#Anpassung

Sprachliche Anpassungen. Warum wir so leidenschaftlich dafür und dagegen sind

von , 23.1.13

Am 4. Januar berichtete die taz: „Wie die Erben von Astrid Lindgren hat auch er (Otfried Preußler, 89 – wm) sich lange gegen jede Änderung seines Kinderbuchklassikers ‚Die kleine Hexe’ gestemmt, der 1958 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet und seitdem in 47 Sprachen übersetzt sowie weltweit mehr als 4,3 Millionen Mal verkauft wurde. ‘Mit der Zeit ist aber die Einsicht gewachsen, dass die Authentizität des Werks der sprachlichen Weiterentwicklung untergeordnet werden muss’, sagt Klaus Willberg.“

Sagt also sein Verleger.

Mit Unterordnungen ist das so eine Sache. Der Verlag ‚überzeugte’ seinen Autor und dessen Tochter, die sich lange dagegen gestemmt hatten, dass gewisse Änderungen wegen der gebotenen Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer und zur besseren Verkäuflichkeit notwendig wären.

Ich kann – und das ist das Problem – sowohl die Änderungswünsche als auch das Beharren derer verstehen, die auf die Authentizität von literarischen Texten pochen. Mich wundert bei der Debatte nur, dass die Diskutanten so stark im Hier und Jetzt argumentieren und die deutsche Vergangenheit, die an Text-Anpassungen sehr reich ist, nicht in die Debatte mit einbeziehen.

Es stimmt: Texte sind nicht sakrosankt. Ein Autor kann sich weiterentwickeln, kann Einsicht zeigen, Fehler eingestehen, fragwürdige Bezeichnungen aus seinem Wortschatz streichen. Er kann sogar „wegen gewandelter Überzeugung“ die weitere Nutzung eines erschienenen Werks durch den Rechteinhaber (den Verlag) unterbinden (siehe § 42 UrhG). All das ist möglich, aber warum wird in dieser Debatte nie die Frage nach dem geschäftlichen Opportunismus gestellt?

Vielleicht hilft eine Erinnerung, um verständlich zu machen, warum hierzulande so viele kluge Leute zögern, ‚bestimmte Wörter’ aus einem Werk herauszunehmen, um es zeitgemäß und gefällig zu halten.

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Das Beispiel Bertelsmann

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Heinrich Mohn, der Chef des Gütersloher Verlags- und Druckhauses Bertelsmann, von der britischen Besatzungsmacht eine Lizenz erhalten. Das war gar nicht so einfach. Der Verlag hatte im Dritten Reich die Soldaten an der Front mit regimetreuer Durchhalte-Literatur versorgt und sich mit diesen lukrativen Staatsaufträgen eine goldene Nase verdient. Gut möglich, dass die aufbauenden Landser-Geschichten damals auch den jungen Soldaten Otfried Preußler an der Ostfront erreichten.

Zwar wurde dem Verlag nach dem Krieg von Wirtschaftsprüfer Fritz Möhle ein moralischer Persilschein ausgestellt – es entstand die bis in die achtziger Jahre verbreitete Legende vom „evangelischen Widerstandsverlag“ -, aber die britischen Behörden ließen sich davon nicht irreführen. Erst nachdem Heinrich Mohn den Verlag auf seinen unbelasteten Sohn Reinhard überschrieb und einige Führungskräfte, die der NSDAP angehört hatten, auswechselte, erlangte man im März 1946 die ersehnte Lizenz zur Publikation von Büchern.

