von Elisabeth Wehling, 6.5.16
Mit über 50 Prozent der Stimmen ist am Dienstag nun auch Indiana an Donald Trump gegangen. Ted Cruz gab daraufhin seine Kampagne auf, ist offiziell erst einmal raus aus dem Rennen. Trump jetzt noch als republikanischen Kandidat zu verhindern dürfte sehr schwer werden. Und wieder herrscht Verwirrung darüber, worin sie gründet, diese unermessliche Unterstützung für den Milliardärs-Kandidaten unter den Amerikanern.
Man sucht nach unkonventionellen Antworten für das Phänomen Trump und findet sie. Wut und diffuse Existenzangst attestiert man seinen Anhängern etwa. Außerdem einen Hang zu einfachen Lösungen, simplen Ideen, kurz: Populismus. Diese Einschätzungen sind nicht falsch. Wer zu Aggression und Angst neigt, ist schneller für extrem konservative Politik zu begeistern, das zeigt die Forschung. Und auch das Bedürfnis nach definitiven Antworten (Cognitive Closure) und einfachen Erklärungen (Direct Causation) macht Menschen zugänglich für rechtspolitische Positionen.
Aber der wahre Grund für Trumps Erfolg liegt woanders, liegt tiefer. Er speist sich aus der moralischen Seele seiner Anhänger. Wie kein anderer versteht es der Milliardär, in den Köpfen der Wähler eine Ideologie abzurufen, die die politische Kognitionsforschung als konservative „strenge“ Weltsicht kennt. Sie umfasst Werte wie Wettbewerb, Disziplin und Hierarchie. Ihr gegenüber steht die progressive „fürsorgliche“ Weltsicht, die etwa Empathie, Kooperation und Schutz hervorhebt.
Studien zeigen, dass ideologisch „strenge“ Kampagnen zu einem unmittelbaren Rechtsruck unter Wählern führen, während „fürsorgliche“ Kampagnen die Wählerschaft nach links rücken lassen. Donald Trump weiß das. Seine Berater wissen es auch. Und so mobilisieren sie erfolgreich Superreiche ebenso wie die Ärmsten der Armen. Letztere wählen den Milliardär wohlgemerkt völlig entgegen ihres Interesses an sozialer Fürsorge und Umverteilung, was viele erstaunt. Die Forschung aber gibt eine Erklärung: Es sind primär Werte, die politische Entscheidungen steuern, nicht einzelne Interessen oder Programmdetails.
Trump nutzt und propagiert mit seiner Kampagne die „strenge“ Weltsicht. Er tut das besser als seine republikanischen Mitstreiter. Und weil viele Amerikaner über Jahrzehnte erzkonservativer Diskurse und Politikgestaltung darauf trainiert sind, Politik durch die „strenge“ Linse zu sehen – von Waffenfreiheit und Abtreibungsverbot über Deregulierung und Privatisierung bis hin zu Todesstrafe und Angriffskriegen – ist Trumps Wahlkampf ein Stück weit „smooth sailing“, wie man in den USA sagt: Er führt sich eigentlich ganz einfach, fast wie von selbst. Man muss die „strenge“ Weltsicht nur ein wenig intensiver, strahlender aufleuchten lassen als die politischen Mitstreiter, sie hier und dort gar ins Karikative überzeichnen. Nichts anderes tut Trump. Auf gleich fünf Säulen „strenger“ Ideologie baut sein Team die Kampagne auf: Selbstbezogenheit, Sozialdarwinismus, Hierarchie, Fürsorge für die eigene Gemeinschaft und ihre Verteidigung gegen das Böse auf der Welt durch eine starke, männliche Autoritätsfigur.
