von Pia Eberhardt, 29.3.15
Sie sind eine der prominentesten Kritikerinnen des geplanten Freihandelsabkommens TTIP. Die EU-Kommission in Brüssel wirft Ihnen und Ihren Mitstreitern bei der Initiative „Corporate Europe Observatory“ vor, besonders aggressiv vorzugehen. Stimmt das?
Nein. Es sind ja nicht nur wir, es ist mittlerweile eine breite Bewegung, die reicht von Gewerkschaften über den Deutschen Kulturrat zu Umweltorganisationen und Verbraucherschutz-Verbänden, die ihre Sorgen hat mit diesem geplanten Abkommen – und zwar berechtigte Sorgen, wie ich meine. Ich glaube, es ist unsere Pflicht als gemeinnützige Organisation, so viel wie möglich über die Verhandlungen herauszufinden und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären. Dass dies der Europäischen Kommission nicht passt, die gewohnt ist, solche Verträge im Geheimen und ohne öffentliche Debatte zu verhandeln, kann ich verstehen, denn denen machen wir das Leben schwer. Aber der Skandal ist ja nicht, dass wir dazu arbeiten und dass es auf einmal eine öffentliche Debatte gibt. Der Skandal ist vielmehr, dass es diese jahrelang hinsichtlich der europäischen Handelspolitik nicht gab. Die Verträge sind relevant, nicht nur für Umwelt und Arbeitsschutz, sondern eben auch für den politischen Handlungsspielraum, den man noch haben will in Demokratien. Also, der Skandal ist, dass Parlamente Verträgen zugestimmt haben ohne überhaupt zu verstehen, was sie da tun.
Der Skandal ist, dass es jahrelang keine öffentliche Debatte zur Handelspolitik der EU gab.
Die EU behauptet nun allerdings, dass die Gegner vieles bewußt missverstehen und die Bürger falsch informieren. Wie schätzen Sie denn die öffentliche Debatte ein, wer gibt den Ton an?
Da gibt es eine breite Palette an Akteuren. Wenn man sich beispielsweise anschaut, wer sich an der öffentlichen Konsultation, die die Kommission zum Investitionsschutz (ISDS) durchgeführt hat, beteiligt hat, dann finde ich dort kritische Stellungnahmen etwa der Bayerischen Staatsregierung, des Bayerischen Landtags, des Mittelständischen Verbandes in Deutschland – all diese Akteure haben sich kritisch zu Themen im TTIP geäußert. Hier sieht man Sorge, Kritik und Widerstand, die in ganz unterschiedliche Kreise der Bevölkerung reichen.
Bei der Protestbewegung fällt auf, dass sie sehr stark auf das Internet und soziale Medien setzt. Entsteht da eine vernetzte und virtuelle Gegen-Öffentlichkeit?
Für uns als zivilgesellschaftliche Organisation sind soziale Netzwerke und Medien – wie für viele – sehr wichtig. Das sind nun mal die Orte, an denen sich heute Menschen bewegen, vor allem junge Menschen, Orte, an denen Informationen ausgetauscht werden – natürlich sind wir da aktiv. Genauso wie die Europäische Kommission im Übrigen, die ihr TTIP-Twitter-Team gegründet hat, um auf Twitter in die Debatte einzusteigen. Ich sehe die sozialen Medien als einen Raum, genau wie andere Räume beispielsweise Veranstaltungen sind. Es ist gar nicht so eine neue Art von Öffentlichkeit, oft sind es dieselben Leute, die auch in der Umweltbewegung aktiv sind, die gleichzeitig auch zu Demos gehen – das wären sozusagen die alten Formen gesellschaftlicher Protestbeteiligung. Und nun gibt es daneben den virtuellen Raum, wo Leute sich beispielsweise über Petitionen beteiligen können – obwohl, Petitionen gibt es als Element auch schon lange. Viel passiert heute einfach im Netz und ist damit leichter, weil man schneller sehr viel mehr Menschen erreichen kann. Und die Vernetzung mit anderen Organisationen funktioniert effizienter. Aber das gilt ja für uns ebenso wie etwa den BDI.
Die Vernetzung mit anderen ist dank sozialer Medien effizienter – das gilt für uns ebenso wie etwa für den BDI.
Die Anti-TTIP-Aktion ist eine der erfolgreichsten Kampagnen der letzten Jahre. Vor allem in Deutschland haben Sie einen Riesen-Erfolg. Wie erklären Sie sich das?