Nun musste auch das Verlagsprogramm angepasst werden. Der neue Lektor, Wolfgang Strauß, sorgte dafür, dass belastete Heimatschriftsteller und Naziautoren aus dem Verlag hinauskomplimentiert oder durch Streichungen und Änderungen nachkriegs-kompatibel hergerichtet wurden. Zum besseren Verständnis hier ein Auszug aus der 2007 erschienenen Bertelsmann-Story des Schweizer Autors Gian Trepp:

„Während die Verlagsrechte an den Kriegsbüchern praktisch wertlos geworden waren, ließen sich die Rechte an den theologischen Titeln wiederverwerten, mit gewissen redaktionellen Änderungen, versteht sich – etwa der 1948 neu aufgelegte Titel „Altes Testament, gib Antwort!“ von Hans Jüttner, einem Autor, der sich im Dritten Reich zum Nationalsozialismus bekannt hatte. Wie eine vergleichende Textanalyse der Unabhängigen Historischen Kommission zeigte, strich das Lektorat unter Wolfgang Strauß die judenhasserischen Passagen der ersten Ausgabe weg.

Als Heinrich Mohn und sein Führungspersonal das Herbstprogramm 1946 planten, stand das Thema Religion im Zentrum. Auch einige Heimatromane von Gustav Schröer aus der Zeit vor 1933 konnten – redaktionell leicht gesäubert – wieder aufgelegt werden. Kriegsverherrlichende Groschenromane hingegen waren out. Doch was war mit den seinerzeit teuer eingekauften Starautoren Hans Grimm („Volk ohne Raum“) und Will Vesper („Das harte Geschlecht“)? Mit seinem neuen Lektor Wolfgang Strauß sondierte Heinrich Mohn, ob mit den zwei Nazi-Dichterfürsten auch unter den neuen Gegebenheiten noch Kasse gemacht werden konnte. Im Sommer 1946 korrespondierte Mohn mit Hans Grimm, Strauß mit Will Vesper. Wenn sich daraus auch keine konkreten Buchprojekte ergaben, so dokumentieren diese Kontakte, dass weder Mohn noch sein Cheflektor begriffen hatten, dass Grimm und Vesper für den C. Bertelsmann Verlag zur Hypothek geworden waren, geschweige denn äußerten sie irgendwelche Kritik an den beiden.“

Es war also keineswegs eine Frage der Moral, verfängliche Passagen umzuschreiben oder wegzulassen, sondern eine Frage der geschäftlichen Opportunität. Am 14. August 1933 hatte nämlich derselbe Heinrich Mohn seinen Autor und Gedichtband-Herausgeber Will Vesper gebeten, den jüdischen Dichter Heinrich Heine nicht so prominent in seiner Sammlung „Aus tausend Jahren“ vorkommen zu lassen:

„Bei dem Balladenbuch sähe ich gern, wenn Heine, der jetzt 347-362, also 16 Seiten füllt, stärker zurückträte. Wäre das wohl möglich? Vor allen Dingen läge mir daran, Seite 350 ‚Kleines Volk’ bis Seite 351 ‚Ein Weib’ zu streichen. Für freundliche Zustimmung wäre ich dankbar.“

Vesper stimmte zu und Heinrich Mohn (der kein Nazi war) dankte zufrieden:

„Recht herzlichen Dank, dass Sie auf meinen Wunsch betr. Heine eingehen, ja mehr als ich zu hoffen wagte. Mir ist es natürlich nur lieb, wenn Heine vollständig fehlt.“

 

Der kleine, aber ungemein wichtige Unterschied

Nun wäre es völlig falsch, die damaligen Anpassungsleistungen mit den heutigen zu vergleichen, denn – und das ist der springende Punkt bei der Geschichte! – die notwendige Modernisierung einer Gesellschaft (aus der Gesellschaft heraus) und die liebedienerische Anpassung an eine Macht sind zwei gänzlich verschiedene Handlungsweisen. Da beide – je nach Standpunkt und Interesse – bisweilen miteinander verwechselt werden, ist der Streit um die Anpassung von Kinderbüchern so heftig und verlaufen die Fronten quer durch alle Kampfgruppen. Es geht offenbar nicht nur um bestimmte Wörter, die nicht mehr verwendet werden sollen (nicht einmal in Märchen, die uns zu guten Menschen erziehen), es geht um das im Deutschen äußerst doppeldeutige Thema Anpassung.

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