Der erste Wert, die Selbstbezogenheit, ist das A und O des erzkonservativen Freiheitsgedankens in den USA. Danach sollen Menschen primär ihr eigenes Wohl im Blick haben und gegen ihre Mitbürger durchsetzen. Jeder muss frei sein, auf diese Weise für sich selbst zu sorgen. Dann maximiert sich das Wohlergehen aller. Donald Trump bedient diese Idee hervorragend. Er ist Egoist durch und durch, treibt es auf die Spitze, indem er seinen Namen zur Marke erhebt. Trump Tower. Trump Hotels. Trump Entertainment. ,Schaut her, wie erfolgreich ich mein Eigeninteresse verfolge’ ist seine Message, inklusive groß inszenierter Selbstfinanzierung seiner Kampagne unter dem Motto ‚Trump for Trump’. „Man kann nie zu gierig sein“ sagt er gerne und oft, und wo andere Kandidaten das Kollektiv betonend von „wir“ sprechen, bewegt sich Trump in der Ersten Person Singular. Das Wort „ich“ macht bis zu sieben Prozent seiner Sprache in TV-Debatten aus, im Schnitt doppelt so viel wie bei seinen republikanischen Mitstreitern Marco Rubio und Ted Cruz.
Für „strenge“ Amerikaner macht ihn seine Selbstbezogenheit zum idealen Präsidenten. Er wird das Prinzip außenpolitisch realisieren, etwa gegen „Wirtschaftsfeinde“ wie China, und innenpolitisch durchsetzen, etwa durch den Abbau sozialer Infrastruktur.
Der zweite „strenge“ Wert, den das Team Trump geschickt für sich beansprucht, ist der Sozialdarwinismus. Er besagt, dass ungezügelter Ressourcenwettkampf die menschliche Spreu vom Weizen trennt: Starke schaffen es nach oben, Schwache werden im Kampf gestärkt. Dieses natürliche Selektions- und Motivationssystem nicht zu stören, ist ein zentrales Anliegen „strenger“, konservativer Politik. Hohe Steuern für Reiche sind eine ungerechte Bestrafung individueller Stärke. Staatliche Fürsorge gilt als unmoralisch, sie verwehrt es Menschen aus der Not heraus Selbstdisziplin zu entwickeln.
Trump formuliert diese Ideen offensiv. Seine erste Amtshandlung wäre die Abschaffung der erweiterten Gesundheitsversorgung, stellt er fest, und: „Je mehr Steuern der Staat erhebt, desto weniger Anreiz haben die Menschen […]. Jedes System, das den Erfolg und das Gewinnen bestraft, ist unmoralisch“.
Noch bedeutsamer für Trumps Erfolg aber ist, dass der Glaube an das Survival of the Fittest in der ungezügelten Marktwirtschaft den Milliardär zum idealen Präsidenten macht, durch natürliche Auslese, also ganz objektiv. Weil Trump das weiß, stilisiert er sich als „reicher Kandidat“, verweist regelmäßig darauf, dass seine Kritiker weniger Geld erwirtschaftet haben als er, und protzt unverhohlen, wo er nur kann. Darüber schütteln viele ungläubig den Kopf. Wundern sich, wo denn der Neid des kleinen Mannes bleibe. Doch Trump protzt mit Plan. „Das Gute an mir ist, dass ich reich bin,“ sagte er unlängst, „Reiche Menschen sind reich, weil sie schwierige Probleme lösen“. Dass diese Worte direkt dem sozialdarwinistischen Einmaleins entnommen sind, ist kein Zufall.
Die dritte Säule der Trump-Kampagne ist die sogenannte natürliche Hierarchie. Sie geht von einer gottgegebenen Rangordnung aus, nach der einige Menschen moralische Autorität über andere besitzen: Männer über Frauen, Weiße über Nicht-Weiße, Hetero- über Homosexuelle, Gesunde über Nicht-Gesunde und so weiter. Auch wer selber nicht zu den Autoritäten zählt, kann an das System glauben. So unterstützen etwa Frauen in „strengen“ Familien oft die absolute Autorität ihrer Ehemänner gegenüber den Kindern oder im Bekanntenkreis. Im Politischen führt das Prinzip zur Agitation gegen und Bevormundung von als weniger mündig und wertig begriffenen Menschen. Das Abtreibungsverbot gegen Frauen, die Ablehnung positiver Diskriminierung (Affirmative Action) gegen Schwarze und das Eheverbot gegen Homosexuelle sind Beispiele. Political Correctness, also die Idee, niemandem aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht oder Hautfarbe die Rechte und Privilegien vorzuenthalten, die andere genießen, ist eines der größten Feindbilder für „strenge“ US-Bürger. Laut lamentiert das konservative Amerika über den unrechtmäßigen Eingriff in die gottgegebene Rangordnung unter Menschen. Frei nach dem Motto: Wenn die Natur es anders gemeint hätte, wäre es anders.
