#Digital Natives

„Teenager nutzen Twitter nicht”

von , 13.7.09

Kurz nachdem rund 250 CEOs, Investoren und Medienexperten auf der diesjährigen „Sun Valley Media and Technology Conference” über die Geschäftsmodelle der Zukunft philosophierten, mischt ein 15jähriger Schüler Investoren, Medienjournalisten und Medienmanager mit nüchternen Einschätzungen zum Mediennutzungsverhalten jener Generation auf, die mit dem Internet als selbstverständlicher Bestandteil des Lebens aufgewachsen sind.

Jugendliche schauen immer weniger normales Fernsehen, lesen so gut wie nie Zeitung und zahlen extrem ungern für Musik im Internet. Diese und weitere bahnbrechende Erkenntnisse über das Mediennutzungsverhalten britischer Teenager sorgen seit dem Wochenende auf der Insel für Aufruhr.

Aufgeschrieben hat das alles ein 15-jähriger Praktikant von Morgan Stanley. Der Londoner Schüler Matthew Robson war von den Medienanalysten der US-Bank gebeten worden, das Mediennutzungsverhalten seiner Freunde zu beschreiben. Herausgekommen ist „einer der klarsten und anregendsten Einsichten, die wir je gesehen haben”, erklärte Edward Hill-Wood, Teamleiter bei Morgan Stanley.

Die Investmentbank entschied sich dafür, die simple Prosa des Teenagers zu veröffentlichen („Industry View In-Line“) , die FT machte eine Riesenstory daraus und Robson („Aged 15 yrs & 7 months”) bekam seine 15 Minuten Ruhm.

Robsons Vierseitenpapier bestätigt gängige Annahmen über das Kommunikations-, Unterhaltungs- und Sozialverhalten der „digitalen Eingeborenen”: Sie nutzen eine Vielzahl von konvergierenden Medien für verschiedenste Informationen und Services für die sie allerdings nicht bereit sind zu zahlen und deren Genuss sie sich nicht durch Werbung kaputt machen lassen wollen. Er kenne niemanden, der regelmäßig Zeitungen lese, so Robson in seinem Bericht, der laut Morgan Stanley weder Repräsentativität noch statistische Genauigkeit für sich in Anspruch nimmt. Die meisten Teenager hätten schlichtweg „keine Lust, seitenweise Text zu lesen, wenn sie die Nachrichten in Fernsehen oder Internet zusammengefasst” bekämen.

Obwohl in den Clubs und Kneipenvierteln vieler englischer Städte zur Sperrstunde regelmäßig bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen: die Insel ist nicht der Iran, und so kommunizieren zumindest Robsons Freunde ihre Alkoholexzesse, Teenagerschwangerschaften und sonstige Befindlichkeiten nicht via Twitter. „Teenager nutzen Twitter nicht”, so Robson. Schließlich koste das Microbloggen vom Mobiltelefon aus Geld und Teenager verstünden, „dass niemand sich ihre Profile ansieht, ihre Tweets also keinen Sinn machen”. Da hätten die Gründer der auch in UK rasant wachsenden, bekanntesten Website ohne Geschäftsmodell im Vorfeld besser mal ein paar Prepaid-Handys an Robsons Freunde verteilt. Nun werden sie sich bei Verhandlungen um den Einstieg von Investoren mit der anekdotischen Evidenz eines Teenagers rumschlagen müssen.

Denn die Resonanz auf Robsons Aufsatz ist enorm. Unzählige Fondsmanager und CEOs hätten sich per Email und Telefon gemeldet, erklärte Morgan Stanley, die Abteilung erhalte fünf bis sechsmal mehr Anfragen als üblich.

Und so sind es weniger die für ihre ungeheure „Klarheit” bejubelten Ausführungen des jungen Medienanalysten, die überraschen, als vielmehr ihre Rezeption. Man fragt sich: wie ist es um die Gründlichkeit und den intellektuellen Gehalt der Dossiers bestellt ist, die Morgan Stanleys hochbezahlte „Medienanalysten” sonst für ihre Kunden erstellt? Wenn die Jugend nicht für Inhalte zahlen will, muss das Internet dann zumachen? Und nachdem Robson das Rätsel um die Mediennutzung der „Digital Natives”, dieser scheuen, unerforschten Spezies der Internetkultur, gelöst hat: womit beschäftigt die „Forschungsabteilung” von Morgan Stanley ihn in den noch verbleibenden Monaten seines Praktikums?

News Corp-Patriarch Rupert Murdoch hat den Stab über Twitter übrigens schon gebrochen. Eine Beteiligung an Twitter erklärte er auf der Konferenz in Sun Valley für ausgeschlossen.

Vor allem aber ist der Hype um das Papier ein Beleg für den Digital Divide, der sich angesichts sich rasant entwickelnder Technologien zwischen den Generationen auftut: Selbst 35-Jährige Medienprofis verstehen nicht mehr, was 15-Jährige machen.

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