Ja, bisher ist die Kampagne auf verschiedenen Ebenen durchaus erfolgreich gelaufen: Es gibt eine öffentliche Debatte, immer mehr Menschen wissen etwas über TTIP, und es gibt eine öffentliche Meinung, die mittlerweile überwiegend kritisch ist. Trotzdem sehen wir wenig Niederschlag auf der tatsächlich politischen Ebene, wenn man einmal von PR-Arbeit oder einem Schlingerkurs, wie ihn jetzt Vizekanzler Gabriel fährt, absieht. Es greift zu kurz zu sagen, wir machen einfach eine gute Kampagnenarbeit. Zu anderen Themen arbeiten wir ganz ähnlich, und es hat nicht so eine Resonanz. Dass das Thema so groß ist, hat mit TTIP zu tun, mit den Gefahren, die dieses Abkommen bringt. Accross the board, von Umweltpolitik über Verbraucherschutz bis hin zu Arbeitnehmerrechten, ist es ein Frontalangriff auf Dinge, für die die Menschen jahrzehntelang gekämpft haben. Deshalb ist der Widerstand gegen TTIP so groß – und nicht, weil wir irgendwie eine toll ausgeklügelte Twitter-Kampagne gestartet hätten.
Massives Lobbying der Arbeitgeber und Anwaltskanzleien zum Investitionsschutz
Zu Beginn der Debatte ging es vor allem um Chlorhühnchen und Genfood. Nun reden alle vom Investitionsschutz und von den geplanten Schiedsgerichten (ISDS). Das ist erstaunlich, schließlich handelt es sich um ein sehr spezielles und abstraktes Thema…
Ja, Investitionsschutz ist ein besonderes Thema: Die Europäische Kommission hat mit dem Vertrag von Lissabon zum ersten Mal die Kompetenz bekommen, überhaupt über Investitionsschutz zu verhandeln. Das war eine große Sache, es gab sogar eine Auseinandersetzung zwischen den Institutionen darüber, wie das konkret aussehen könnte. Und da gab es massives Lobbying von Akteuren wie dem Europäischen Arbeitgeberverband, Business Europe, aber auch von Anwaltskanzleien. Insofern habe ich das Thema schon beobachtet, lange bevor TTIP relevant wurde. Dann wurde klar, TTIP soll ein Investitionsschutz-Kapitel enthalten, und in der Debatte über TTIP ist es zum Aufregerthema Nummer 1 geworden, weil es eben auch eines der gefährlichsten Themen im TTIP ist.
Warum wehrt sich Ihre Organisation so entschieden gegen ISDS ? Den Investorenschutz und spezielle Schiedsgerichte gab es doch auch bisher schon, ohne dass das große Proteste ausgelöst hätte.
Wir lehnen ISDS in allen Verträgen ab, also auch den bestehenden. Es schränkt demokratische Politik ein, birgt unkalkulierbare finanzielle Risiken für die öffentliche Hand und verletzt wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze. Aufgrund der massiven transatlantischen Investitionsströme wäre ISDS im TTIP aber besonders gefährlich. Das Risiko von Milliarden-Klagen ist im Rahmen von TTIP um ein vielfaches höher als unter einem Abkommen zwischen Deutschland und, sagen wir, Tansania. Für uns als lobbykritische Organisation ist es auch deshalb so ein wichtiges Thema, weil ISDS Konzernen eine einzigartige Drohkulisse bietet, vor der sie dringend notwendige Regulierungen zum Schutz von Mensch und Umwelt attackieren können. Effektive Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und für gesellschaftliche Umverteilung können wir mit ISDS im TTIP vergessen.
Brüssel wirft die Propagandamaschine an
Die EU will nun eine neue Werbekampagne für TTIP starten. Was halten Sie davon – ist das ein Zeichen, dass die Befürworter in die Defensive geraten sind?
Für uns zeigt die Werbekampagne vor allem, wie undemokratisch, arrogant und neoliberal die Technokraten in der EU-Kommission sind. Statt wirklich zuzuhören, auf die Sorgen der Menschen zu reagieren und ihre konzernfreundliche TTIP-Agenda zu verändern, wirft die Kommission die Propagandamaschine an, um diese Agenda besser zu verkaufen. Als wären wir einfach nur zu blöd, um TTIP zu verstehen.
Wenn man die ersten zwei Jahre TTIP-Debatte resümiert, kann man den Eindruck haben, dass die Kritiker und Gegner schon gewonnen haben. Sehen Sie das auch so?
Leider nein. Gewonnen hätten wir, wenn die Kommission die Verhandlungen abbrechen oder zumindest besonders umstrittene Aspekte wie den Investitionsschutz oder die regulatorische Zusammenarbeit von ihrer Agenda streichen würde. Aber Pustekuchen. Bisher ist die EU keinen Millimeter von ihrer neoliberalen Agenda abgerückt. Wir müssen daher die Öffentlichkeit weiter aufklären und den Widerstand gegen TTIP ausbauen – so lange bis der Kommission, den EU-Regierungen und dem Europaparlament klar ist, dass der politische Preis für TTIP in Form von Wählerstimmen und einer sich verschärfenden Krise der EU einfach zu hoch ist.
Die Fragen stellte Eric Bonse.
Zwischen Europa und den USA wird seit Juli 2013 das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP verhandelt. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, das Spiel der Interessen ist schwer zu durchschauen. Das mit Mitteln der Rudolf Augstein Stiftung realisierte Carta-Dossier möchte mit einer Reihe von Beiträgen mehr Licht ins Dunkel bringen – mit aktuellen Berichten, Interviews und Videos.
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