Und Trump? Er besänftigt das „strenge“ Amerika, gibt ihm Hoffnung. „Das größte Problem, das unser Land heute hat, ist die Political Correctness“ sagt er, äfft auf einer Pressekonferenz einen behinderten Journalisten nach, und verweist sowohl die Mexikaner („Allesamt Vergewaltiger!“) als auch die Schwarzen („Alle faul, geht doch zurück nach Afrika!“) auf ihren Platz. Sein größter Joker in dieser Sache aber ist der Sexismus, der in Amerika weitaus salonfähiger ist als allzu überzogener Rassismus. „Fette Schweine“ und „Hunde“ nennt er Frauen, die ihm nicht gelegen kommen. Die erfolgreiche Unternehmerin Arianna Huffington sei „unattraktiv“, ihr Mann habe sie zu Recht verlassen. Heidi Klum sei bedauerlicherweise schon lange keine herausstechend schöne Frau mehr und Hillary Clinton habe sich als Präsidentin disqualifiziert, als sie ihren Mann nicht mehr sexuell befriedigen konnte. Außerdem sei sie in den Vorwahlen 2008 von Barack Obama „geshlonged“, als sinngemäß von ihm mit seinem halb steifen Glied geschlagen worden, als sie verlor. Über seine republikanische Konkurrentin Carly Fiorina sagt er: „Sehen Sie sich doch das Gesicht an! Würde irgendwer das wählen?“. Frauen an seiner Seite nennt der Milliardär hingegen seinen „Besitz“, konstatiert, der große Unterschied zwischen ihm und anderen Kandidaten sei, dass „seine“ Frauen schöner seien und zieht Resümee: „Es ist letztlich unerheblich, was Medien schreiben, solange Du über ein junges und wunderschönes Stück Hintern verfügst“.
Egal, ob der eigene Glaube an die natürliche Hierarchie seine Umsetzung in Rassismus, Sexismus oder Homophobie findet, das „strenge“ Amerika weiß: Mit einem Präsidenten Trump ist in diesem Land keine Political Correctness zu machen. Damit ist ein wichtiger Wert des „strengen“ Systems geschützt.
Das vierte Standbein der Trump Kampagne ist der wohlwollende Umgang mit der eigenen Ingroup. Während die „fürsorgliche“ Weltsicht sowohl individuelle als auch soziale Fürsorge betont und als einander bedingend begreift, ist die ausschließliche intensive Fürsorge für die eigene Gemeinschaft ein „strenger“ Wert. Man sorgt für Seinesgleichen, und zwar gut. Andere gehen einen nicht an. Trump vertritt diese Idee nachdrücklich, zum Beispiel indem er eine Mauer an der mexikanischen Grenze verspricht, alle illegalen Einwanderer umgehend des Landes verweisen will und die Vergabe von Arbeitsplätzen an qualifizierte Einwanderer, etwa aus der EU oder Indien, stoppen und Firmen stattdessen zur Einstellung von US-Bürgern zwingen will. Gelder für Flüchtlingshilfe sollen umverteilt werden und fortan der Bildung amerikanischer Kinder zugute kommen. Trumps Vorhaben sprechen der „strengen“ Bevölkerung aus der Seele, er holt die Bürger bei dem Wert der Ingroup-Fürsorge gekonnt ab.
Die fünfte Ideologiesäule des Kandidaten Trump ist die wohl bekannteste Geschichte „strenger“ Moral: Die Welt ist gespalten in Gut und Böse, und um die eigene – selbstredend gute! – Gemeinschaft zu verteidigen, braucht es eine starke männliche Autorität, die nicht zimperlich ist und auch mal zupacken kann – zum Beispiel in Form von Angriffskriegen oder Folter.
