von Wolfgang Michal, 14.10.09
Die digitale Bewegung entstand – genau genommen – am 12. September 1981 mit der Gründung des Chaos Computer Clubs am Tisch der Kommune I in den Redaktionsräumen der taz. Die „Informationsgesellschaft“ (damals ein heiß diskutiertes Thema) erfordere, so hieß es, „ein neues Menschenrecht auf weltweite, ungehinderte Kommunikation“. Vor allem die geheim gehaltene Information, das Herrschaftswissen, sollte aus den Händen der hermetisch abgeriegelten Institutionen befreit und allgemein zugänglich gemacht werden. Deshalb hackten die Vorkämpfer der Bewegung mit Vorliebe militärische Organisationen, Geheimdienste, Banken, Konzerne und Forschungszentren.
Die digitale Bewegung (man kann sie auch Bewegung für digitale Bürgerrechte nennen) entstand dann ein zweites Mal nach dem 11. September 2001 und durch den 11. September 2001. Die Überwachungspolitik im Zuge des „War on Terror“, die Durchsuchungsmöglichkeit von Computern, die Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte beförderten eine kritische Sicht auf die Möglichkeiten und Gefahren der digitalen Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Scannen, Kopieren, Up- und Downloaden bekamen einen anderen Beigeschmack. Es wurden wichtige Informations- und Austausch-Plattformen gegründet – wie netzpolitik.org oder der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung; es gab erstmals E-Petitionen und Demonstrationen unter dem Motto „Freiheit statt Angst“. Die Aufnahme, Speicherung und Auswertung gesellschaftlicher Aktivitäten durch staatliche oder kommerzielle Stellen erzeugte eine breite Bürgerrechtsverteidigungsbewegung. Aus dem Nischenthema Datenschutz wurde ein neues Menschenrecht auf sicheren Schutz der Privatsphäre.
Diese beiden Grundlinien der Bewegung, die fortschrittliche (herrschaftskritische) der Hacker, und die bewahrende (bürgerfreundliche) der Piraten, prägen heute die digitale Bewegung. Und so verwundert es nicht, dass Außenstehende oft rätseln, welche politische Richtung die Bewegung befeuert und steuert: die bürgerliche oder die linke?
Natürlich beide! Manchmal überwiegt der Schutz der Privatsphäre (wie derzeit), dann wieder das Recht auf ungehinderte Kommunikation. Entsprechend wechselt die Farbgebung.
Deshalb ist die Forderung mancher Grüner und Linker, die Piratenpartei müsse nun endlich eindeutig Flagge zeigen, eine zwar verständliche, aber auch riskante Angelegenheit. Denn das beschleunigt die Ausdifferenzierung der Bewegung (die ohnehin irgendwann stattfinden wird – dafür sorgen schon die zunehmenden Rangeleien unter den Aktivisten).
Die Bundestagswahl hat das Problem jetzt weiter verschärft: Fast eine Million Bürger haben der Piratenpartei ihre Stimme gegeben. Die Piraten wurden auf Anhieb zur stärksten (noch) nicht im Bundestag vertretenen Partei. Dieser Erfolg müsste die digitale Bewegung eigentlich beflügeln. Er könnte sie aber auch kanalisieren, lähmen, zersplittern und schließlich dezimieren.
Und so steht die Frage im Raum: Soll sich die digitale Bewegung (angesichts der Niederlagen bei Netzsperren, E-Petition etc.) auf diese eine Partei fixieren (die über kurz oder lang von der Sitzordnung des Bundestages vereinnahmt werden wird)? Oder soll die Bewegung Bewegung bleiben?