#digitale Gesellschaft

Sommer am Datenstrand

von , 17.6.10

Die Menschen des Internet-Zeitalters erinnern mich an die Amphibien, die vor 400 Millionen Jahren vom Ozean aus das Land besiedelten. Deutlich wird einem das, wenn man sieht, wie man selbst und andere im ersten Sonnenglanz dieses Sommers skeptisch in das warme Licht hinausschauen und sich mit dem Laptop in eine dunkle Ecke des Zimmers zurückziehen oder die Jalousien zukippen – draußen im Garten, auf dem Balkon, an einem Tisch vor dem Café, überall erkennt man zu wenig auf den Bildschirmen. Die Sonne blendet.

Ein bisschen ist es eine narzisstische Kränkung, denn unter der Sonne zeigt sich, dass das aus dem Bildschirmfenster leuchtende Netz nur ein kleines Licht ist. Und ein bisschen ist es ein Abschied vom Analogen. Das digital Amphibische wird immer offensichtlicher, das Leben auf beiden Seiten. Nun wechseln wir aus den Fluten der materiellen Welt auf das Neuland des Achten Kontinents.

Ich schreibe diese Zeilen nicht am Rechner (weil es draußen zu hell ist), sondern an einem kleinen Tisch im Hof, mit Kuli auf einem Karoblock. Diese Kolumne ist ein Tribut an die alte Zeit. Im Schatten unter einem Goldregenstrauch schläft eine Katze, in den Brombeersträuchern haben sich Wind und Licht niedergelassen. Ab und zu, während ich schreibe und das Strahlen des Sonnenlichts auf dem weißen Papier bestaune, verspüre ich den Phantomschmerz, auf etwas in den Tiefen meiner Festplatte oder etwas Findbares im Netz nicht sofort zugreifen zu können, sondern wieder ein langsam Informationen heranschaffendes Wesen zu sein, wie früher, als der Datenkontinent noch ein ferner Horizont war.

Nun sind wir angelandet, noch hat alles Kiemen und Flossen. Was werden wir werden? Wohin wird die Evolution uns geleiten in einer Welt, in der das Scheinbare alles andere überwiegt? Werden wir das, wofür wir heute Maschinen brauchen, einmal selbst können? Es ist heiß in dem Hinterhof. Zu anstrengend, um eine Leimrute ein paar Jahrtausende nach vorn zu werfen und zu sehen, was dran hängen bleibt. Die Vögel setzen mehrere Tweets pro Sekunde ab, Meisen, Amseln, eine ferne Elster, und weil ich sie nicht verstehen kann und es einfach Vögel sind, die singen, entspannt es mich.

Für die alten Ägypter war das irdische Dasein eine flüchtige Episode. Der ewige Aufenthalt in der Welt begann mit dem Tod, dem “Hinaustreten in das volle Licht des Tages”. Die Hitze und der stille Datenstrand an diesem Nachmittag erinnerten mich an das erste Mal, als ich mit einem Freund in Gizeh vor den Pyramiden stand. Er schaute über die Dünen dahinter: “So viel Strand, und kein Meer”. Aber die Steinblöcke, aus denen die Pyramiden gebaut sind, wimmeln von versteinerten Meerestieren. An dieser Stelle war vor vier Millionen Jahren ein Strand.

Dann ging ich, um die Notizen von den Zetteln in den Rechner zu übertragen, hinein in den Schatten…

Peter Glaser bloggt auf Glaserei. Crossposting mit freundlicher Genehmigung.

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