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Telekom verteilt auf der IFA Gleitcrème, damit wir nicht merken, wie die Netzneutralität entfernt wird

von , 1.9.12

“Was ist denn jetzt schon wieder los?” oder “Die Kurzversion“

Die Telekom hat mit dem Musik-Plattformanbieter Spotify eine exklusive Marketing-Kooperation geschlossen. Wer einen bestimmten Telekom-Tarif kauft, bekommt Spotify Premium für denselben Preis dazu. Normalerweise kostet der bei Spotify 10 Euro.

Ist ja erst mal ein okayer Marketing-Deal.

Weil der Telekom-Chef, der Obermann René, ja schon öfters gesagt hat, dass er diese “Netzneutralität” für überflüssig hält, haben sich unsere Freunde von der Telekom gedacht: “Mensch, das ist doch so ein geiles Paket, da jubeln wir den ahnungslosen Konsumenten mal die Abschaffung der Netzneutralität unter. Und zwar auf eine Art, bei der die meisten dieser Muppets es auch noch geil finden werden.”

Und das geht so:

Wer Spotify Premium über diesen Telekom-Tarif hört, kann das tun, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wieviele Musik-Daten anfallen, weil sie nicht auf den gebuchten Daten-Tarif aufgeschlagen werden.

Geile Sache, oder?

Nein, denn langfristig ist der Konsument der Gelackmeierte.

Welche Daten über das Web transportiert werden, geht den Provider nichts an. Netzneutralität bedeutet, dass es deine Sache ist, ob du Texte, Musik, Video etc. mit einer Plattform oder mit Freunden austauschst; die diskriminierungsfreie Übertragung aller Datenpakete, unabhängig von Herkunft oder Ziel, Form oder Inhalt. Dies ist eine der wesentlichen Grundlagen für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Innovationskraft des Webs.

Es geht der Telekom also nur vordergründig darum, den Konsumenten eine Freude zu machen. Für die verschlagene Strategie der Telekom ist es wichtig, die Musikdaten aus den anderen Datenarten herauszutrennen. Damit wird ein Präzedenzfall geschaffen. Es geht der Telekom darum, den durchschnittlichen Konsumenten daran zu gewöhnen, dass es für unterschiedliche Datenarten unterschiedliche Abrechnungen gibt.

Wer also den kurzfristigen “Vorteil”, Spotify (und nur diesen Musikanbieter) über die Telekom billig zu schießen glaubt, aber gegen die langfristige Sicherung eines freien und gleichen Datenverkehrs im Web eintauscht, der kann sich gleich an das hier gewöhnen (wehret den Anfängen!):

Wehret den Anfängen!

Ende der Kurzinfo ————————————————-

 

“Ich hab das immer noch nicht ganz verstanden.” oder “Die etwas längere Version“

Offensichtlich hat die Telekom gelernt, dass sich das freie Internet besser durch die Hintertür als mit dem Kopf durch die Wand zerstören lässt (außer, man heisst Friede Springer oder Hubert Burda und will das Leistungsschutzrecht).

Es gibt sicher Bereiche, in denen man die Telekom loben kann. Der Dampfer Telekom versucht ja, durch ganz viele Kooperationen, Aufkäufe und Seeding die Intelligenz junger Start-Ups zu verinnerlichen. Kann man ambivalent sehen, kann man aber auch vorsichtig als Teil des gesamtgesellschaftlichen Wandels begrüßen.

Auch bin ich ein Freund der Förderung access-basierter Geschäftsmodelle. Gerade im Musikbiz wird es Zeit, dass die neuen Methoden der Distribution und Interaktion feststellbar erfolgreiche Angebote generieren, mit Umsätzen für die Plattformen und die Musiker. Über Spotify lesen wir in der NY-Times und bei netzwertig.com von guten Entwicklungen. Es gibt auch in Deutschland einen zaghaften Wettbewerb der Plattformen, auch wenn dieser Fortschritt durch nationale Musik-Majors und reaktionäre Verwertungsgesellschaften stark behindert wird.

