von Klaus-Peter Schöppner, 4.2.09
Sieben Monate bleiben der SPD noch, ihre größte Wahlschlappe seit Gründung der Bundesrepublik zu vermeiden. Nach dem erfolglosen Wechsel von Kurt Beck zu Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering und den Wahlergebnissen in Bayern und Hessen, darf die deutsche Sozialdemokratie keine Minute mehr verlieren, die Partei rigoros umzupolen. R-I-G-O-R-O-S: Das ist die einzige Chance der SPD auf ein annehmbares Wahlergebnis am 27. September. Denn derzeit würden nur noch 24 Prozent für die SPD stimmen. Das sind weniger als die 28,8 Prozent, die die Sozialdemokraten 1953 erzielten, ihrem bislang schlechtesten Ergebnis der Bundestagsgeschichte.
Aber wann, wenn nicht jetzt, wäre eigentlich eine Meinungshausse für die SPD zu erwarten? Jetzt, wo Angst und Wut die herausragenden Urteilskriterien der Deutschen sind: Angst vor der Zukunft, vor wieder wachsender Arbeitslosigkeit, vor weniger Barem, davor, in Zeiten der Globalisierung nicht mehr mithalten zu können. Wut auf die zunehmend ungerechtere Verteilung der Einkommen. Auf eine Heuschreckenwirtschaft, die keiner mehr versteht und betrügerischem Tun Tür und Tore öffnet.
Wann, wenn nicht jetzt, wo 83 Prozent der Deutschen Zukunftsängste haben, 45 Prozent zu verarmen fürchten und die politischen Einstellungen auf Linkskurs gehen:
— 68 Prozent der Wahlberechtigten sind für die Einführung von Mindestlöhnen.
— Für 82 Prozent gehört die Rente mit 67 abgeschafft.
— 62 Prozent halten die Beteiligung deutscher Truppen an Einsätzen in Afghanistan für falsch.
— Und für 67 Prozent sollten wichtige Unternehmen, wie Energie, Telekom oder Bahn, die teilweise schon in die Privatwirtschaft entlassen wurden, staatlich betrieben werden.
Wann, wenn nicht jetzt, wo Deutschland ruckt – und zwar nach links: 34 Prozent der Deutschen bezeichnen inzwischen ihre politische Grundeinstellung als „links“, vor 25 Jahren waren es nur 17 Prozent. Starker Staat statt starke Wirtschaft, so das Credo, nachdem jahrelang „Entfesselung“ gepredigt wurde. Deutschland ist im Grunde ein sozialdemokratisches Land.
Und dennoch dümpelt die SPD aktuell unter 25 Prozent in der Sonntagsfrage! Dafür gibt es drei Gründe:
1. Die SPD hat ihre Wähler schwer enttäuscht: Zerstrittenheit, keine klare Linie, kein Profil, kein Konzept, kein sozialdemokratischer Markenkern ist da zu spüren. Die SPD ist nicht mehr die klare sozialdemokratische Partei, die Wirtschafts- mit Sozialkompetenz verbindet, nicht mehr die „Mittel zum guten Zweck“-Partei.
2. Die SPD ist im Grunde zwei Parteien. Ist sie Nahles oder Müntefering? Steht sie für oder gegen Schröders Agenda? Ist sie Reformbefürworter oder -gegner? Für oder gegen eine Koalition mit den Linken? Warum werden deren Minister Steinbrück und Steinmeier mehr von CDU- als von SPD-Wählern geschätzt? Warum ist die SPD so wie sie ist? Weil die Partei hin und hergerissen ist zwischen den politischen Polen: Zwischen fördern oder fordern. Zukunft wagen oder Vergangenheit sichern. Chancen nutzen oder Risiken vermeiden. So hängt sie fest zwischen Partei des Möglichen und Partei des Nötigen. Zwischen gestern und morgen: Die SPD ist zwei Parteien! SPD heißt Beliebigkeit, schlimmer: völlige Ungewissheit wählen.
