#Fiskalpolitik

Vorschlag zur “Schuldenbremse”: Friss die Hälfte

von , 10.2.09


In der aus Vertretern von Bund und Ländern zusammengesetzten Föderalismuskommission II hat man sich in der vergangenen Woche auf die Einrichtung einer Schuldenbremse geeinigt. Demnach darf sich der Bund ab 2016 nur noch in Höhe von höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts neu verschulden. Länder und Gemeinden sollen sogar ab 2020 überhaupt keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Das ist an sich keine schlechte Nachricht. Fiskalische Disziplin ist eine feine Sache, und was sich die Politik  jetzt auf die Agenda setzen will, bedeutet sogar beachtliche fiskalische Disziplin. Trotzdem sollte man besser nicht darauf wetten, dass demnächst tatsächlich Schluss ist mit der überbordenden staatlichen Kreditaufnahme. Zunächst lässt es der Staat nämlich noch einmal so richtig krachen. Um insbesondere die beiden jüngst beschlossenen Konjunkturprogramme zu finanzieren, wird die öffentliche Neuverschuldung in den nächsten zwei Jahren einen Umfang erreichen, der selbst die exzessive Kreditaufnahme der 1990er Jahre in den Schatten stellt.

Das Verhalten erinnert an die Logik eines Übergewichtigen, der morgen mit einer strengen Diät beginnen will und sich heute noch mal ordentlich den Bauch vollschlägt. In gewisser Hinsicht scheint damit sogar so etwas wie eine doppelte Dividende möglich zu sein: Man lässt es sich nicht nur heute gut gehen, sondern braucht nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, hat man doch die Zukunft gedanklich fest im Griff. Nicht schlecht – wenn es funktioniert. Tut es aber oft nicht, denn morgen sieht die Welt meistens ganz anders aus. Ist die Zukunft erst einmal Gegenwart geworden, so gilt deshalb erneut die Devise: heute großzügig gegen sich selbst und ab morgen streng. Indessen wird es immer schwerer, kürzer zu treten. Um schließlich das gewünschte Resultat noch erzielen zu können, muss die geplante Diät irgendwann einer Rosskur gleichen. Schon deshalb wird sie immer wieder aufgeschoben oder ausgesetzt.

bild-14

Der Politik geht es ähnlich. Gegenwärtig sollen umfangreiche neue Kredite noch zulässig sein, in Zukunft soll dagegen strenge Haushaltsdisziplin herrschen. Dabei wird es in Zukunft immer schwerer werden, den öffentlichen Haushalt ohne neue Schulden zu finanzieren. Mit den für die kommenden beiden Jahre geplanten neuen Schulden wird der öffentliche Schuldenstand auf deutlich über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Daran gekoppelt sind nicht nur absolut höhere Zinslasten für den Staat. Auch der Anteil der Zinsausgaben an den öffentlichen Gesamtausgaben wird deutlich zunehmen. In wenigen Jahren werden die Zinsausgaben den größten Posten nach den Sozialausgaben im öffentlichen Haushalt ausmachen. Verschärft wird diese Entwicklung, sollte sich der Staat in Zukunft nicht zu den historisch günstigen Zinsen der letzten Jahre verschulden können, sondern höhere Zinsen für seine Schulden zahlen müssen.

Verzichtet die öffentliche Hand in einer solchen Situation künftig weitgehend auf neue öffentliche Kredite, so wird der Staatshaushalt einem doppelten fiskalischen Stress ausgesetzt. Steigenden Mittelabflüssen wegen zunehmender Zinszahlungen werden fallende Mittelzuflüsse aus öffentlichen Krediten gegenüberstehen. Dass das zu einer Finanzierungslücke führt, ist offensichtlich; wie die Lücke geschlossen werden soll weniger. Grundsätzlich sind drei Strategien denkbar. Der Staat kürzt andere Ausgaben, der Staat erhöht die Steuern, oder wir wünschen uns allen für die Zukunft ein höheres Wirtschaftswachstum, das auch ohne Steuererhöhungen ausreichende Finanzmittel in die öffentlichen Haushalte spült. Eine vierte Strategie – forcierte Inflation – lassen wir lieber gleich beiseite.

Ausgabenkürzungen dürften nicht eben leicht zu realisieren sein. Die Sozialausgaben werden in Zukunft allein schon wegen des demografischen Wandels zumindest in den Bereichen Alterssicherung, Gesundheit und Pflege weiter steigen. Bei der Bildung, der Forschung oder der öffentlichen Infrastruktur zu kürzen, ist auch keine gute Idee. Zukunftssicherung erfordert eher das Gegenteil. Auch bei der inneren und äußeren Sicherheit ist nicht viel zu holen. Dort wurde der Gürtel ohnehin schon enger geschnallt.

Nennenswerte Steuererhöhungen dürften ebenfalls kaum konsensfähig sein. Im Gegenteil, zurzeit scheinen die politischen Bestrebungen eher dahin zu gehen, die Steuerlasten weiter zu senken. Dass in einigen Jahren plötzlich Steuererhöhungen bei den Wählern auf besondere Gegenliebe stoßen werden, ist nicht anzunehmen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf ein höheres Wirtschaftswachstum. Die dürfte allerdings auch enttäuscht werden, denn der demografische Wandel wird das Potenzialwachstum in Zukunft eher senken als steigern.

Wenn keine der drei Strategien fruchtet, so bleibt die Lücke, und die muss dann mit Krediten geschlossen werden. Deshalb ist der weitgehende Verzicht auf neue Kredite, wie die Föderalismuskommission ihn nun auf die Agenda gesetzt hat, zu ehrgeizig. Die geplante Verschuldungsregel gleicht einer fiskalischen Rosskur, die zum Scheitern verurteilt ist, weil ihre Einhaltung zu viel verlangt. Das haben sich offenbar auch die Vertreter der Föderalismuskommission gedacht und vorsichtshalber einige Ausnahmen von der Regel formuliert. Das macht die Sache freilich nicht besser. Die Ausnahmen dürften nämlich die Regel werden und die Haushaltspolitik wird dadurch kaum verlässlicher.

Und wie steht es mit dem Kampf gegen das Übergewicht? Laut einer jüngsten Umfrage der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung setzt die Mehrheit der Deutschen beim Abnehmen inzwischen nicht mehr auf drastische Diäten, sondern auf FdH, sprich „Friss die Hälfte“. Diese Regel ist einfach umzusetzen, verlangt keine dramatische Umstellung der individuellen Lebensgewohnheiten und erfordert auch nicht zu viel Willenskraft. Vielleicht sollte sich die Politik, die ja auch sonst gern auf Mehrheiten schaut, daran ein Beispiel nehmen und es beim Schuldenmachen ebenfalls mit der Hälfte versuchen. In den Jahren zwischen der Wiedervereinigung und heute lag der Anteil der Neuverschuldung am Bruttoinlandprodukt im Durchschnitt bei knapp 2,3 Prozent. Würde der Staat in Zukunft halb so viel an neuen Krediten aufnehmen – also immer noch mehr als dreimal soviel wie von der Föderalismuskommission für die Zukunft geplant –, so würde das Verhältnis von Staatsschulden und Bruttoinlandsprodukt längerfristig ungefähr 40 Prozent ausmachen, wenn das Bruttoinlandsproduktprodukt mit ähnlicher Rate wächst wie bisher. Das wäre kein schlechter Wert. Westdeutschland verzeichnete ihn zuletzt zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung. Auch im internationalen Vergleich würde man damit eine gute Figur machen.

RSS Feed

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.