von Frank Lübberding, 5.9.13
Die Wahl wird unter dem nahöstlichen Kanonendonner stattfinden, und die Parteien werden dem wahlpolitisch verständlichen Opportunismus frönen. Parteien ohne Machtperspektive haben es dabei am leichtesten.
Krieg ist ein Mobilisierungsthema. Daher werden sich Linke, Piraten und AfD mit einer pazifistischen Grundhaltung dem Wähler in Erinnerung bringen. Für die anderen Parteien, also von der FDP bis zu den Grünen, ist das nicht so einfach. Sie müssen unter Umständen sogar regieren und dürfen daher vor den Wahlen weder außen- noch bündnispolitisches Porzellan zerschlagen. In der größtmöglichen Koalition werden sie daher alle so tun, als hätten sie mit Syrien nichts zu tun, außer, den Amerikanern (und wohl Franzosen) alles Gute zu wünschen.
Im Übrigen wird man den Wähler mit Erkenntnissen wie Krieg sei “keine Lösung”, oder wir brauchten eine “politische Lösung” beglücken. Deutschland vermag zwar in der Eurozone jeden anderen Mitgliedsstaat in den Ruin zu treiben, aber die ökonomische Supermacht schrumpft seit 1949 in solchen außenpolitischen Konfikten traditionell auf Zwergenmaß. Im Grunde wollen weder die Wähler noch die sie vertretenden Parteien mit solchen Konflikten behelligt werden. Debatten über den Schmuck auf dem Dekollete der Kanzlerin sind auch zweifellos weniger anstrengend.
Das wird zwar weder den Syrern helfen, noch irgendjemanden außerhalb Deutschlands interessieren. Aber immerhin wird dann auch niemand den Deutschen vorwerfen können, für irgendetwas verantwortlich zu sein.
Allerdings scheint ansonsten Bewegung in die Syrien-Debatte zu kommen. So schließt Putin jetzt nicht mehr aus, in das Boot einzusteigen, bevor es ohne ihn abfährt. Eine begrenzte Intervention der USA wird er nicht verhindern können, und sein Interesse an Assad, dem Iran oder die Hisbollah ist instrumenteller Natur. Putin geht es wie den USA (?) vor allem um die Reputation der eigenen Großmachtstellung.
Nun muss man in solchen Konflikten immer zwischen Anlass und Ursache unterscheiden. Insofern stellt Putin die richtige Frage, wenn er heute feststellt:
“Von unserem Standpunkt aus scheint es vollkommen absurd, dass die Armee, die reguläre Armee, die derzeit in der Offensive ist und die in einigen Orten die sogenannten Rebellen eingekesselt hat und sie fertig macht, dass sie unter diesen Umständen anfangen würde, die verbotenen chemischen Waffen einzusetzen – wo sie doch genau wissen müssen, dass dies als Vorwand für Sanktionen gegen sie dienen könnte, die auch Gewalt einschließen würde.”
Das wäre zwar absurd, ist aber deshalb nicht ausgeschlossen. In solchen Bürgerkriegssituationen neigen Frontkommandeure zu absurden Handlungen. Dafür spricht im Fall Syrien auch die Neigung auf beiden Seiten, Massaker und Gemetzel als eine legitime Form der Kriegführung zu betrachten.
Nun ist Putin aber sicherlich in der Lage, zwischen Anlass und Ursache zu unterscheiden. Ansonsten müsste man nachträglich an der Qualität der Ausbildung beim KGB Zweifel haben. Der eigentliche Grund für die aktuelle Entwicklung in der Syrienkrise ist nämlich die offene Intervention fremder Mächte auf Seiten Assads. Erst der Einsatz von Einheiten der Hisbollah hat das Gleichgewicht im Bürgerkrieg verändert. Das wiederherzustellen, ist die realpolitische Begründung für die Intervention des Westens. Frankreichs Außenminister hat das in wünschenswerter Klarheit zum Ausdruck gebracht.
