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Thomas Koch, der Journalismus und die Wahrheit des Jahres

von , 1.6.13

 

Kladde, Foto: F!XMBR

Foto: F!XMBR


 

Ich schätze Thomas Koch ungemein. Er hat schon so viele kluge Dinge gesagt, auch wenn ich persönlich gegen das Marketing, gegen Werber allgemein eine Abneigung verspüre. Thomas gehört aber zu den Menschen, die meinen Horizont erweitern, deren Meinung ich mir gerne anhöre, weil ich danach klüger bin.

Thomas hat “Lousy Pennies” ein Interview gegeben und für mich, neben vielen unbequemen Dingen, die Wahrheit des Jahres, sie wird vielen Journalisten nicht gefallen, ausgesprochen:
 

Früher habe ich Artikel gelesen und mich gar nicht dafür interessiert, wer sie geschrieben hat. Heute schaue ich zuerst, wer es geschrieben hat. Und dann lese ich.”

 
Ich habe selten bei einem vermeintlich einfachen Satz so laut “Ja” geschrieen, wie in diesem Fall. Menschen, gerade Journalisten, müssen überraschen können. Nehmen wir zum Beispiel Sascha Lobo: Ich bin nicht immer mit ihm einer Meinung, aber ich lese seine Texte, weil er mich zu überraschen weiß und oft kluge Dinge sagt, auch wenn sie mir manchmal nicht gefallen.

Wenn ich da zum Beispiel Jan Fleischhauer vom “Spiegel” nehme, da schaue ich nicht einmal mehr auf die Texte im Print, das wird im Wartezimmer beim Arzt einfach überblättert. Da lächele ich dann nur noch in mich hinein und frage mich, wer sich beim ehemaligen “Sturmgeschütz der Demokratie” für dessen Einstellung verantwortlich zeigt.

Auf der anderen Seite seien vielleicht Annett Meiritz vom “Spiegel” oder Hannah Beitzer von der “Süddeutschen Zeitung” erwähnt: Ich schaue mal auf die Texte, gerade wenn es um die Piratenpartei geht, aber ich weiß mittlerweile, was drin steht. Im Prinzip brauche ich die Texte gar nicht mehr zu lesen, wenn sie über Twitter verteilt werden – man kann sich entspannt zurücklehnen und die Reaktionen verfolgen.

Für mich als Leser, der nichts mit Marketing und Werbung zu tun hat, geht es nicht um eine Marke, sondern es geht um Menschen, um Vertrauen – und auch um mich selbst. Man muss mich überraschen, unterhalten, informieren. Einfache Worte und doch sehr schwierig, weil es ja auch immer von der Tagesform abhängig ist.

Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Ich als Leser muss dem Journalisten, dem Medium vertrauen können. Und an diesem Punkt lässt sich die gesamte Misere der Medien festmachen: Nicht das Internet ist schuld an den Schwierigkeiten der Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Der Hauptgrund ist der unfassbare Vertrauensverlust in den letzten Jahren, den die Medien selbst zu verantworten haben.

Am besten lässt sich dies aktuell über den “Spiegel”-Titel “Bordell Deutschland” nachvollziehen. Die Geschichte im “Spiegel” war, sagen wir es diplomatisch, oberflächlich und reißerisch. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Eine Sexarbeiterin schrieb über ihre Erlebnisse mit dem “Spiegel”und warnt vor dem Magazin und den dortigen Journalisten (Antwort des “Spiegel”-Redakteurs hier).

Das Problem ist nicht, dass Menschen nicht mehr lesen, ihre Zeit im Internet verbringen. Das Problem ist auch nicht, dass die Menschen nicht bereit sind, im Internet zu bezahlen. Das Problem ist dieser Vertrauensverlust, den der Journalismus in den letzten Jahren zu verzeichnen hat. Ich wiederhole mich da gerne.

Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass die Medien ihrer Aufgabe in einer Demokratie nachkommen. Ich bin sicher, eine Umfrage würde ergeben, dass eine Mehrheit in diesem Land nicht mehr von der Vierten Gewalt, der Herrschaftskontrolle, überzeugt sind. Und sie werden täglich in ihrer Ansicht bestätigt – das Foto von Vizekanzler Rösler mit “Bild”-Chef Diekmann spricht Bände.

