#Bilder

»War Porn« – Über die Verweigerung des Sehens

von , 17.7.14

Zwischen redaktioneller Arbeit an Newsdesks von Agenturen, hinter der Kamera, in der Berichterstattung ist die Debatte um die Frage, was man eigentlich zeigen darf, wohl so alt wie das Medium Photographie selbst. Manche der schmerzhaften Bilder gehören zu unserem kollektiven Gedächtnis. Sie haben mitunter – wie Eddie Adams Bild aus Saigon oder Nick Uts »Napalm Girl« – dazu beigetragen, Kriege zu beenden, politische Veränderungen anzustoßen oder Spenden in beträchtlicher Höhe zu generieren. Manche von ihnen haben es geschafft, statt der »offiziellen« Visualisierung eine andere, bedrückende Realität zu zeigen. David Turnleys Foto des weinenden Marines im Hubschrauber, neben seinem gefallenen Kollegen, gehört als Kontrapunkt zur menschenleeren Videospielvisualisierung des ersten Golfkriegs ebenso dazu wie eher leise Werke anderer Kriegsschauplätze: Der Cellist in den Ruinen von Sarajevo. Eine Blutspur im Schnee. Die bedrückenden Arbeiten von James Nachtwey, Gilles Peress, Sebastiao Salgado. Ihre Werke abstrahieren Schmerz, Tod und Grauen oft auf eine Meta-Ebene der Ästhetisierung, sind stille Wegbereiter der eigenen Bildern und Interpretation des Betrachters.

Mitten im Geschehen der »war zones« gibt es aber auch die »anderen« Bilder, ungefiltert, blutig, schonungslose Abbilder der grauenhaften Realität von Krieg und Sterben. Sie werden zum Gegenstand hochemotionaler Debatten, die mit Argumenten der »Zumutbarkeit« bis hin zu Vorwürfen der Zensur und Forderungen nach staatlicher Medienkontrolle geführt werden – oder verschwinden gar aus der Berichterstattung. So wie »The Falling Man« von Richard Drew, eins der berühmtesten Fotos von 9/11: Empörte Leser warfen weltweit dem AP-Fotografen und den Zeitungen vor, einzig den Voyerismus der Leser zu bedienen, die Privatsphäre des Opfers zu verletzen. Als Konsequenz dieser Debatte wurde dieses Bild seit 2001 kaum noch veröffentlicht. Eingebrannt in unser kollektives Gedächtnis ist es dennoch geblieben.

Christoph Bangerts Buch »war porn« knüpft an diese Debatten zwischen medialer Selbstzensur und Verweigerung des Hinschauens und Erinnerns an: Bilder von Leichen und schwerverletzten Menschen, von Körperteilen, Operationsräumen und Gräbern aus dem Archiv eines Fotografen, der sich dem Vergessen verweigert. Der Dialog mit Bangerts Bildern ist schonungslos unmittelbar in seiner Intimität. Man kann die Betrachtung nicht teilen, es gibt keine tröstendes, erleichterndes »Wir« im Sinne einer Gemeinsamkeit, die es leichter machen würde, sich mit den grausamen Bildern des Buches zu beschäftigen. Das bewusst kleine Format des Buchs bedeutet vor allem beklemmende Nähe zu den Abbildungen. Eine physische, damit inhaltliche und visuelle Distanz zu und Distanzierung vom Gesehenen funktioniert für den Betrachter damit ebenso wenig, wie sie für den Fotografen im Moment des Entstehens der Fotos möglich war: »Sieh hin!« lautet Bangerts Aufforderung; und viel wichtiger noch: »Erinnere Dich!«
 

Buchrücken von Christoph Bangerts "War Porn", Foto: © Heike Rost

 
So wird »war porn« ein aktiver Prozess zwischen Leser und Werk; aus dem reinen Betrachten furchtbarer Bilder wird eine verstörende Konfrontation mit den eigenen Emotionen zwischen Hilflosigkeit, Widerwillen und Tabus der expliziten Abbildung. Angesichts der obszönen Gewalt – nicht umsonst wählten Autor und Verlag das Wort »porn« als Teil des Buchtitel – sind Pausen nötig, ist immer wieder Abstand zum Werk nötig. Das ist durchaus gewollt von Christoph Bangert, der sich jeglicher Ästhetisierung nicht nur in seinen Bildern, sondern auch in der Umsetzung seiner Arbeit konsequent verweigert. Kein Hochglanzdruck, keine großformatigen Fotos, auch keine Ausstellung im Nachklapp, stattdessen die unfertige Rauheit eines handgebundenen Buchs. Mit der Zeit entwickelt »war porn« dadurch ein individuelles Eigenleben: Eine Heftung, die sachte nachgibt, Buchdeckel, die Patina annehmen von den Händen der Betrachter. Ein Notizbuch, das seinen Besitzer begleitet; unterwegs auf Reisen in die Erinnerung und zu den fotografischen Abbildern von realer Zerstörung und Leid, die wir meist nicht sehen und ebenso wenig erinnern wollen.