“If you want a political solution you have to move the situation,” France’s foreign minister, Laurent Fabius, told France Info radio.”
Eine politische Lösung braucht damit eine Voraussetzung: Alle Akteure im Bürgerkrieg müssen jede Aussicht auf den eigenen Sieg verlieren. Erst dann wird das Gemetzel enden und die Bereitschaft zu einem fragilen Kompromiss wachsen.
Hier liegt zudem das gemeinsame Interesse des Westens und Russlands. Sich darauf zu einigen, dass die eigenen Interessen – und die des jeweiligen Koalitionspartners – gewahrt bleiben. Dabei gibt es sogar noch mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt: Sowohl die USA als auch Russland wissen nur zu genau, mit welchen Leuten sie es jeweils zu tun haben. Die Sympathie mit den eigenen “Verbündeten” wird sich somit erfreulicherweise in Grenzen halten. Eine “politische Lösung” setzt den Einsatz militärischer Gewalt voraus, wenn sich Assad (sowie die Hisbollah und der Iran) in den kommenden Tagen nicht bewegen sollten. Putin wird das wissen, wenn er nicht alles vergessen haben sollte, was er beim KGB gelernt hat.
Nun gibt es auf Carta einen interessanten Artikel zu Syrien von Michael Bader. Seine Idee, dass die EU 500.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen sollte, ist unter wahlpolitischen Gesichtspunkten originell. Alle kandidierenden Parteien werden bestimmt gute Argumente finden, warum die Bundesrepublik nach dem Verteilungsschlüssel der EU 125.000 Syrer aufnehmen sollte. Aber jenseits dessen hat Bader einen guten Hinweis gegeben.
“Syrien braucht keine neuen Bomben und Gewalt, sondern endlich echte Friedensgespräche auf Augenhöhe, um die Interessen der verschiedenen syrischen Akteure wie der internationalen Verbündeten zu koordinieren. Zielsetzung einer Friedenskonferenz sollte die Anerkennung der faktischen Dreiteilung der Macht in Syrien sein. Eine Möglichkeit wäre die Bildung dreier neuer Staaten bzw. autonomer Regionen, etwa nach dem Vorbild von Bosnien und Herzegowina.”
Nun empfehle ich die Memoiren von Lord Owen und Richard Holbrooke, wie diese Verhandlungen verliefen, bis man eine Einigung erzielte. Aber jenseits dessen ist der Hinweis auf Bosnien berechtigt.
Erst als sich Bill Clinton nach Jahren der Eindämmungspolitik zu einem aktiven Eingreifen in den Krieg entschloss, sollte es für die spätere Verhandlungslösung in Dayton eine Chance geben. Die US-Luftwaffe unterstützte 1995 die bosnischen und kroatischen Offensiven und schuf damit erst die Voraussetzung für die spätere Verhandlungslösung. Die drehte sich vor allem um eine Frage: Wie der territoriale Zuschnitt für die einzelnen Bevölkerungsgruppen im Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina aussehen sollte. Der damalige serbische Präsident Slobodan Milosevic spielte in Dayton übrigens eine konstruktive Rolle, weil er mehr als machtpolitischer Zyniker denn als romantischer Nationalist agierte. Insofern erinnert er durchaus an Assad.
Für die Teilung Syriens wird man keine Unterstützung bekommen, weder im Land selbst, noch bei den Nachbarn. Aber Bosnien bietet bei allen Unterschieden zu Syrien die Lehre, dass erst die Aussichtslosigkeit zum Sieg eine Verhandlungslösung möglich machen wird. Putin und Obama werden das hoffentlich wissen. In Deutschland kann man sich dagegen mit der Frage beschäftigen, welche Kette die Bundeskanzlerin beim G20-Gipfel tragen wird. Das ist ja auch ein interessantes Thema.
Crosspost von Wiesaussieht