Hanns Joachim Friedrichs hat einmal gesagt: “Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache [..]” So gut und richtig sich dieser Satz anhört, so falsch ist er auch in meinen Augen.

Das Gute, das Richtige ist die Herrschaftskontrolle, ist, die Mächtigen und die Eliten zu hinterfragen. Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, als würde dies geschehen. Und wenn es einmal geschieht – nehmen wir hier das Beispiel unseres ehemaligen Bundespräsidenten, Christian Wulff -, ist man sicherlich vom falschen Handeln des Bundespräsidenten überzeugt, fragt dann aber gleichzeitig, was es soll, dass dieser jahrelang von den Medien hofiert und das dann maßlos ins Gegenteil verkehrt wurde.

Wenn Medien in Deutschland eine Zukunft haben möchten, müssen sie an erster Stelle wieder Vertrauen herstellen. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Wenn ich das Beispiel “FAZ” nehme, gibt es dort durchaus Kollegen, denen ich vertrauen würde, auch wenn ich nicht immer ihrer Meinung bin, zum Beispiel Don Alphonso und Frank Schirrmacher. Dieses Vertrauen reicht aber beileibe nicht aus, um die “FAZ” zu abonnieren. Im Regelfall kaufe ich sonntags die “FAS”, weil dort schlicht und ergreifend das beste Feuilleton Deutschlands zu finden ist; Nils Minkmar sei hier auch erwähnt, ebenso die Kolumnen von Constanze Kurz und Frank Rieger.

Hier schließt sich dann der Kreis zu Thomas’ Äußerungen im Interview mit “Lousy Pennies”: Ich verbinde das Feuilleton der “FAS” nicht mit der “FAZ”, sondern mit Namen, mit Menschen, die ich gerne lese, die mich überraschen, unterhalten, informieren. Das Medium selbst ist unerheblich, mich interessieren die Menschen und die Frage: Kann ich ihnen vertrauen, selbst wenn ein Text einmal völlig von meiner Meinung abweicht, meinem Weltbild nicht entspricht?

Liebe Medien, schafft wieder Vertrauen in Eure Arbeit. In der Debatte um das Leistungsschutzrecht wurde immer wieder von Qualitätsjournalismus gesprochen, von der wichtigen Funktion, die der Journalismus in einer Demokratie einnimmt. Ich widerspreche nicht, doch mit der Einführung des Leistungsschutzrechts, mit jedem Artikel, der pro Leistungsschutzrecht argumentiert hat, ist genau das Gegenteil passiert.

Qualitätsjournalismus existiert nur, wenn ihm vertraut wird.

Ohne das Vertrauen der Menschen kein Qualitätsjournalismus.

Wenn dieses Vertrauen wieder hergestellt wird – und das ist heute erste Aufgabe der Medien und Verlage -, ist die Finanzierung des Journalismus nur noch eine rein technische Frage. Die Menschen sind bereit, im Internet zu zahlen, nicht umsonst sind “Apple” und “Google” die wertvollsten Marken weltweit. Ich warte seit Jahren darauf, dass ein Verlag, eine Zeitung, eine Zeitschrift dies erkennt. Bis heute bin ich enttäuscht worden: Auf meiner Kreditkartenabrechnung des letzten Jahres findet sich nicht eine Zahlung an den “Spiegel”, die “FAZ”, die “Zeit”, die “SZ” oder den “Axel-Springer-Verlag”. Und ich habe mir extra vor Jahren eine Kreditkarte für Zahlungen im Internet angeschafft.

Es fehlt von meiner Seite aus das Vertrauen. Das ist schade, aber es ist auch nicht meine Aufgabe, dies zu ändern.
 
Disclosure: Ich bin dem Clap-Magazin, dessen Herausgeber Thomas Koch ist, freundschaftlich verbunden.
 
Chris Sickendieck bloggt auf F!XMBR

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