiert hat. Journalisten können von der „aufmerksamen“ Amazon-Vorschlags-Blödheit „Das könnte Sie auch interessieren“ ein garstiges Lied singen.

Aber auch Google produziert mit seinem Autocomplete-System etwas Ähnliches. Es macht dem Suchenden, der ein Wort, einen Begriff oder einen Namen in die Suchmaske eingibt, zusätzliche Vorschläge, um die Suche einzukreisen. Und da Google nicht evil ist, sind diese Vorschläge meistens gut gemeint, in einigen Fällen aber auch hundsgemein.

Wie etwa im Fall Bettina Wulff oder in den Fällen anderer fast oder ganz Prominenter. Die Suchmaschine Google spiegelt hier einfach die Gehässigkeit, den Neid oder die Wut der Zeitgenossen auf die „besseren Kreise“. Das heißt, Google kann nichts dafür, wenn bei Google Böses passiert. Sagt Google.

Und darüber gibt es nun Streit.

Rechtsanwalt Thomas Stadler ist der Auffassung, dass Bettina Wulffs Verlangen, Google müsse das Autocomplete-Verfahren kontrollieren und von Verleumdungen frei halten, in letzter Instanz nicht durchkommen wird:

„Bei den Hamburger Gerichten, bei denen Frau Wulff erwartungsgemäß ihr Glück versucht, muss zwar prinzipiell mit allem gerechnet werden, dennoch wage ich bereits jetzt die Prognose, dass derartige Einschränkungen der Suchmaschinenfunktionalität höchstrichterlich nicht durchsetzbar sein werden.“

Völlig anderer Auffassung ist Professor Henning Ernst Müller vom beck-blog. Er sagt, Google greife auch in anderen Angelegenheiten in den Algorithmus des Autocomplete-Verfahrens ein, deshalb sei eine redaktionelle Betreuung oder die völlige Abschaltung dieser Technik erforderlich. Müller schreibt:

„Es ist keineswegs nur ein bloßer Algorithmus, der das Suchverhalten der Internet-User wiedergibt: Die Musikindustrie hat erreicht, dass Google die Namen bestimmter Plattformen, auf denen Musikdateien heruntergeladen werden können, bei der Suche nicht mehr automatisch vervollständigt. Auch werden andere Suchanfragen von Google bewusst vom Autocomplete ausgesperrt, so etwa das Wort “Bombe”. Wenn sich also die Google-Anwälte darauf berufen, das Autocomplete gebe eben nur die häufige Suche nach bestimmten Wortkombinationen objektiv wieder, dann argumentieren sie glatt an der Wahrheit vorbei. Redaktionelle Eingriffe finden statt, Google nimmt Einfluss.

Ich bin der Ansicht, Google sollte sein Autocomplete entweder komplett abschalten, oder dafür auch die redaktionelle Verantwortung übernehmen.“

Dieser neue Rechtsstreit und die Argumentationen unterstreichen, was ich vor kurzem zur allmählichen Umwandlung der großen Internet-Plattformen in Verlage geschrieben habe: Das Recht zwingt die „neutralen“ Plattformen dazu, redaktionelle und verlegerische Aufgaben wahrzunehmen, also auszuwählen, zu filtern, zu ordnen, zu hierarchisieren und zu bewerten. Manche nennen das Zensur, andere sehen darin die Notwendigkeit zur Verantwortung. Die Grenzen sind hier fließend und werden noch zu vielen weiteren Konflikten führen.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.