3. Die SPD leidet unter dem Y-Faktor der wahltaktischen-waghalsigen Beliebigkeit: Mal mit, mal ohne Links, je nach persönlichem Pöstchengeschachere. Zudem versagt die SPD ausgerechnet bei der vornehmsten aller sozialdemokratischen Tugenden: Die Gesellschaft zu versöhnen statt zu spalten. Ihr Umgang in Hessen mit den vier „Rebellen“ war für viele Wähler ein noch stärkerer Grund, sich von den Genossen zu verabschieden als die Links-Volte.
Hessen hat den Paradigmenwechsel beim Wahlentscheid wie zuvor in Bayern endgültig bestätigt: Nicht mehr Ökonomie und Soziales, sondern Psychologie wird gewählt: Nicht Sachpolitik sondern Vertrauen, nicht die gute Leistung sondern die gerechte Strafe. Aus „Pro“-Wähler werden immer häufiger „Kontra”-Wähler. Nur noch jeder zweite Deutsche wählt die Partei seiner Überzeugung, über 40 Prozent dagegen aus Enttäuschung eine andere als die im Grunde präferierte.
Was also ist für die SPD zu tun?
Es gibt vier Wege, für die Volkspartei SPD wieder Rückhalt unter den Wählern zu erhalten. Alle vier beinhalten „klare Kante“.
A. Die SPD als “Frontrunner-Partei“ der „Vereinigten Linken“
Die SPD macht sich rigoros zur Sammlungsbewegung der Linken — mit aller Konsequenz in Parteiprogramm und beim Kandidaten; denn immerhin gibt es in Deutschland 40 Prozent Wähler links der Mitte. Mit dem neuen Ansatz zur neuen Glaubwürdigkeit muss noch heute begonnen werden. Roland Koch hat das in einem Jahr nicht geschafft, die Zeit wird also denkbar knapp.
B. Der New Deal der SPD
Das morderne Linkssein der SPD müsste flankiert werden durch „Commitment“- Politik, dem „New Deal“ der wechselseitigen Verpflichtung zwischen Politik, Unternehmen und Beschäftigten: Die SPD betreibt unternehmerfreundlichere Politik, verlangt zugleich aber von den Unternehmen mehr Sicherheit für die Beschäftigten. Sie fordert dafür von den Beschäftigten mehr Leistung, Flexibilität, Mobilität, geringere Einkommenszuwächse. Alles unter der Mediation der SPD.
C. Die SPD als Partei der wirtschaftlichen Vernunft
Der dritte Weg: Rigorose Mittelstands- statt Multipolitik. Zu selten haben internationale Konzerne die ihnen gewährten Vorteile an die Mitarbeiter zurückgegeben. Zu negativ haben „Entlassungen trotz Rekordgewinnen“ zuletzt das Image der Wirtschaft geprägt. Der Mittelstand dagegen schafft dagegen Beschäftigungszuwachs. Seine Spitzen stehen Probleme der Mitarbeiter deutlich näher als Shareholderdenke. Unter der Ägide des in der Wirtschaft hoch angesehen Steinbrück könnte die SPD die Partei des Mittelstandes werden.
D. Die SPD als Kümmerpartei
Die SPD muss wieder Kümmererpartei der kleinen Leute werden: Ihr Credo ist das der sozialen Gerechtigkeit, die Reduzierung des Unterschieds zwischen Arm und Reich, Ost und West, Alt und Jung. Mit der SPD ist das Motto: „Du darfst so werden, wie ich warst!“ nicht ganz unrealistisch.
Fazit: Die SPD muss Aufstiegschancen verdeutlichen statt Abstiegsängste bedienen. Probleme überwinden statt Leiden lindern. Mit einer Care-Paket-Politik allein kann man Visionen eben nicht glaubhaft vertreten.
Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer der TNS Emnid Politik- & Sozialforschung GmbH.
Update: Hier noch ein Text von unser Beirätin Corinna Emundts zur Identitätskrise der SPD.