Der Deal mit der Telekom ist für Spotify ein potentiell guter Deal. Er wird schlagartig die erreichbare Konsumentenzahl massiv erhöhen. Und der “dumb pipe”-Provider Telekom hat mal wieder ein vermarktbares Irgendwas, um neue Werbebroschüren zu drucken. Win-win, und auch der Kunde könnte glücklich sein. Doch das hat den Buben von der Telekom nicht gereicht: Mit diesem Deal musste auch noch die altbekannte, machtversessene politische Agenda  praktisch umgesetzt werden.

Netzneutralität. Ein Reizwort.

Im Kern bedeutet es, dass jedes Byte im Internet gleich behandelt wird. Ich schicke eine Mail, ein Musikstück oder ein Handyvideo durchs Netz, und niemand unterwegs hat zu entscheiden, ob die jeweiligen Datenpakete langsam oder schnell oder zu einem speziellen Preismodell transportiert werden. Hin und wieder greift man aufgrund kurzfristig nötiger Steuerung administrativ in den Backbone ein, aber daraus entsteht kein grundsätzlicher Bruch der Netzneutralität.

Jetzt hat die Telekom als Provider zwei Probleme:

Problem Nr.1 der Telekom

Auch die Telekom hat die Netze günstig geschossen (damals, als sie plötzlich kein Staatsbetrieb mehr war). Seither investiert sie auch hier und da mal intransparent etwas in den Ausbau – aber keiner weiss genau, was – und wenn die Politik mal fragt, dann sagt man einfach, dass wäre Betriebsgeheimnis. Eins ist dennoch klar: Für das #####  reicht es aufgrund des ganzen (Mobile) Webbooms nicht mehr.

Weil man also jahrelang lieber etwas Anderes gemacht hat, als anständig in den Ausbau der heimischen Netze zu investieren, gibt es jetzt Engpässe. Dafür kann man Verständnis haben, aber deswegen werden keine Prinzipien aufgegeben. Die Telekom und andere Provider haben das Netz nur von den Bürgern geliehen bekommen. Und nun versuchen einige bei der Telekom ihre eigenen Fehler zu vernebeln. Ganz nach dem Motto: “It’s not a bug, it’s a feature.”

Einige nennen das stolz Marketing, man kann es aber auch Betrug nennen.

Problem Nr. 2 der Telekom

Die Telekom stellt im Kerngeschäft nur die “dumme Leitung”, die “dumb pipe”, zur Verfügung. Mehr Geld kann aber nur mit Dienstleistungen verdient werden, die auf den transportierten Inhalten aufbauen. Wir sehen das im Bereich des sogenannten “TV”, dass die Telekom über die Internetleitung verkauft. Milionen zahlen immer noch bereitwillig, wohl aus kultureller Gewohnheit, für Daten-Bytes, die zuhause dann zu RTL- oder ZDF-Fernsehen werden, zusätzliche Gebühren zu ihrer eigentlichen Internet-Rechnung. Dass die Telekom den mobilen Ausbau dieser Dreistigkeit auch in diesem Bereich auf der IFA als mit Zusatzkosten behafteten Fortschritt verkauft, ist schlichtweg eine Verhöhnung der Bevölkerung.

Das kann die Telekom aktuell rechtmäßig tun, da die Bundesnetzagentur (BNetzA) dem Lobbyistendruck nicht standgehalten hat und es vier Qualitätklassen gibt: Video, Voice, Critical Applications und Best Effort. Letzteres ist besser bekannt unter dem, was die Telekom ihren Nutzern als “Internet” verkauft. Außerdem hat die BNetzA laut ihrem früheren Chef Kurth das Problem der “partiellen Machtlosigkeit im Mobilfunkmarkt”, da sie hier keinen geeigneten Regulierungsauftrag hat.

Der Spotify-Deal (und wofür er missbraucht wird)

Innerhalb der Best-Effort-Klasse werden aber von diesen bösen, bösen freien Menschen Text, Musik und Videos von Privatpersonen und Unternehmen lustig hin- und hergeschickt. Das findet die Telekom doof, weil damit dort genau diese Unterscheidung in Qualitätsklassen aufgehoben wird, die sie mit Mühe und Not eine Stufe höher installiert hatte.

