von Robin Meyer-Lucht, 23.3.10
Anlässlich des Google-Teilrückzugs aus China warnt Welt-Herausgeber Thomas Schmid in einem Blog-Beitrag vor der “gelenkigen antiautoritären Truppe mit den kunterbunten Firmenfarben”. Google inszeniere sich in der China-Frage als David, sei aber selbst ein Goliath – ein “äußerst gefräßiges Wesen” –, mit dem um die Meinungsfreiheit zu kämpfen sein werde:
Das Unternehmen, das den Geist der Freiheit verbreitet, hat sich zu einem äußerst gefräßigen Wesen entwickelt, das offensichtlich ein Monopol auf die Wissens-, Nachrichten- und Informationswelt anstrebt. Mit den Autorenrechten geht Google kaum weniger ignorant um als China mit dem Informationsrecht. Die kommenden Kämpfe um die Meinungsfreiheit werden ganz neue Frontverläufe haben. (Hervorhebung Carta)
Nach Thomas Schmid stellt sich die Lage also folgendermaßen dar: Google entwickle sich zum China der westlichen Informationswelt. Das Google-Regime wolle unsere Nachrichten monopolisieren, unsere Urheberrechte enteignen und unsere Meinungsfreiheit einschränken. Gegen Google würden wir europäischen Intellektuellen in den kommenden Kampf um die Meinungsfreiheit ziehen müssen.
Schmids Ausführungen sind selbstredend eine grandiose Übertreibung: Das Internet und Google haben unsere Nachrichtenwelt endlich de-oligopolisiert, Google hält sich an das bestehende Urheberrecht und Google befördert – etwa auch über YouTube – die Meinungsfreiheit ganz maßgeblich. Google hat in den letzten zehn Jahren mehr für die Meinungsfreiheit und für die Medienvielfalt getan als jede andere Institution, ob die Alt-68er nun für oder gegen sie gekämpft haben.
Doch Schmid dämonisiert Google lieber mit einer hingebungsvoll verdrehten Argumentationskette, die in Fernost anfängt und im Herzen unserer demokratischen Grundordnung endet. Kein Zweifel: Google soll mit Blick auf die Bundesregierung sturmreif geschossen werden – und Schmid hebt hier schon einmal ein paar Schützengräben aus. Er streitet angeblich um die “Meinungsfreiheit”, um die “Autorenrechte”, um die Vielfalt des Wissens. Aber darum geht es ihm gar nicht.
Thomas Schmid geht es in Wirklichkeit um das Leistungsschutzrecht, wie er es auch verschlagwortet hat, also um ein eigenes Verwertungsrecht der Presseverlage an ihren Websites. Thomas Schmid möchte, dass die Verlage mehr Rechte bekommen, um Google für kleine Textauszüge zur Kasse bitten zu können. Schmid hält Google für ein gefräßiges Wesen, dass an den Margen seiner Zeitung knabbert.
Gut, dieser Meinung kann man sein. Man sollte sie dann aber auch offen vertreten. Als Journalist aber “Meinungsfreiheit”, “Autorenrechte” und “Nachrichtenmonopole” zu rufen, wenn es um die Verwertungsrechte von Unternehmen geht: Das ist journalistische Anti-Aufklärung.
Sollte jemand vergessen haben, um wen es in der Leistungsschutzrecht-Debatte wirklich geht – Thomas Schmid hat es nun in aller Deutlichkeit noch einmal gesagt. Es geht um: Google.
Lektüre-Tipp:
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