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Verkehrte Welt: Wenn der Zivildienst die Wehrpflicht begründet

von , 4.11.09

Vor der Bundestagswahl hofften nicht wenige Jugendliche darauf, dass die neue Regierung die Wehrpflicht abschaffen würde. Schließlich forderten SPD, Linke, FDP und Grüne genau dies in ihrem Wahlprogramm. Doch nach der Wahl gestaltet sich alles etwas anders. Union und FDP haben sich darauf geeinigt, Wehr- und Zivildienst auf sechs Monate Länge zu verkürzen. Ein großer Vorteil für die in Zukunft herangezogenen ist dies nicht. Denn es bedeutet, wie Peter Tobiassen von der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer richtig feststellt, für die meisten jungen Männer weiterhin ein Jahr Ausbildungszeitverlust. Doch noch etwas anderes wird deutlich, seit das Vorhaben öffentlich bekannt ist.

Auffällig ist, dass es kaum nennenswerte Beschwerden seitens der Bundeswehr über die Pläne gibt, aber geradezu einen Sturm der Entrüstung seitens der Organisationen mit Zivildienststellen. Die einen sehen nur noch ein besseres Sozialpraktikum darin, die anderen bezeichnen die Verkürzung als Humbug. Das DRK nennt die Hauptbeweggründe, Bild zufolge, wenigstens beim Namen: Steigende Kosten. „Tätigkeiten müssten nun von Hauptamtlichen übernommen werden“, heißt es.

„Der Zivi ist billig, der Zivi ist willig“, kommentiert die Süddeutsche passend und verweist auf die Groteske, die nun deutlich wird: „Der Zivildienst ist zum wichtigsten Argument geworden, die Wehrpflicht beizubehalten.“ Und berichtet, um welche Geldbeträge derzeit gesprochen wird: „Vor allem die Altenpflege steht vor Finanzproblemen: Ein Zivildienstleistender kostet jährlich etwa 6000 Euro; eine ebenfalls niedrig qualifizierte Pflegehilfskraft kostet bereits das Sechsfache.“

Was viele Zivildienstleistende schon lange empfanden, rückt zunehmend in die Diskussion: Sie werden als billige Arbeitskräfte eingesetzt. Und so ist es schon fast makaber, wenn etwa  der Paritätische Wohlfahrtsverband anregt, die freien Stellen mit Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres zu füllen. Die bekommen nämlich noch weniger Geld, meist nicht einmal 400 Euro im Monat.

Die Einsatzmöglichkeiten von Freiwilligen im sozialen Jahr sind weiter gefasst. Trotzdem dienen auch sie nicht selten als kostengünstige Arbeitskräfte. So kommt es durchaus vor, dass Jugendliche, die offiziell ein “FSJ im Sport“ ableisten, anstelle von Halbtagskräften bei der Hausaufgabenbetreuung in offenen Ganztagsschulen eingesetzt werden oder fast ausschließlich Büroarbeit bewältigen. Erfahrungen die der Autor dieses Textes zum Teil selber machte.

In welche Richtung sich die „sozialen Dienste“ zunehmend entwickeln, wird auch an anderer Stelle deutlich. Ursula von der Leyen plante Anfang 2008, dass Zivildienstleistende ihre Dienstzeit freiwillig verlängern dürfen und so die Zeit bis zum Studium überbrücken können. Als Gehalt sollte weiter der Zivildienst-Lohn ausgezahlt werden. Der Schönheitsfehler: An vielen Stellen, ist es schon lange gängige Praxis, die Zivildienstleistenden zusätzlich eine Zeit lang regulär zu beschäftigen. In diesem Fall bekommen die Betroffenen in der Zusatzzeit ein deutlich höheres Gehalt.

Motivierend ist es sicherlich nicht, wenn sich Zivildienstleistende nun offiziell als subventionierte Arbeitskräfte fühlen dürfen. Seit Jahren fordert man, dass im Gesundheits- und Pflegebereich mehr investiert wird, Geld für reguläre Arbeitskräfte ist jedoch nicht da. Eigentlich müsste bei einer Zahl von etwa 3,3 Millionen Arbeitslosen doch der Gedanke nahe liegen, dieses Geld dafür einzusetzen, die derzeit 77.511 Zivildienststellen in reguläre Arbeitsplätze zu fairen Löhnen umzuwandeln. Arbeitslose und Jugendliche würden es danken.

Sicherlich lassen sich Stellen nicht eins zu eins umrechnen, selbst wenn man dadurch gespartes Arbeitslosengeld mit einrechnet. Die derzeit geplante Regelung jedoch stellt weder die Jugendlichen noch die Sozialverbände zufrieden. Warum also nicht den langjährigen Forderungen nachgeben und die Wehrplicht durch ein zeitgemäßes Konzept ersetzen?

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