Zu dieser Rauheit und verstörenden Direktheit, der stillen Präsenz von »war porn« gehören auch die immer wieder eingestreuten, unbeschnittenen, bewusst verschlossenen Seiten des Buchs. Sie zwingen den Betrachter zu einer klaren Entscheidung. Wer das Verborgene sehen will, sich gleichsam selbst ein Bild machen möchte, muss sich Zugang dazu verschaffen. Mit einem Messer die Seiten zu öffnen, das ist ein verletzend gewalttätiger Moment der Zerstörung – und ein wirkungsvoller Impuls der Auseinandersetzung mit Christoph Bangerts Arbeit. Das Aufschneiden der Seiten symbolisiert, dass wir unmittelbaren Anteil haben: An den Bildern ebenso wie am Geschehen, durch unsere Haltung dazu und oft durch unsere Verweigerung des Hinsehens, das zugleich auch ein Annehmen von Verantwortung bedeuten würde.
 

Bildseiten von Christoph Bangerts "War Porn" aufschneiden, Foto: © Heike Rost

 
Wer als Bildjournalist über die alltäglichen »war zones« berichtet, die mitunter mitten in unserem Alltag, bisweilen in uns selbst sind, weiß um das verstörende Eigenleben der gesehenen und fotografierten Bilder. Im Moment des Abbildens sind sie einerseits Verarbeitung traumatisierender Erfahrungen, sind mitunter eingebrannt ins Gedächtnis des Fotografen. Andererseits sind die Bilder zugleich Bericht, Chronik, auch von den Abgebildeten gewollte Erinnerung an Situationen und Menschen. Im redaktionellen Alltag gehen viele dieser Puzzlesteine unter. Die »Schere im Kopf« von Fotografen entscheidet über Veröffentlichung oder eben Nichtveröffentlichung ebenso wie Redakteure, deren Selbstzensur dazu beiträgt, dass in der schieren Menge auf Monitoren und an Newsdesks Bilder auf merkwürdige Art zu verschwinden scheinen. Ihre Auswahl ist häufig geprägt vom diffusen Gedanken einer vermuteten Zumutbarkeit des Abgebildeten dem Leser gegenüber, aber auch von ethischen Begrifflichkeiten wie Verantwortung, Menschenwürde, Privatsphäre und deren meist schnell unterstellte, voyeurhafte Verletzung durch ein öffentliches Zeigen grausamer Bilder in all ihrer Obszönität des Schreckens.

In seinem Nachwort schlägt Bangert den Bogen zu seinem Großvater, der aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte; der Aspekt des verloren-verdrängten Gedächtnisses findet sich auch hier wieder. In den Erzählungen von Christoph Bangerts Großvater erinnert er sich ausschließlich an »schöne Erlebnisse«; die traumatisierenden Erfahrungen des Soldaten sind auf ebenso eigentümliche Weise verschwunden und verdrängt, wie manche Bilder Bangerts aus dessen Gedächtnis getilgt zu sein scheinen. Dessen Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und ihren Aspekt des aktiven Verdrängens und Nichterinnerns wie auch Bangerts sehr persönliche Bericht zu Beginn seines Buchs bilden den Rahmen für eine leise, umso eindringlichere Aufforderung, sich mit einer Kultur des Wegschauens und Verdrängens zu befassen. Sie steht im Widerspruch zu den eigentlichen Aspekten und Aufgaben von Fotografie: Zu sehen, als Fotograf wie als Betrachter, zu erinnern, zu dokumentieren und zu zeigen, was den Alltag derjenigen Menschen ausmacht, die inmitten von Krieg und Zerstörung leben.

Christoph Bangerts Buch ist mehr als „nur“ eine Sammlung verstörender Kriegsbilder, ist mehr als eine persönliche, ungeschönte Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit als Kriegsfotograf. »war porn« ist eine eindringliche Mahnung, sich dem komfortablen, bisweilen luxuriösen Aspekt des Verdrängens hinter ethisch klugen Argumenten bewusst zu werden – und diejenigen Menschen nicht zu vergessen, die keine Wahl haben, sich ihrer furchtbaren Lebensrealität jenseits von Menschlichkeit, Menschenwürde und Respekt zu entziehen.

Wer wegschaut, macht sich mitschuldig, heißt es.

 

Links zum Thema:

"War Porn", Christoph Bangert, Foto: © Heike Rost

· »war porn« von Christoph Bangert*, Kehrer Verlag 2014
· Christoph Bangerts Website
· Christoph Bangerts Portfolio bei Redux/laif (Redux/laif)
· »The Falling Man« – The Story behind (Esquire)

 
 
 
 
 
Einige Buchempfehlungen:

· »Bilderkrieger – Von jenen, die auszogen, uns die Augen zu öffnen: Kriegsfotografen erzählen«* von Michael Kamber, Ankerherz Verlag 2013
· »Quelque part en France : L’été 1944 de John G. Morris«*, John G. Morris, Marabout 2014
· »Anja Niedringhaus At War«, Jean Christophe Ammann, Hatje Cantz (beim Verlag vergriffen, evt. über ZVAB erhältlich)
· »Les Tombes : Srebrenica et Vukovar«, Gilles Peress, Scalo 1998
· »The Silence – Rwanda«, Gilles Peress, Scalo 1995
· Gilles Peress bei Magnum Photos

 
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