#Kai Gniffke

Tagesschau: Der postmoderne Concierge hat geblinzelt

von , 27.7.09

Was ist eigentlich die Hauptleistung der Tagesschau? Diese Frage muss man stellen, um den Streit zwischen ihrem Chefredakteur Kai Gniffke und dem ARD-Hauptstadtstudioleiter in seinem eigentlichen Kern zu begreifen. Denn im Streit der beiden ARD-Vorderen geht es um mehr als persönliche Animositäten zwischen Zentrale und Berliner Büro. Es geht um die Frage der Legitimationsmechanik dieser Nachrichtenmaschinerie.

Die Hauptleistung der Tagesschau ist die permanente Herstellung brauchbarer Medienwirklichkeit. Sie wandelt Ereignisse und Themen in allgemein akzeptierte Nachrichtenwirklichkeit um. Ihr strukturelles Problem, dass sich Realität eigenlicht nicht einfach “nur abbilden” lässt, verdeckt sie durch eine ritenhaft inszenierte Objektivität, die sich auf eigentümliche Weise der Argumentation entzieht.

Man könnte auch sagen: Die Tagesschau ist eine Zaubershow, in der Realität erzeugt wird, über die nicht mehr diskutiert werden kann.

Der Autor Ulrich Schmitz hat die Tagesschau einmal als “postmodernen Concierge” bezeichnet. Concierge, weil sie ein Wächteramt ausübt: Welche Nachrichten werden überhaupt reingelassen? Postmodern, weil die Tagesschau den Nachrichten die Rationalität verweigert.

Und hier kommt nun der Blog-Eintrag von Kai Gniffke ins Spiel: Sein Tabubruch im Tagesschau-Universum bestand darin, die Selektivität der Tagesschau thematisiert, kritisiert und damit zur Diskussion gestellt zu haben:

Aber wenn wir ehrlich sind, hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können. Alles reine Kann-man-machen-Nummern.

Die “lautlose Wirksamkeit” der Tagesschau-Maschinerie basiert bislang jedoch genau darauf, dass solche Fragen undenkbar sind: Die Tagesschau erscheint als die einzig richtige Repräsentation der Wirklichkeit. In diesem System ist für ein “kann man machen” kein Raum. Die Tagesschau schöpft ihre Aura aus einer unhintergeh- und unhinterfragbaren Praxis, in der sich Realität “realisiert”.

Soll die Tagesschau ihren klassischen Nimbus behalten, muss alles richtig und wichtig sein, was sie unternimmt. Für das Eingeständnis “mittelmässiger Themen” oder von “Widrigkeiten im Alltag einer Nachrichtenredaktion”, von denen Gniffke im Spiegel-Kurzinterview spricht, ist da kein Platz.

Ulrich Deppendorf stellt sich daher nicht nur vor seine Hauptstadtstudio-Mitarbeiter, sondern hält vor allem auch eine Kritik der Selektionsmechanismen für wenig sinnvoll:

Dann hätten die Kollegen und Kolleginnen aus dem Hauptstadtstudio und in der Republik ja schon eher die Arbeit für die Tagesschau einstellen können. Im Übrigen halte ich keines der Themen gestern für entbehrlich oder dem Sommerloch geschuldet.

Mit Gniffkes Blog-Eintrag hat der “postmoderne Concierge” Tagesschau geblinzelt. Gniffke hat zugegeben, dass die Tagesschau kontingent ist: Man könnte es so machen, aber auch anders. Manchmal könnnte man es sogar fast auch lassen.

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Die Hauptleistung der Tagesschau ist die permanente Herstellung brauchbarer Medienwirklichkeit.

Kai Gniffke hat damit nicht nur Transparenz hergestellt. Er hat die Tagesschau-Nachrichtengebung als veränder- und diskutierbare Praxis thematisiert. Damit aber würde es nicht mehr eine richtige Art geben, die Tagesschau zu machen, sondern mehrere. Damit hat Gniffke die Kernfunktion seiner Sendung angegriffen: Realität zu erzeugen, über die nicht mehr diskutiert werden kann. Es entstehen Risse in der monolitischen Inszenierung einer Objektivität, von der Gniffke ohnehin verstanden hat, dass es sie nicht geben kann. Gniffke hat damit intuitiv verstanden, dass sich der Begriff von brauchbarer Medienwirtklichkeit langsam verändert.

Deppendorf aber möchte seine Organisation solchen Diskursen nicht augesetzt sehen. Deswegen findet er auch, dass Gniffke über den Charakter der Sendung nicht bloggen müsste.

Der Streit zwischen Deppendorf (Jahrgang 1950) und Gniffke (Jahrgang 1960) dreht sich damit leztlich um die Frage, woraus die Tagesschau in Zukunft Legitimation beim Zuschauer schöpft. Durch paternatlisch-distanziertes Auftreten oder durch zunehmend offensive Selbstthematisierung der eigenen Grenzen.

Dass sich diese Frage überhaupt stellt, zeigt vor allem, wie schwer es ist, sich von liebgewonnen Machttechniken zu verabschieden.

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