Trump zeigt, dass er der Typ ist, der genau das kann: He’s the man for the job. Er gibt sich bei TV-Debatten und Interviews als Aggressor und Pöbler und ruft bei Wahlveranstaltungen zu Gewalt gegen Demonstranten auf. Trump stilisiert sich als Schulhofrowdy. Nicht gerade zufällig versieht er Marco Rubio mit dem Spitznamen „little Marco“ und betont die Größe seines Geschlechtsteils, ein weltweites Symbol für männliche Kraft und Autorität. Er verspricht den Amerikanern, nicht nur Waterboarding, sondern „unendlich viel härtere“ Foltermethoden im Kampf gegen das Böse einzuführen. Muslime sollen nicht länger einreisen dürfen, Familien von bekannten Terroristen getötet werden. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, so lautet das „strenge“ Motto für den Umgang mit dem Feind, den man im Zweifel mit seinen eigenen Waffen schlagen muss.
Er wird sie verteidigen, seine Amerikaner, ohne Samthandschuhe, ohne Diplomatie, und mit all seiner männlichen Kraft und scheppernden Autorität. Das „strenge“ Amerika erkennt in dem Archetyp, den Trump hier andient, intuitiv seinen Beschützer und obersten Feldherren. Wer meint, Trump pöbele und rüpele sich aus mangelnder Erfahrung mit politischer Etikette durch den Vorwahlkampf, irrt gewaltig.
Selbstbezogenheit, Sozialdarwinismus, natürliche Hierarchie, Fürsorge für die Seinen und männliche Kraft und Unerschrockenheit im Kampf gegen das Böse – Trumps Kampagne bedient diese Werte wie es im Buche steht. Und sie tut es in einer Diktion, die nach der modernen Neuro- und Kognitionsforschung hoch effektiv ist. Donald Trump spricht eine sogenannte Basic-Level Sprache, nutzt also Konzepte, die man anfassen, sehen, riechen, schmecken oder hören kann. Politische Kommunikation auf dem Basic-Level, so zeigt die Forschung, aktiviert im Vergleich zu abstrakter Sprache mehr Schaltkreise im Gehirn, nimmt stärkeren Einfluss auf das Entscheidungsverhalten und prägt sich besser ins Gedächtnis ein. Und so erstaunt es nicht wirklich, dass eine Analyse der TV-Debatten ergibt, dass Donald Trump auf dem Niveau eines Viertklässlers spricht, während sich etwa Ted Cruz auf dem Niveau eines Zehntklässlers bewegt. Wer Trump angesichts solcher Befunde für seine einfache Sprache belächelt und meint, er erreiche damit vornehmlich das verdummte oder wenig gebildete Publikum, der hinkt seiner Zeit hinterher.
Donald Trumps Wahlerfolge gelten vielerorts als Zeugnis für eine neue politische Beliebigkeit bei den amerikanischen Wählern. Diese Einschätzung ist falsch. Amerikaner wählen ganz und gar nicht „alles und jeden“. Sie wählen, wie alle Menschen, ihre Werte, auch entgegen materiellen Eigeninteressen. Im Falle Donald Trumps sind es „strenge“ Werte. Bernie Sanders setzt dem eine Kampagne der „fürsorglichen“ Werte entgegen. Die politische Mitte, also die rund dreißig Prozent der Wähler, die sowohl der „strengen“ als auch der „fürsorglichen“ Weltsicht etwas abgewinnen können, hören dieser Tage sehr genau hin. Ebenso die Republikaner. Zwar sind sie genervt von der Person Trump. Er macht sie lächerlich, ist lästig. Aber langfristig profitiert der konservative Flügel in Amerika von Trumps „strenger“ Kampagne, die das Volk bis zum Umfallen mit erzkonservativer Ideologie beballert.
Das weiß man in Washington. Und wartet ab. Den vielerorts prophezeiten Neuanfang der Republikaner nach der „Trump-Blamage“ inklusive einer Orientierung hin zu moderateren Diskursen und gemäßigterer Politikgestaltung wird es nicht geben. Das Gegenteil wird der Fall sein. Trump hat neues „strenges“ Terrain in den Köpfen der Amerikaner begehbar gemacht. Strenge Ideologie auf die Spitze getrieben – das funktioniert. Das weiß man jetzt und wird es umsetzen, ob mit, ohne oder nach Trump.
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