Wenn man eine ausweglose Situation hat, muss man versuchen, die Grundsettings umzudrehen. Dies geschieht nun im Mobilbereich und konnte dort geschehen, weil der Mobilbereich nicht von der BNetzA reguliert werden kann. Die Politik verlässt sich (völlig illusorisch) hier noch mehr als anderswo auf die “Selbstverpflichtungen der Industrie” – dass dies im Allgemeinen zu Ärger für die Konsumenten führt, ist hinlänglich bekannt. Die Erklärungen der CDU/FDP zur Netzneutralität in der Enquêtekommission zu diesem Thema werden spätestens jetzt von der Telekom Lügen gestraft.

Der Konsument ist im Mobilbereich bereits so konditioniert, dass er/sie sich extrem beschränkte Datenqualität ab 300MB bzw. 2 GB (je nach Vertrag) als “Daten-Flatrate” verkaufen lässt. Es muss diesen so veräppelten Menschen als eine Befreiung vorkommen, nun “Unlimited Musikgenuss jenseits von Flatrate-Grenzen geniessen zu können” – so hoffen es zumindest die Marketing-Einseifer.

Doch was geschieht eigentlich beim Spotify-Deal?

Die Netzneutralität, also der gleichwertige diskriminierungsfreie Datentransfer unabhängig von der Datenart, wird sowohl vertikal als auch horizontal von der Telekom verletzt. Damit wird  das Web einer seiner wichtigsten Voraussetzungen für Innovation beraubt.

Vertikale Netzneutralität bedeutet, dass nun Musik-Daten anders behandelt und abgerechnet werden als der restliche Internet-Verkehr. Die vermeintliche Bevorzugung ist nichts anderes als eine Extra-Zahlung für Musik-Daten, für die wir auch noch dankbar sein sollen, weil die Telekom keine echten Flatrates für den gesamten mobilen Datenverkehr anbieten kann. Netze ausbauen statt Kunden veräppeln lautet die Ansage an die Telekom.

Horizontale Netzneutralität bedeutet, dass Spotify gegenüber anderen Musik-Plattformen (über Apps oder Browser abgerufen) eine wettbewerbsschädigende Bevorzugung erhält. Hier gilt: Eine Marketing-Kooperation mit der Telekom ist eine feine Sache und klar wettbewerbsorientiert. Doch die Ungleichbehandlung der Musikdaten anderer Musik-Plattformen, monetär wie technisch, sind ein Bruch der innovationsschützenden Netzneutralität.

Fazit:

Dem Deal Telekom/Spotify wurde ein Element untergeschoben, dass die Konsumenten hinsichtlich eines freien innovationskräftigen Internets, wie wir es seit seiner Anfangszeit kennen, betrügt. Der Datenbevorzugungs-Aspekt ist eine subtile Methode, der Öffentlichkeit den Bruch der Netzneutralität als einen Gewinn zu verkaufen. Dieser Gewinn ist nur scheinbar und von kurzfristiger Natur. Aufgabe der Telekom ist es, Netze auszubauen, statt Netzneutralität mit Marketing-Talk zu vernebeln.

Kapitalismus, der keinen verantwortlichen Ethos gegenüber seinen gesellschaftlichen Grundlagen besitzt, hat genug Schaden angerichtet. Es wird Zeit, dass wir im Internet eine andere Markthaltung an den Tag legen. Auch und insbesondere als Konsumenten sollten wir dies einfordern, statt auf vermeintliche Schnäppchen hereinzufallen.

Schreibt an Spotify, dass dieser netzneutralitätsfeindliche Deal keine Grundlage für eine lange und gute Kunden-Plattform-Beziehung sein wird. Droht, euren Account stillzulegen und zur Konkurrenz zu wechseln. Wie auch immer ihr die Besorgnis kurz und knackig ausdrückt – hier ist die Email, an die ihr sie schicken müsst: [email protected]

Crosspost von Anders

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