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Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer hat die schönste Chronik im Facebook-Land?

von , 26.1.12

Führt Facebook eine neue Funktion ein, sind Datenschützer meist schnell in Alarmbereitschaft – und das nicht nur in Schleswig-Holstein. Derzeit ist es mal wieder so weit: Die als Chronik bezeichnete neue Darstellungsform der Profile wird in den kommenden Wochen weltweit eingeführt, die User haben keine andere Wahl mehr.

Dabei wird es kommen, wie es kommen muss: Einige Personen wird dies völlig überraschen und ein paar unvorteilhafte Einträge öffentlich machen, die sie lieber weiterhin verborgen gewusst hätten. Der Aufschrei darüber wird in die Medien getragen werden, die dazu dann das Expertenvotum von Datenschützern einholen werden. Letztere werden Facebook Verantwortungslosigkeit und Profitgier vorwerfen.

Wie gewohnt wird dies bei Facebook niemanden aus der Ruhe bringen. Dabei bietet die neue Chronik durchaus Anlass zum kritischen Nachdenken, wenn auch anders, als Datenschützer dies gemeinhin annehmen. Denn deren meist statisches Menschenbild zieht nur selten in Betracht, dass Menschen lern- und anpassungsfähig sind. Genau das aber könnte in der Folge der Einführung der Chronik passieren.

Facebooks neue Chronik schärft den Blick auf die Außenwirkung eines Profils. Das ist ein relativ neuer Zug dieses Social Networks, das sich lange Zeit von seinen Vorläufern und Wettbewerbern dadurch unterschied, dass sein Fokus auf der Kommunikation der User lag und dabei nur sehr wenig Spielraum für die individuelle Gestaltung der Profile zuließ. Wer sich an die optischen Entgleisungen mancher MySpace-Profile erinnern kann, weiß wovon hier die Rede ist. Nun also gibt Facebook der Außenwirkung mehr Gewicht und es stellt sich die Frage, was die User daraus machen werden.

Werden sie darauf ihr Leben ausbreiten? Werden sie die Datenlücken füllen, so dass Lebensläufe wie aus einem Guss sichtbar werden? Genau das dürfte die Hoffnung bei Facebook sein, das in diesem Jahr bekanntlich an die Börse gehen möchte. Je mehr Daten die User in ihre Profile einstellen, desto wertvoller wird das Unternehmen, so das Kalkül. Es muss aber nicht so kommen.

Facebook könnte unterschätzen, dass seine User die Möglichkeit haben, die neue Funktion zu unterlaufen. Denn Menschen sind bekanntlich eitel. Zumindest manche. Ihnen bietet die neue Chronik eine perfekte Bühne der Selbstinszenierung, die das Schöne und Passende in den Vordergrund rücken, das weniger Attraktive jedoch vollkommen ausblenden lässt. Der schöne Schein könnte zum Leitbild werden, dem die Massen mit Wonne folgen werden. Jeder rückt sich ins bestmögliche Licht, was die Aussagekraft der Profile schmälern und ihren Wert für das Marketing reduzieren wird.

Wie plausibel ist eine solche Entwicklung? Betrachtet man das Verhalten der Early Adopter auf Facebook, zeigt sich, dass diese es recht gut verstehen, sich ins rechte Licht zu rücken, eine starke Präsenz zu zeigen und gleichzeitig weite Teile ihres Privatlebens zu verbergen. Dabei ist dieses Phänomen plattformübergreifend festzustellen, also nicht nur auf Facebook, sondern etwa auch auf Twitter oder Google+. Warum aber sollten nur die Early Adopter diese Kunst beherrschen? Die Mehrheit der User auf Facebook könnte sehr wohl diesem Beispiel folgen und ihre Profile stärker als bisher am Prinzip des “Schaufensters” ausrichten.

Flankierend kommt hinzu, dass die heute zur Verfügung stehenden Bandbreiten sowohl im stationären als auch im mobilen Web es erlauben, stets mehrere Dienste parallel zu nutzen. Damit ist es problemlos möglich, sich auf Facebook einzuloggen und nachzusehen, welche Freunde gerade auch online sind. Die Unterhaltung, etwa per Chat, erfolgt dann über einen anderen Dienst. Speziell für Jugendliche und junge Erwachsene dürfte der Anreiz groß sein, sich auf Facebook das Bild einer braven und strebsamen Person zu geben, weil hier zunehmend auch Eltern, Lehrer und potenzielle Arbeitgeber unterwegs sind. Austoben und über Stränge schlagen kann man auch woanders im Web – Facebook wäre dafür dann nur noch das Tool zur Organisation, ein besserer Kalender gewissermaßen.

Ein weiterer Anhaltspunkt für eine solche Entwicklung bildet die Beobachtung, dass die User auf Facebook über die Jahre hinweg immer mehr Freunde ansammeln. Mehrere Hundert Freunde auf Facebook zu haben, ist heute keine Seltenheit mehr. Befragungen zeigen, dass den Menschen dabei durchaus bewusst ist, dass dies in der überwiegenden Mehrheit keine “echten” Freunde sind, sondern nur sehr lose Bekanntschaften. Wie aber steht es dann um die Aussagekraft und den Stellenwert einer Kommunikation in derart losen Gruppierungen? Was sagt sie über echte Vorlieben und Abneigungen aus? Und schließlich: Welche Substanz lässt sich daraus für Marketing-Aktionen ableiten?

Bei Facebook ist man sich des losen Charakters vieler Beziehungsstrukturen schon lange bewusst. Deshalb werden hier Beziehungen danach unterschieden, wie ihre Kommunikation erfolgt: Reziprok und direkt (etwa über Nachrichten oder den Chat) oder eher allgemein und indirekt (über Einträge im News Feed). Facebook weiß also über jeden User, welche Beziehungen eng bzw. persönlich sind und welche das eher lose Netzwerk bilden. Auf der Ebene der User heißt das, dass diesen bewusst ist, dass der überwiegende Teil ihrer Kommunikation auf Facebook in einer Art halböffentlichem Raum stattfindet, weil sie diesen über die Menge ihrer Freundschaften selbst definieren. Wirklich privat ist das Meiste also nicht und darauf kann man sich dann auch bei der Gestaltung der Chronik einrichten.

Auch die Datenschützer sollten sich darauf einstellen und ihr Bild von Kommunikation im Web erweitern. Die Menschen, die Social Networks wie Facebook nutzen, sind zunehmend in der Lage, Abstufungen beim Grad an Privatsphäre zu erkennen und dies im Kommunikationsverhalten zu berücksichtigen. Zwar muss letztlich offen bleiben, wie weit es wirklich einen Trend zur Selbstinszenierung im Zuge der Einführung der Chronik auf Facebook geben wird. Aber schon dessen Plausibilität mahnt zu mehr Gelassenheit und Vertrauen in das Geschick der User.

Für Mark Zuckerberg gilt diese Aussage natürlich nicht. Er hat keinen Grund zur Gelassenheit, sondern sollte sich eher fragen ob es wirklich klug ist, die Kommunikation der User auf Facebook immer stärker ins Öffentliche zu ziehen. Am Ende könnten ihn die Werbepartner und Marketingstrategen allein lassen, weil seine Daten von zu geringer Aussagekraft und damit von zu geringem Wert sein könnten. Aber vielleicht ist ihm das auch egal: Wenn er heute in den Spiegel schaut, sieht er einen Milliardär mit wahrhaft beeindruckender Chronik. Was will man mehr?

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